Montag, 29. September 2014

Cherie

Als ich in den 1970ern noch dachte, ich könne mein Leben als Erzähler bestreiten, habe ich einmal eine Parabel getextet, die sich um den Unterschied zwischen einer Barfrau und einer Bardame drehte: Während Erstere sich mit falschen Verlockungen unter vollem Körper-Einsatz allein dem Umsatz und ihrer Provision widmet, lässt Zweitere persönliche Annäherung nur auf quasi therapeutischer Ebene zu. Was sie aber nichts desto trotz für ihr Klientel verheißungsvoll erscheinen lässt, weil es weiß, dass geheimste Wünsche, Vorstellungen aber auch Sorgen gehört, aber nicht weiter getratscht werden. Die meisten Bardamen haben keine Laufkundschaft - wie Barfrauen, sondern Stammkunden - oft bis über das Alter des Begehrens und der Begehrlichkeit hinaus.

So ganz sicher bin ich mir im Fortschreiten der Jahre nicht, ob meine Theorie von damals generalisiert werden kann. Aber ganz sicher bin ich mir, dass Signora Girasole sich spät berufen dem Stadium einer Solchen nähert. Seit die ehemalige Trägerin buntester Jogging-Anzüge, die ja einiges mit Männern durchgemacht hat,  den Job der Gemeinde-Bardame übernommen hat, wandelt sie sich. Die mehrfache Großmutter kleidet sich nun mit dezenten modischen Accessoires, hübscht sich aber nun so auf, dass sie von der in die Jahre gekommenen männlichen Dorf-Bevölkerung genauso frequentiert wird wie von der weiblichen. Wenn also die Gemeinde mal etwas richtig gemacht hat, dann ist das dieser "Social Club".

Natürlich darf man sich die Bar Girasole nicht als gemütliche Stammkneipe an der Ecke vorstellen. Sie strahlt eher den Charme eines Vereinsheimes aus. Aber die Signora hat es so wohnlich gemacht, wie es eben ging. Wer draußen sitzen will, tut das im Schatten zweier Bäumchen auf dem Parkplatz, aber mit prachtvollem Blick auf das Portal unserer frisch renovierten Kirche. Auch zur Burg hinauf öffnet sich der weite Blick mal aus ganz anderer Perspektive.

Als wir uns dieser Tage mit dem Impresario trafen, der in unserer Abwesenheit die Wetter-Fassaden unserer mittelalterlichen Bruchbude renovieren soll, hatten die "Zweitbeste" und ich mal eine gute Gelegenheit den Bar-Betrieb und die Souveränität der diesen am Laufen haltenden Nachbarin zu beobachten.

So ab vier trudeln die ersten Männer nach der Arbeit ein, während die Alten da schon ihre Stammplätze eingenommen hatten. Einer führt seine wohl bereits leicht demente Mutter an eines der Tischchen und setzt sie wie eine Divan-Puppe in Positur, damit sie zumindest gucken kann. Sie bekommt ein Gläschen Orangen-Saft hingestellt, das sie aber nicht anrührt. Sie und wir sind jedoch die einzigen, die ein Getränk haben. Statt etwas zu bestellen, wird zunächst erstmal ausführlich geratscht. Ein recht alter Mitbürger sitzt eher zusammen gesunken an der Treppe und reagiert gelegentlich mit einem Si oder Kopfschütteln. So ab fünf kommen die ersten Damen zum Kartenspielen. Unsere Nachbarn Ina und Vittorio bleiben zu unserer Überraschung aus, aber die natürlich bestens informierte Signora klärt uns auf. Die Ape von Vittorio ist beim Mechaniker, und Ina hat etwas in der Stadt zu tun. Stattdessen erscheint aber die wie fünfzig aussehende 82jährige Nachbarin von der Piazza Santa Anna mit Gefolge: Enkelin und Urenkelin. Irgendwie sind alle miteinander verwandt, aber so etwas interessiert ja vornehmlich die "Zweitbeste". Ich kann mir das ja in den mit mir verbundenen Familien schon kaum merken.

Deshalb bin ich dankbar, dass ich von den Männern immer tiefer in Diskussionen um Benzin-Preise, deutsche Maut-Vorhaben und anstehende Heizungskosten gezogen werde. Weil wir noch mit dem goldpreisigen Gas heizen, werden wir milde belächelt. Im übrigen weiß fast jeder der Anwesenden bereits bevor Marcellino auf seiner schweren Motoguzzi über den Hof reitet, über das bescheid, was wir so diskret wie möglich halten wollten: Dass er den Zuschlag für die Fassaden-Renovierung erhalten hat.

Einer, den ich noch nicht so oft gesehen habe, sagt dann: "Du bist doch der im Haus der "Francesa"?"
Da geht ein unmittelbarer Ruck durch den Alten an der Treppe. Er richtet sich gerade auf, die Nachmittagssonne erleuchtet sein Gesicht mit dem sehnsuchtsvollen Lächeln und er seufzt: "Ah Cherie!"

Und im Nullkommanix hallt der Parkplatz wider von den vielen Legenden, die über die längst verstorbene, "männermordende" Einheimische immer noch im Umlauf sind. Die Ur-Eigentümerin unseres Hauses, die nur deshalb "La Francesa" genannt wurde, weil sie als Köchin im benachbarten Ausland gearbeitet hatte.

Seit wir hier wohnen, haben wir soviel von ihr gehört, dass wir nachts ihren Geist im Negligee durch das Haus schleichen hören...

Naja - jetzt hat sie ihr Haus bald für ein halbes Jahr wieder für sich ganz allein und kann mit all ihren verstorbenen Liebhabern (hoffentlich lässt sie unsere Bauarbeiter in Ruhe) wieder Karten spielen, bis wir im Frühjahr auf die Burg zurück kommen.

Dieser ist der letzte Brief von der Burg für dieses Jahr. Ab 15. Oktober hagelt es wieder im Münchner Glashaus jede Menge Steine. Bleibt mir gewogen!

Donnerstag, 25. September 2014

Was soll ich denn noch schreiben?

Gestern waren wir bei unserem Teilzeit-Nachbarn Gerold in eines der schönsten Hauser des Borgos zum Abendessen geladen. Gerold handelt mehr als Hobby so nebenher mit ausgesuchten italienischen Weinen. Er ist quasi ein wandelndes Wein-Lexikon, aber  er lässt Vorträgen auch einzigartige Beispiele folgen. Er folgt dabei vorrangig seinem eigenen Geschmack und erreicht doch reich an Kenntnis, was gut ist, eine enorme Trefferquote bei seinen Gästen und Kunden. Nach fünf Weißweinen und drei Rotweinen habe ich dann gepasst. Nicht etwa, weil ich nach den eleganten Probier-Mengen einen im Tee gehabt hätte, sondern weil ich das Gefühl bekam, mit jeder weiteren Kostprobe den vorangegangenen Kreszenzen Unrecht anzutun: Es war ein önologisches Elysium.

Heute ist Blogger-Tag, und ich wünschte mir für mein Geschreibsel eine ähnliche Trefferquote im Geschmack, wie sie der Gerold bei der Darreichung seiner Weine hat. Auch ich lasse mich ja thematisch davon leiten, was ich gut finde, aber ich kann ja nicht ständig etwas schreiben, was allein der Gefälligkeit unterliegt. Da unterscheidet sich Weine zu verkosten extrem vom Bloggen.

Die "Zweitbeste", die Bücher wie "Unser Haus in Frankreich" oder "1000 Tage in der Toskana" kiloweise verschlingt, drängt mich - obwohl sie keinen meiner Posts je gelesen hat: "Sowas musst du schreiben! Das interessiert die Leute!"

Dann habe ich immer eine ganz extrem kurze Zeit Gewissensbisse, dass ich ihr nicht das Leben eines Bestseller-Autors bieten kann und besinne mich dann aber darauf, dass mir diese herrliche Jetztzeit im Internet die Möglichkeit bietet, zu veröffentlichen, was mir gerade in den Sinn kommt. - Ob das nun mehr oder weniger Leser überzeugt, interessiert mich sicher auch, aber das ist eben nicht an meine Existenzerhaltung geknüpft,  In sofern sind der Gerold mit seinem Weinen und ich mit meinen Texten  uns dann irgendwie ähnlich.

Und dann wäre ja da noch die Frage, wer  oder was den Leser-Geschmack beeinflusst: Bei einem Blog gibt es keinen Auflage-Zwang, keinen Verleger, der einen mahnt, wegen der Produktionskosten nicht mehr als 180 Manuskriptseiten abzugeben - und schon gar keine Agentin, die selber noch nie eine vernünftige Zeile zu Papier gebracht hat, aber verlangt, es müsse vor allem das Herz der Leserinnen angerührt werden.

Da sitze ich doch lieber bei frischen Schälnüssen von meiner "Marktschlampe", einem "Capra" vom Bergbauern,, einem Pecorinoe Sardo molto stagionato und einem nicht ganz so prominenten Barbera aus dem Piemont auf meiner Terrasse und beobachte, wie ein Falke über mir im tiefen Blau des Herbsthimmels seine eleganten Kreise fliegt. Ja, und dann kommt auch noch die "Zweitbeste", die gerade aus den Trauben von Falco, den Überreifen Tomaten von Signora Electra, Curry, Ingwer  und unseren selbst gezogenen Peperoncini einen grandios pikanten Sirup als aktuelle Begleitung zum Käse komponiert hat.
Aber so etwas würde ich natürlich nicht schreiben. Schon um meine Leser nicht neidisch zu machen.

Im übrigen danke ich denen für eine Woche mit neuem Zugriffsrekord, obwohl die Posts aus meiner Sicht nicht gerade prickelnd waren. Natürlich sind das keine Millionen, wie sie der Typ bei YouTube erreicht, der eine Nudel mit dem Mund schlunzt um sie gleich wieder aus der Nase zu ziehen...

Mich quält beim sich nähernden Ende der Burgbriefe-Saison nur noch eine letzte Frage:
Was soll ich denn noch schreiben?

Montag, 22. September 2014

Das Ende ist der Anfang

Auch ohne Kalender weiß hier oben jeder, dass Herbst-Anfang ist. Seit zwei Tagen wird nämlich - in den Valle dell'Olio die Waffenruhe gebrochen. Allerdings sind davon nur Singvögel, Hasen, Fasane und - im waidmännischen Glücksfall - ein paar Wildschweine betroffen, die sich nicht rechtzeitig in die Schutzzone zurück gezogen haben. Menschen - wie leider an vielen anderen Orten auf der Welt - sind davon nur dann betroffen, wenn sie sich ohne Leucht-Westen außerhalb ihrer Ortschaften in die Steineichen-Wälder begeben...

Nach einschlägigen Begegnungen der besonderen Art würde ich mich noch nicht einmal mit so einer Weste, wie sie unsere postina trägt, oberhalb des Borgos begeben. Selbst wenn auf ihr stünde : Non sparare! Io non sono un cinghiale! Nicht schießen! Ich bin kein Wildschwein!

Aber blöde Witze - wegen des "Überlesens" der zwei non - über die Jagdleidenschaft unserer Gastgeber sind ja schon genug gemacht worden. Jedenfalls hallt jetzt unser Trichter-Tal nicht nur im Morgengrauen vom Schall der Doppelschüsse wider. Ganz selten mal, dass einer der verborgenen Schützen nur mit einem Schuss auskommt - knallt halt so schön.

Friedlicher geht es bei der Weinlese zu, die gleichzeitig  begonnen hat. Falco und Giovanna haben unterstützt von ihren Kindern und Enkeln den ganzen Samstag von ihrer Ape transportierte Kisten mit Weintrauben zum Maischen ihres winterlichen Weinvorrates über die Piazza getragen. Natürlich sind wir auch wieder mit riesigen Trauben bedacht worden. Dabei ließ Giovanna nebenher anklingen, dass Falco im Weinberg zweimal umgefallen sei, weil er aus Eitelkeit seinen Stock abgelegt hatte.

Viele sind es hier oben nicht mehr, die ihren eigenen Wein keltern, und nicht jeder hat nach dem Rückgang der Geburtenrate genügend nepote als Erntehelfer. Denn auch die Netze unter den heuer schwer tragenden Olivenbäumen liegen schon zum Aufspannen  für das Runterklöppeln des einst grünen Goldes bereit.

Es war ein gutes Jahr für jegliche Ernte. So kraftvoll grün waren die Berge um diese Jahreszeit noch nie, seit wir hier leben. Der Regen-Sonnen-Mix war wohl ideal, aber der Credit Agricol gibt Bauern, die schon Rente beziehen, nicht gerne Geld für spezialisierte Ernte-Helfer, die die bereits durch die EU subventionierte Öl-Gewinnung  hier im weltweiten Extra-Vergine-Preiskrieg noch teurer macht...

Was wird werden aus einer der herrlichsten Kultur-Landschaften der Welt? Statt die Arbeitskraft der vielen Asylanten stur ungenutzt zu lassen, fällt der Politik vielleicht doch eines Tages noch ein, ihnen die Chance beim Einbringen überreichlicher Ernten und damit auch wieder Selbstwertgefühl zu vermitteln. Dann könnte das Ende eventuell zum Anfang werden...

Wenn da nicht welche wären, die mit den fascie etwas ganz anderes vorhaben. Von unserer Terrasse haben wir fast eine Vogelperspektive auf einen Ort am rechten Ufer des Impero. Als wir hier her zogen, konnte ich mich gar nicht genug satt fotografieren an seiner Struktur. Das war wie ein Landart-Arrangement aus einem Bildband: Um die schöne Kirche und die Wohnhäuser waren die Terrassen in einem zauberhaften  Patchwork-Muster arrangiert.

Nach und Nach aber  verschwanden auf den unteren Ebenen zunächst die Bäume, dann lagen  die Pflanzflächen brach, und jetzt frisst sich eine Riesen-Baustelle in dieses Bild, die zweifelsohne am Ende mehr einbringt als die mühevolle Handarbeit bei den Ernten.
Unten links frisst sich die Großbaustelle in die Terrassen-Struktur

Donnerstag, 18. September 2014

Was die Macht der Liebe mit uns macht

Gestern machte im Web die Geschichte einer Australierin die Runde, die ihrem Goldfisch in einer einzigartigen Operation einen riesigen Tumor entfernen ließ. Der veterinäre Eingriff kostete einen ziemlichen Batzen, aber das war der Liebe der Frau von Downunder zu ihrem Goldfisch eben geschuldet. Danach jedenfalls - so wurde berichtet - habe sich der Geliebte wieder wie ein Fisch im Wasser gefühlt und könne noch auf ein langes Leben hoffen.

Abgesehen davon, dass Liebe ja auch nicht gegen ihre Dauer aufgerechnet werden kann, war das Geld der Australierin gut angelegt. Denn Goldfische oder Koys gehören zusammen mit einigen Papageien-Vögeln als Haustiere zu den "Lifetime Compagnons"; die einen begleiten uns stumm ein Leben lang, die anderen schwätzen uns gar schier endlos die Hucke voll.

Dass aber auch Goldfische kommunizieren können, erlebte ich an meinem Garten-Teich. Eigentlich war der als Biotop derart ausgewogen ausgestattet, dass die bunten Gesellen nicht eigens gefüttert werden mussten. Aber wann immer sie meine Stimme hörten, die Vibration meiner Schritte spürten oder nur meinen Schatten sahen, versammelten sie sich aus allen Regionen des Teiches  zum Schwarm und folgten mir nicht nur, sondern warben mit Kreiseltänzen um meine Aufmerksamkeit. An der Flachwasser-Zone konnte ich mich auf den Bauch legen, dann kamen sie so weit heraus, dass ihre Rücken im Freien waren. Sie verschwanden erst dann wieder ins Tiefe, wenn sie aus meinen Fingern ein Leckerli gezupft hatten.

Als wir das Haus verkauften und der Käufer den Gartenteich wegen seiner Kleinkinder zuschütten wollte, war ich erleichtert, dass unser Umzugsunternehmer für seinen frisch angelegen Teich meine Freunde abfischte. Traurig war ich über die Trennung aber nicht, während ich mir noch heute Vorwürfe mache und mich auch schäme, dass ich das Ableben meines Hundes länger und nachhaltiger betrauerte als den Tod meiner Eltern.

Was mich zum eigentlichen Thema bringt:  Was nämlich die scheinbar nicht steuerbare Macht der Liebe aus uns macht. Wie vielschichtig und gegensätzlich unsere Gefühle sein können. In einer Zeit, in der die Menschheit hilflos zusieht wie zu religiösen Propagandazwecken  fast alltäglich Menschen enthauptet oder Kinder aus ihren Häusern gebombt werden, rührt die Berichterstattung ein vom Tumor befreiten Goldfisch mehr als die aktuellen Flüchtlingsdramen im Mittelmeer.

Vom Nazi-Horrorschurken Heinrich Himmler, dem wohl eine Seele überhaupt schwerlich nachgesagt werden konnte, wurde eine tiefe gar lähmende Trauer über den Tod seines geliebten Schäferhundes kolportiert. - Was ihn aber nicht daran hinderte, am selbigen Tag Tausende von Juden in die Gaskammern zu schicken.

Solche Widersprüche könnten den Verdacht aufkommen lassen, die Liebe sei immer eine Art Ausnahmezustand und könnte daher auch zur Entschuldigung dienen. Aber dazu hat die Liebe einfach zu unterschiedliche Erscheinungsformen.

Manche verlieren ihren Verstand vor lauter Liebe, andere wiederum ordnen ihre Gefühle einem klaren Kalkül unter. Bei den einen ist die Liebe ein Strohfeuer, bei den anderen hält sie bis über den Tod hinaus.

"Und darum wird nach dem Happyend im Film jewöhnlich abjeblendt", dichtete schon Kurt Tucholsky. Wenn ich die weltweit hohen Scheidungsraten vergegenwärtige, kommen mir die Filmdramen, in denen sich Liebende füreinander aufopfern, oft zweifelhaft vor. Da riskieren sie möglicherweise Kopf und Kragen, nur um nach dem Überleben ein paar Jahre später diesen Partner für eine neue Liebe (?) zu verlassen.

Achtung thematischer Hopser!
Am Dienstag hatten wir das letzte Abendmahl, genauer gesagt das ultima cena in piazza, bevor wir bald wieder in der alten Heimat überwintern. Im Gegensatz zum ultima cena wie es unsere Seelensammlerin gerne sähe (die Jünger in der einen Liebe zu Jesus an der Tafel vereint) saßen mehr als ein Dutzend Vertreter der durchaus irdischen Liebe gut gelaunt bei Speis und Trank: uralte Ehen, junge Ehen, neue Ehen, wilde Ehen, aber leider auch "bessere Hälften", die der Schnitter zurück gelassen hat.

Zur Liebe fähig zu sein, ist essentiell, aber das bewahrt uns weder vor Abgründen, noch schützt das vor Torheit im Alter...

Sonntag, 14. September 2014

Vele d'Epoca

Alle zwei Jahre treffen sich in der ersten Hälfte des Septembers Eigner und Enthusiasten alter Segelschiffe in Porto Maurizio. Nicht nur um die Schönheiten her zu zeigen oder zu bestaunen, sondern auch, um in einer historischen Regatta zwischen Capo Berta und San Lorenzo ihre immer noch bravouröse Seetauglichkeit unter Beweis zu stellen.
Eigentlich wollte ich von der glamourösen Atmosphäre, dem Feuerwerk und den Show-Einlagen berichten. Aber nachdem bei einem "Piraten-Überfall" im Hafen einem Zuschauer durch einen fehl gefeuerten Feuerwerkskörper ein Auge ausgeschossen wurde, beschränke ich mich darauf, ein paar Bilder für sich sprechen zu lassen...





Donnerstag, 11. September 2014

Gäste - oder das Leben der Anderen

Keine Frage. Die " Zweitbeste" und ich freuen uns immer, wenn Gäste auf die Burg kommen. Ganz besonders, wenn die unsere Kinder sind und auch noch Freunde mitbringen, die wir von klein auf kennen und quasi auch "partymäßig" groß gezogen haben.

Aber dann auch wieder nicht so. Gäste bedeuten mehr für mich als für meine Frau, dass der Alltagstrott, den wir uns als Burggeister angewöhnt haben, einer spontanen Kreativität als Programm-Gestalter, Zeit-Jongleure und Entertainer unterworfen werden muss.

Die "Früchte unserer Lenden", wie wir sie gerne nennen, wenn sie uns  - wie vor ein paar Tagen - ein Begrüßungskonzert mit selbst geschriebenen und komponierten Songs auf der Piazza geben, unterliegen nämlich einem Mutationsprozess: 34- und 32jährig verwandeln sie sich in die Kids von einst zurück , sobald sie hier sind, und weil auch die Freunde "Müttis" Fürsorge von klein auf gewohnt sind, verfallen sie auch gleich altem Komfort-Denken. Wenn ich ihr dann vorwerfe, dass sie die Brut wohl wieder "pampert", als seien keine 20 Jahre vergangen, dann wirft sie mir Fürsorge-Neid oder gar Eifersucht vor.

Also verkrümele ich mich in den Weiten der mittelalterlichen Bruchbude und ertrage das Gewaber selbst gedrehter Zigaretten (sie sollten wirklich nicht wieder mit de Rauchen angefangen haben!!!), stolpere über mit zeremoniellem Aufwand gefüllte, halb ausgetrunkene, überall im Haus abgestellte Capuccino-Tassen - sage aber nichts, weil ich mich ja nicht als Spaßbremse isolieren möchte.

Dann offenbaren diese im Job so Toughen alsbald auch noch eine Antriebsschwäche, die zu endlosen Diskussionen führt, was man denn an diesen fünf vom Jahresurlaub abgezwickten Tagen machen könnte. Spüre ich da dann den heimlichen Zwang von einst?

"Papi? Was wollen wir denn heute machen?"

Von "wir" kann aber schon lange keine Rede menr sein. Das gilt auch für andere Gäste aus dern Verwandt- und Bekanntschaftskreis: Wer immer sich ankündigt, dem wird gesagt: "Ihr könnt gerne kommen, aber wir machen kein Programm für euch!"

Als mir neulich ein alter Weggefährte beim Abschied durch die Blume andeutete, was für absolute Langweiler die "Zweitbeste" und ich geworden seien, musste ich ihm leider mal kräftig etwas vor den Latz geben. Bin mir aber nicht klar, ob er das dann überrissen hat. Denn er war ja schließlich im Urlaub hier!!!

Ja Leute! Das ist der Unterschied. Wir leben hier. Wir lieben unser Haus und verkriechen uns gerne darin. Hat ja auch genug gekostet. Wir haben das Meer vor der Tür, deshalb frequentieren wir die Strände erst wieder, wenn sie uns annähernd alleine gehören und wir die Wegelagerer-Parkgebühren nicht mehr bezahlen müssen. Wir gehen zweimal die Woche, aber nicht täglich, in ein Restaurant unserer persönlichen Hitliste und brauchen daher nicht ständig ultimative Hinweise, wo wir unbedingt mal hingehen müssten. Aber wenn ihr zu den Nachbarschaftsgelagen mit den Burggeistern kommt, seid ihr herzlich willkommen, damit ihr daheim schwärmen könnt, wie ursprünglich das hier noch ist. Unser Leben ist langweilig: Kulturell und sozial verkommen wir total, aber wenn ihr wieder weg seid, atmen wir auf, weil das eben genau das ist, was wir wollen, ohne dass ihr uns ein Gefühl des Unausgefülltseins zurück lasst.

Dass wir todtraurig sind, dass unsere Kinder morgen wieder fort sind, verarbeiten wir dann einfach in einem Sad-Song.

Sad songs say so much!", singt Sir Paul Mccartney, mit dem wir aufgewachsen sind und der noch ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel hat...

Montag, 8. September 2014

La Precedenza e La Priorita

Ja, wenn das mit dem Italienisch so einfach wäre! Viele Begriffe ergeben isoliert  betrachtet einfach einen Sinn. Aber nur für die, die einem Wörterbuch (und keinesfalls dem Google-Übersetzer) vertrauen...

Nähmen wir also die beiden Substantive aus der Überschrift so, wie sie dort stehen, dann sind das eben:
Vorfahrt und Vorrang.

Aber weil die italienischen Autofahrer, respektive die ligurischen, eben die Feinheit ihrer Sprache besser beherrschen als die Verkehrsregeln,  kommt der Deutsche Verkehrsteilnehmer immer wieder in Bredouille. Hier hat nämlich jeder Begriff noch eine verkehrstechnische Auslegung, die vom täglichen Umgang mit ihm  und von der Sprache des Herzens - oder präziser - dem Temperament geprägt wird.

Zunächst die Ungeduld der Herzen:
Motorrad-Fahrer, Motorini, Rollerfahrer - mögen sie PSmäßig noch so minderbemittelt sein - dulden durchgehende, sich langsamer bewegende Schlangen von Autos nicht. Selbst wenn sie sich nicht nur auf der eigenen, sondern gleichzeitig auch auf der Seite des Gegenverkehrs bilden. Da müssen sie einfach durch, und da lassen sie sich auch nicht von den die vielen blumengeschmückten Gedenktafeln und Kreuzen  am Straßenrand stören.

Säßen sie nicht auf dem Bock, sondern im Auto, fände leider kein Umdenken statt. In ihren Herzen ist die Vorfahrt nämlich vorrangig programmiert.

Das wird deutlich, wenn unsere Gastgeber sich eher ungewollt vom Autofahrer, Motorino-Matador, selbst von einem Ciclista in einen Pedone, einen Fußgänger, verwandeln. Sich selber kennend misstrauen sie dann automatisch  nicht nur den Schildern "precedenca ai pedoni", sondern auch Fußgänger-Ampeln und Zebrastreifen - striscie. Italien ist tatsächlich das einzige Land auf der Welt, in dem sich Fußgänger dafür bedanken, dass man als Autofahrer vor dem Zebrastreifen hält und nicht versucht, sie über den Haufen zu fahren.

Seit eineinhalb Jahrzehnten versuche ich nun heraus zu finden, ob die Gewichtung von Vorfahrt und Vorrang nicht am Ende von den Genen bestimmt wird, wie das Einhalten von Verkehrsregeln generell. Vielleicht haben wir ja die vielen Hinweise auf der Autobahn über die drohenden Verluste von Punkten (insgesamt gibt es zwölf, die sich nach und nach gen Null zum Führerschein-Entzug reduzieren) nur missverstanden, und es ist wie bei den zehn Geboten, die zwar einleuchten, aber in Ermangelung eines direkten Schmetter-Blitzes vom lieben Gott doch eher als Kann-Regeln missverstanden und daher so oft gebrochen werden...

Also hier ein Beispiel:
Im Tal-Ort gibt es wegen einer Verengung eine Ampel, die vermeidet, dass es Gegenverkehr gibt. Da freut man sich - zumal die Sekunden der Durchfahrt-Dauer digital angezeigt werden - wenn man Grün hat und beschleunigt. Kurz vor der Ampel gibt es jedoch eine Zufahrt, die natürlich keine "precedenza" hat -Wenn man nicht Einheimischer ist und nur die leere Lücke zwischen dem Halte-Strich und der Ampel sieht. Dann gibt man auf gut Glück auch Gas.

Also ich - reaktionsschnell in die Eisen und dem Giovane fast in die Seite. Doch anstatt sich zu freuen, dass er vor einem mächtigen Schaden und Punktverlusten wegen Missachtung der Vorfahrt bewahrt wurde, bremst der Kerl nach seinem Powerslide und brüllt durchs offen Fenster:"
Inserisci la patente da voi vecchio pazzo!!!"
Gib deinen Führerschein ab - du alter Trottel!

Samstag, 6. September 2014

Francobolli

Als sich Ende der 1960er abzeichnete, dass aus der Urlaubsbekanntschaft meiner kleineren Schwester ein Schwager werden würde, der für nachhaltige "italienische Momente" in unserer Familie sorgen sollte, beeilte ich mich zu den italienischen Gesten, die ich ihm bereits abgeguckt hatte, auch ein paar Brocken der Sprache zu lernen.

Damals hießen die dritten TV-Programme der ARD noch Studienkanäle. Neben "Cordialmente da Italia" gab es auch einen Sprachkurs mit einer hinreißenden donna matura, die den Sexappeal der unvergessenen Schauspielerin Anna Magnani ausstrahlte . Es ist anzunehmen, dass meine spätpubertären Sinne eher durch sie angeregt wurden, als durch die Sätze, die sie via Flimmerkiste beibrachte.

Einer ist dennoch wegen seiner Unsinnigkeit in meinem Gedächtnis geblieben:
"Il gatto di signor Borgo ha mangiato il francobollo della signora Bianca."
Was immer den Kater von Herrn Borgo dazu gebracht hatte, die Briefmarke von Frau Bianca zu fressen - keiner konnte damals ahnen, dass Briefmarken dereinst in ein vorfossiles Stadium übergehen würden.

In Zeiten von e-mails, SMS, Twitter und sonstigen Kommunikations-Methoden befinden sich Briefmarken eindeutig auf dem Rückzug; gerade im "telefoninosierten" Italien. Da Postämter immer rarer werden, gibt es nur wenige Verkaufsstellen und noch weniger Käufer...

Nur eine kleine deutsche Frau in einem abgelegenen Wehrdorf  besteht noch hartnäckig darauf, frankierte Postkarten und Briefe in alle Welt zu verschicken:

Der kluge Leser wird es erraten haben, es handelt sich dabei um die "Zweitbeste Ehefrau von allen", die immer fleißiger an ihrem Ruf als "ungekrönte Königin des Vergessens" arbeitet. Ich liebe zwar ihren Traditionalismus, aber manchmal geht sie mir damit ganz schön auf den Zeiger und strapaziert meine Langmut. Was ich einfach nicht verstehen kann, ist die Tatsache, dass diese Frau, die noch vor ein paar Jahren mit Computer-Programmen, die ich nie verstanden habe, Finanzbuchhaltung, Löhne, Gehälter und Abschlüsse unserer Firma bearbeiten konnte, zu einer derartigen Elektronik-Verweigerin werden konnte. Selbst ihr mit Strass geschmücktes Uralt-Handy wird bereits von einschlägigen Museen als begehrenswertes Sammlerstück beäugt.

Letzte Woche jedenfalls trieb sie das Thema Briefmarke auf die Spitze. Weil sie sich darüber aufgeregt hatte, dass die Damen hinter dem Schalter immer so langsam sind, ist sie dazu übergegangen Briefmarken auf Vorrat zu kaufen...

Und plötzlich war dieser verschwunden. Sie ließ mich hautnah an diesem Drama teilhaben. Anfangs machte ich mir sogar die Mühe, auch darüber nachzudenken, wo sie sie verwahrt haben könnte. Wir haben nicht weniger als zwei Dutzend Möglichkeiten in Erwägung gezogen, Schließlich riet ich ihr, ihre Tasche, die sich schon mehrfach als Bermuda-Dreieck für Unauffindbares erwiesen hatte, gänzlich umzustülpen. Was sie natürlich verweigerte, weil es Tage gedauert hätte, sie wieder einzuräumen...

Gestern bin ich dann - während sie im Postamt einen neuen Vorrat kaufte - auf die Idee gekommen, mit geschlossenen Augen ihr postalisches Verhalten des in Frage kommenden Zeitraums  zu rekapitulieren:
Einen wichtigen, frankierten Brief hatte ich im Tal  persönlich eingeworfen, dann erinnerte ich mich, dass sie mindestens dreimal mit einem Packen Briefe über die Piazza zu unserem Dorf-Briefkasten gegangen war. Auch hatte sie später noch zwei Postkarten mit Geburtstagsgrüßen eingeworfen.

Dann kam sie von der Post mit den Marken in der Hand zurück und verstaute sie mit mir als Zeugen - eigentlich wie immer - in ihrer Brieftasche.
Frage: Wie viele Briefmarken kaufst du eigentlich immer?
Antwort: Immer für einen 10-Euro-Schein.
Frage: Könnte es dann nicht sein, dass du den letzten Vorrat nicht verlegt, sondern verbraucht hast?

Ich zählte ihr noch einmal die Stationen auf, die ich aus dem Gedächtnis rekapituliert hatte, und freute mich über das Leuchten der Erkenntnis in ihren Augen. Dann sprang sie aus dem Auto und steuerte erneut auf das Postamt zu.

Frage: Was ist denn nun schon wieder?
Antwort: Ich muss noch mehr Marken kaufen. Ich weiß doch, dass du in deinem doofen Blog gleich wieder Gemeinheiten über meine Vergesslichkeit schreiben wirst. Da muss ich meinen Freundinnen doch schreiben, dass sie das bloß nicht glauben sollen....

Mittwoch, 3. September 2014

Avanti!!!

Zeit meines Lebens als Wärter meines  privaten Menschenzoos aber auch als Reporter des Unnützen passierte mir immer das selbe, wenn ich mit Menschen zusammen kam, die das Ideal übertrafen. Ich meine jetzt Menschen, die die ohnehin schon nicht glaubhaften Darstellungen in Romanen, Filmen oder im Fernsehen an Güte in der Realität noch übertreffen... Immer dann muss ich nämlich verstohlen mit Tränen kämpfen  Vermutlich aus zweierlei Gründen: Weil mir erstens klar wird, wie weit ich von meinen eigenen Ansprüchen an mich unüberbrückbar entfernt bin. Und zweitens, weil mir auch beim professionellen Nachhaken nicht klar wird, wie es diese mustergültigen Menschen schaffen, dauerhaft so zu sein, wie sie sind.

Unsere Dottoressa hier ist so ein Mensch. Nicht, dass wir permanent bei ihr im Wartezimmer säßen. Ich zum Beispiel war seit dem Infarkt der "Zweitbesten" nicht mehr in ihrer Praxis. Was mich aber zusammen mit anderen Berichten über sie dennoch befähigt, ein Urteil über ihr Gemüt abzugeben. Das unterliegt offenbar keinerlei Schwankungen , obwohl wir erfuhren, was sie zwischenzeitlich hat durchmachen müssen...

Das Kommando "avanti!", das je nach Betonung "vorwärts marsch!", "na los!", "mach schon!" oder wie in ihrem Falle "der Nächste bitte!" bedeuten kann, kommt bei ihr mit einem heiteren Gluckser aus der Kehle. Das zeigt zweierlei: Sie freut sich auf den Nächsten, selbst wenn er oder sie ihre Dienste unbekannter Weise zum erst Mal in Anspruch nähme.  Zweitens - egal wie voll ihr Wartezimmer ist, lässt sie sich nicht stressen. Sogar wenn ihr Schwager, der als Sprechstundenhilfe wirkt, mal wieder mit dem Computer-Programm durcheinander gekommen ist. Sie ist kaum jünger als wir, müsste eigentlich schon deshalb unter Dauerstress leiden, aber schafft es dennoch mit ihrer Empathie alles in allgemeine Sympathie zu verwandeln.

Sie nimmt sich nicht nur Zeit, sondern geht auf den Menschen im Patienten ein, was wir in Deutschland ja eigentlich gar nicht mehr kennen. Gerade haben die niedergelassenen deutschen Ärzte ja ein Milliarden-Paket beansprucht - für ihr "der Nächste bitte!". Da treibt es uns die Schamröte ins Gesicht, wenn wir wissen, was La Dottoressa einmalig  im Jahr dafür bekommt, dass wir in ihrem Patienten-Stamm sind - egal, wie oft wir sie aufsuchen.

Diesen Patienten-Stamm hat sie  bei 1.300 Personen gedeckelt,  aber zum Urlaub kommt sie im Juli-August-September. dennoch nie.
"Da kommen ja meine ganzen deutschen Patienten. Die brauchen mich doch!" Aber nicht nur die. Sie macht natürlich auch Vertretung für ihre italienischen Kollegen, die wie selbstverständlich ihre Praxen Ferragosto dicht machen.

Dann passiert es schon ein, zwei mal, während man bei ihr sitzt, dass sie sich noch am Telefon geduldig Patienten anhört, deren betreuende Ärzte bereits aus dem Urlaub zurück sind. Sie ist in ihrer Ruhe einfach nicht zu erschüttern, obwohl sie sich zwischenzeitlich von lieblich rundlichen 90 Kilo auf 65 reduziert hat.  Ich wäre da nur noch ein Nervenbündel. Sie ist heiter, charmant und mit der kessen Berliner Schnauze auch einmalig witzig. Übrigens hat sie zum Abnehmen einfach nur die Stress-Schokolade nach der Pflege ihres tödlich erkrankten italienischen Ehemanns weg gelassen.

Hätte ich nicht die "Zweitbeste" - ich würde ihr einen Antrag machen. Aber sie würde mich ja ohnehin nicht wollen. Ich bin ja viel zu wenig stressig!

Sonntag, 31. August 2014

Alles eine Frage der Perspektive

Morgen - so sagen die Meteorologen - ist Herbst-Anfang. Vielleicht sollten sich die Wetterfrösche wieder daran gewöhnen, dem kalendarischen den Vorzug zu geben. Denn hier steht die erste Septemberwoche, voll im Zeichen des Sommers. Die Vorhersage sieht Temperaturen vor, wie sie der gesamte August und auch der Juli nur teilweise bereit gehalten haben.

Unseren Gastgebern, aber auch den Deutschen im Schluss-Spurt der Ferien kommt das gerade recht, denn traditionell ist ja dieses Wochenende der Höhepunkt der Ferragosto-Riten. Was bedeutet, dass der Italiener per se und seine europäischen Epigonen im dolce far niente sich in eingeölte Sardinen verwandeln und  nur dann zufrieden sind, wenn sie alsbald Hüfte an Hüfte mit wildfremden, triefenden Mitmenschen auf lettini unter Sonnenschirmen zu horrenden Mietpreisen schwitzen. Nicht ohne sich zuvor noch bei den wenigen Parkplätzen auf Goldpreis-Niveau abzocken zu lassen...

Gerade noch mit den Bildern von den Vertriebenen und Ausgebombten in Syrien, im Gaza sowie dem Irak beschäftigt, wo Menschen unfreiwillig solche Enge ertragen müssen, denkt sich unsereiner - privilegiert und vielleicht auch ein wenig hochnäsige - gut, dass uns dieser Zwang am Strand erspart bleibt...

Pustekuchen! Just an diesem denkwürdigen Tag ruft Alborello an, - der Socio, der sich um mein Fischerboot kümmert, das bald genauso betagt ist wie ich,. Nach dreimonatiger Beschaffung von winzig kleinen Ersatzteilen wäre jetzt endlich die Probefahrt zur Reparatur-Abnahme möglich. Zum Boot zu kommen, ist da ja noch leicht, denn wir dürfen für kurze Zeit auf der Mole parken. Aber eine kurze Zeit ist für die "Zweitbeste" ja immer noch zu lang. Sie geht lieber durch die Marktstände der anstehenden Sagra di San Lorenzo und vergisst die Zeit. - Was ja nicht so schlimm wäre, wenn sie ihr Handy dabei hätte.

Jedenfalls muss ich meinen gesicherten Parkplatz verlassen, ehe die Carabinieri mir und dem geduldigen Hafenmeister Ärger machen. Weit und breit kein regulärer Parkplatz in Sicht. Ich rufe die "Zweitbeste" an, lande auf der Mailbox und drehe eine Runde um den alten Ortskern. Da ahne ich noch nicht, dass das eine Never Ending Story werden sollte.

Es ist heiß. Alborello, und ich hatten auf dem Meer gerade noch darüber schwadroniert, wie angenehm der Nachtschlaf in diesem August gewesen sein, und was doch die Feriengäste für ein Pech mit dem Wetter gehabt hätten. Früher als sonst seien aber dadurch jetzt schon die Fische da. Vier Lampuge und neun Naselli habe er am frühen Morgen gefangen. 

Ich wäre jetzt schon froh, wenn ich nur einen ganz klitzeklitze kleinen Parkplatz ergattern könnte. Bei der neunten Runde und nach dem zwanzigsten vergeblichen Anruf wird mir langsam klar: Die Königin des Vergessens hat ihr Handy nicht dabei und wohl obendrein mit irgendeiner zufällig getroffenen Bekannten die Zeit verratscht.

Ganz hinten - fast schon in der Nachbargemeinde - ergattere ich nach beinahe zwei Stunden an einem staubigen Bauzaun einen gebührenpflichtigen Parkplatz und mache mich in der Gluthitze des August-Nachmittags auf zu unserer Lieblingsbar (offseason versteht sich!). Ich finde sie zunächst nicht. Im Herbst stehen am Strand ein paar Schirme, aber die Terrasse ist voll belegt. Jetzt sitze ich dort allein. Die "Zweitbeste" ist nicht da. Irgendwo da vorne müsste eigentlich das Meer sein, wenn man es sähe. Aber das geht bei voll besetzten Fünfer-Reihen unter aufgespannten Sonnenschirmen rund um die Bucht nicht.

Ich habe noch Alborellos Mitgefühl mit den armen Feriengästen im Ohr: Wann sollte man sie mehr bedauern? Bei schlechtem Wetter oder im tausendfach geteilten Hochsommer?

Es ist alles eine Frage der Betrachtungsweise oder gar der Perspektive. 

Heute bei unserem Stamm-Restaurant am alten Hafen von Oneglia weht durch die Arkaden eine angenehme Brise, und es flanieren vor allem junge Paare mit Kleinkindern, die in der Hitze vielleicht quengelig würden. Die Atmosphäre ist heiter und entspannt  - wie in einem italienischen Film der fünfziger Jahre. Beim Servieren ist so wenig los, das wir unseren Stamm-Ober sofort vermissen. Einen mehrsprachigen Bullen vom Typ Türsteher, den wir für das Urbild eines Italo-Machos gehalten haben...

Vom Padrone hören wir, dass er sich bis Dezember abgemeldet habe: Wegen eines humanitären Freiwilligen-Einsatzes in Afghanistan. Der dort nämlich Gebürtige hilft,  am Hindukusch Zerstörtes wieder aufzubauen.  

Wir werden ihn beim nächsten Mal mit ganz anderen Augen aus einer vollkommen neuen Perspektive betrachten. Ist eben alles eine Frage der Perspektive...

Donnerstag, 28. August 2014

"Hummage" an ein Krustentier

Mit Bildern auf Bestellung halte ich es genauso wie mit Witze Erzählen auf Kommando: Ich mag es einfach nicht, und es müssen schon die besten Freunde sein, wenn ich dann doch mal nachgebe. Die neapolitanisch-deutsche Nachbarin Petronella, die zum Geburtstag immer mal wieder ein Bild nach meinem Gusto gemalt bekommt, lag mir seit Jahren in den Ohren, sie hätte gerne für ihre Küche endlich einen Hummer auf schwarzem Grund.

Den hat sie jetzt bekommen, weil sie mein schlechtes Gewissen gegenüber diesem Krustentier kennt. Ihr seht es jetzt hier anstelle des sonstigen Aquarells, damit ich meine Schuld als einer der größten Fressfeinde des Hummers wieder ein wenig abtragen kann.

Mein Lebenslauf ist geprägt von schier unglaublichen Hummer-Orgien und einem permanent wachsenden Bedürfnis nach Ausgleich. Deshalb habe ich schon vor langer Zeit damit begonnen, für jedes Tier, das ich verzehrte, eines zu malen. Das begann allerdings erst in dem Jahr, in dem ich versucht hatte, in meinem Garten-Teich australische Süßwasser-Hummer anzusiedeln. Das waren wirklich niedliche Exemplare von denen eines dreimal soviel kostete wie ein für den Verzehr bestimmtes Tier. Leider konnte ich da nicht ahnen, dass das Entenpärchen, das jedes Jahr seinen Nachwuchs in unserem Garten aufzog, meine Leidenschaft für diese Krustentiere teilte. Ehe ich mich versah, verschmatzten sie die armen Tierchen und verfütterten sie auch an ihren Nachwuchs.

Die zweite tragische Begebenheit traf meinen Vater, der bei einem von mir zubereiteten Weihnachtsessen beinahe an einem Hummerstück erstickt wäre, dass die Internationale der Krustentiere eigentlich als Rache für mich vorgesehen hatte. Schon deshalb malte ich fortan jedes Hummerbild ("Hummagen" als Hommage) mit besonderer Demut und verteilte sie auch weltweit, in der Hoffnung ungestraft davon zu kommen.

Bei den Simpsons gibt es eine Folge, in der Homer unter Tränen aber mit großem Genuss einen lieb gewonnenen Hummer verspeist. Da erkenne ich schon ein paar Parallelen. Mir tat es auch jedes Mal leid, wenn ich die Tiere kopfüber ins kochende Wasser warf. Es wäre aber gelogen, wen ich das als Grund aufführte, sie selbst nicht mehr zu zu bereiten. Der wahre Grund ist, dass die Internationale doch noch einen Weg gefunden hat, sich an mir zu rächen: Durch Gicht-Anfälle und Nierensteine aufgrund des Purin-Gehaltes von Hummerfleisch...

Aber ich bin ja auch nicht alleine Schuld gewesen (das behaupten Unholde immer). Es gab auch diese verführerischen Momente, gegen die man sich nicht wehren konnte:

Auf Valencia Island in Irland waren meine Frau, meine Schwiegermutter und ich einmal wegen anhaltenden schlechten Wetters (!?) die einzigen Gäste in einem Grandhotel. Wir hatten mit Abendessen gebucht. Ob wir etwas dagegen hätten wenn als "Catch of the Day" ohne Aufpreis Lobster serviert würde? Und dann kam für uns drei ein Ungetüm an den Tisch, dessen Zangen alleine schon Fleisch eines Kilo-Hummers hatten.

Auf Rodrigues im Indischen Ozean gibt es im Korallen-Shelf einen hüfthohen Kanal, aus denen bei Ebbe die lizenzierten Fischer quasi die Hummer pflückten, die sie dann auch selbst an Ort und Stelle bis zum ermatteten Abwinken in einer Kokos.Chilly-Sauce zubereiteten und servierten.

Und selbst im noblen Boston konnte ich nicht nein sagen, denn das "Legal Seafood"-Restaurant serviert im Ambiente einer Fischhalle so genannte Lobster-Platters. Fünf pfundschwere, megafrische Hummer mit Baguette und Knoblauchbutter. Allerdings mit der Herausforderung, wenn du zu zweit zwei schaffst, bekommst du eine dritte gratis. Wenn du fünf schaffst, zahlst du gar nichts und kommst auf die Ehrentafel. Auf der standen noch keine deutschen Gäste...Allerdings dürften die Betreiber durch unsere Champagner-Rechnung mit einem blauen Auge davon gekommen sein.

Ich bin da nicht stolz drauf. Vor allem im Rückblick ist mir das jetzt beim Schreiben doch peinlich. Auch wenn ein weiterer Verführer, Alf Ramsey, Lobsterkönig von South Australia, mich mit seinem Spruch bestätigte, den er immer anbrachte, wenn ihn jemand danach fragte, wie er seinen Hummer am liebsten äße:
"The only way I like Lobster is with more Lobster!"

Nach dem Motto werde ich zumindest meine "Hummagen" weiter malen - wenn ich die Viecherl schon nicht mehr essen darf... 

Dienstag, 26. August 2014

Komische Wiederholungen

Normaler Weise zappen die "Zweitbeste" und ich sofort weiter, wenn das Werbefernsehen kommt. Seit sich die Sender jedoch offenbar zeitlich mit ihren Unterbrechungen abstimmen, resignieren wir immer häufiger und werden durch die permanenten Wiederholungen der Werbe-Botschaften konditioniert. 

Mit komischen Folgen:
Seit da in einem Spot ein junges Pärchen in einem Auto mit gesprochener e-mail-Wiedergabe fährt, hat sich dieser eine Satz in unsere Gehirne gehakt:
"Deine Eltern sind ja auch irgenwie komisch!" Sagt der junge Mann.

Nicht, dass wir uns diesbezüglich hinterfragen, ob wir als Eltern komisch sind. Nein, keiner von uns beiden kann seither noch das Wörtchen "komisch" aussprechen, ohne dass der andere dieses Wort erheblich in die Länge gezogen wiederholt. Ein dümmlicher Wiederholungseffekt, aber lachen tun wir dennoch jedesmal.

Bei mir führt das selbstkritisch zu der Frage, ob wir komisch finden, wenn sich etwas wiederholt, oder ob Wiederholungen uns einfach nur geistig abstumpfen.

Für erstere Überlegung gibt es ja vor allem das Beispiel "Dinner for One", das sich die meisten von uns jedes Jahr an Silvester wieder reinziehen, um immer wieder an den gleichen Stellen zu lachen. In grauer Vorzeit war ich mal ein gefragter Witze-Erzähler, seither muss ich im langjährigen Freundeskreis immer wieder die gleichen Witze vom Huber-Bauern erzählen, damit die sich wie vor vier Jahrzehnten vor Lachen ausschütten können. Nun bin ich mit neuem Repertoire äußerst vorsichtig... Habe aufgehört, der Pausen-Clown zu sein.

Selbst hier auf der Burg ist das Leben eine schier endlose Wiederholung von Vorgängen, die uns erheitern, die wir komisch finden:

Wenn beispielsweise unser Nachbar Vittorio pünktlich über die Piazza schleicht, um die Happy Hour bei seiner ehemaligen Geliebten und immer noch Angebeteten unten in der Bar Girasole zu verbringen. Dabei schmunzeln wir gewiss nicht  über den von den Folgen eines Aneurismas betroffenen Freund, sondern über seinen Kater Lazaro, der ihm wie ein Hündchen brav an den Fersen bis zur ersten Stufe der Treppe folgt und da mit einem beleidigten und auch vorwurfsvollen Maunzen sitzen bleibt, bis sein Herrchen außer Sichtweise ist. Seine Maunz-Mimik ist echt komisch!

Don Mario, der letzte  aus der Reihe der Hundertjährigen Geschwister, hat auch so ein komisches Ritual. Unter dem Torbogen zum Burgplatz hat er ein Gewölbe, in dem er sein Holz und andere Versorgungsgüter lagert. Das Gewölbe hat kein Schloss. - Nicht etwa weil ich, der von Gott ausgemachte Schlüssel-Dieb, ihn entwendet hätte. Mario hat die Tür schon immer mit einem dicken Faden - als Achten um zwei Nägel gewickelt - sorglos verschlossen. Wenn ich auf der Piazza sitze, dreht er sich verhuscht um, als könne ich die Kombination seines geheimen Safes ausspähen. Wenn er in seiner Remissa alles an seinem Platz gefunden hat, schickt er mir auch heute noch, da sich unser Verhältnis erheblich verbessert hat, einen triumphierenden Blick zu. Gerade dadurch, dass sich das immer auf gleiche Weise wiederholt, finde ich das komisch. Und deshalb schenke ich Mario ein heiteres Lächeln über die Piazza, das er mit einer verschmitzten Burggeist-Grimasse erwidert.

Die "Zweitbeste" und ich können auch davon ausgehen, dass die Zahl von Signora Electras Versuchen, uns nachhaltig für il Signore zu gewinnen, identisch ist mit der zur Zeit nicht endenden Zahl der von ihr überreichten Gurken. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, aber wir würden nicht auf die Idee kommen, uns damit über unsere Nachbarin lustig  zu machen, denn Wiederholungen haben eben auch tragische Schatten-Effekte.

Gestern gerade habe ich - quasi als Initial-Zündung für diesen Text - Heinrich August Winklers zweiten Band zur  "Geschichte des Westens" zum wiederholten Mal nach kurzem Weiterlesen aus der Hand gelegt. Da vergeht einem jeder Sinn für Komik bei Wiederholungen, denn gerade beweist der Westen zum wiederholten Mal, seine Hilflosigkeit gegenüber Diktatoren, Despoten, Tyrannen und Terroristen. Man könnte meinen, die Abstumpfung bei sich wiederholenden Signalen der Geschichte folge einem höheren Plan. Und das - liebe Leser - ist gar nicht komisch.

Freitag, 22. August 2014

Die "Babylonische Gefangenschaft" in der Ära Google

Als kleiner Junge in der Vor-Lego-Zeit hatte ich wunderschöne Vollholz-Bauklötze, die farbig lackiert waren. Mein Ehrgeiz war es, sie mindestens so hoch aufzutürmen, dass sie meine Körpergröße erreichten: drei Käse hoch also. 

Da die Zahl meiner Bauklötze begrenzt war, ersann ich immer neue Fundamente und fragilere Konstruktionen um den Turm höher zu machen. Wann immer aber ich das Ergebnis meiner Baumeister-Tätigkeit stolz meinen Eltern zeigen wollte, konnte ich sicher sein, dass eine meiner um einiges älteren Schwestern aus Versehen dagegen stießen...

Als die alttestamentarische Infiltration der Volksschule beim Turmbau zu Babel anlangte, hatte ich längst kapiert, dass wo einer einen hohen Turm baut, immer auch einer in der Nähe ist, um ihn zum Einsturz zu bringen. Wobei Jehova eben mit der Sprachverwirrung den nachhaltigsten Schaden angerichtet hat.

Schon im toskanischen San Gimignano der Renaissance passierte etwas, das mit Fug und Recht dem Schwanzlängen-Vergleich von Machos gleich gesetzt werden kann: Ich habe den Höheren (Längeren). Ergo bin ich reicher und mächtiger als du!

In New York setzte sich das bis zum Einsturz der WTC-Towers fort, was dann als Willen Allahs mit endlosem Blutvergießen bis heute propagiert wird. Besteht da ein psychologischer Zusammenhang, dass nun mit dem Burj Khalifa in Dubai und dem Mecca Clock Tower Hotel zwei der höchsten Gebäude in diesem Dunstkreis stehen, und mit dem Kingdom Tower im saudiarabischen Dschidda erstmals die 1000m-Marke übertroffen werden soll???

Die Botschaft ist klar: Unser Gott ist viel größer als Eurer, und wir sind viel reicher als alle. Deshalb finanzieren wir auch die IS-Terroristen, auf dass sie einen Gottesstaat von grausamer, mittelalterlicher Realität schaffen.

Wenn zwei wechselseitig die gleiche Sprache des jeweils anderen sprechen, heißt das in diesen Zeiten aber noch lange nicht, dass sie sich auch verstehen müssen - wie der Dialog Merkel-Putin drastisch zeigt.

Aber der Gott, der die Sprachverwirrung auf dieser Welt oder gar unsere "Babylonische Gefangenschaft" beenden könnte, heißt mit Sicherheit auch nicht Google. 

Sorry für diesen scheinbar unpassenden Querstrich in meiner Parabel, aber wenn die Computer-Algorithmen des Google-Übersetzers es nicht schaffen, die Hilflosigkeit gegenüber denen, die eine andere Sprache sprechen zu überbrücken, sind wir ja weiter von inobjektiven Dolmetschern  aus Fleisch und Blut abhängig. Wir können also niemals ganz sicher sein, dass in Verträgen, Abkommen und Resolutionen nicht ein verhängnisvoller Übersetzungsfehler die Menschheit ins Verderben führt...

Ein Beispiel von der Burg:
Da ich leider immer noch nicht gut genug Italienisch kann, um eine für geschäftliche Abschlüsse hier häufig erforderliche carta bollata aufzusetzen, baue ich mir Texte aus alten vertraglichen Vereinbarungen mit den neuen Fakten zusammen und gebe sie dann in das Übersetzungsprogramm ein. Zur Sicherheit formuliere ich aber das Ganze auch noch mal komplett auf Deutsch. Meine rudimentären Kenntnisse in der Sprache meines Gastgeberlandes lassen das meist nur so lange plausibel erscheinen, wie ich nicht den Fehler mache, den italienischen Text noch einmal zurück ins Deutsche übersetzen zu lassen. Das Deutsch, das dann dabei heraus kommt, lässt mich ahnen, dass das Italienisch ähnlich unverständlich ist. Gott oder Allah oder Google sei Dank, dass es bloß um eine Fassaden-Ausbesserung meiner mittelalterlichen Bruchbude geht. Nicht auszudenken, wenn die NSA meinen zusammen gestückelten Text falsch interpretiert und dadurch hier eine Belagerung des Borgos auslöste. 

Na, wenigstens haben die Bürger aller europäischer Nationen hier oben noch nicht mit dem Bauen von Türmen angefangen...

Mittwoch, 20. August 2014

Sarah!!!

Nicht wenige Leserinnen suchen meinen Blog nur auf, um sich in ihrer Ansicht bestätigt zu sehen, dass es sich bei mir um einen unverbesserlichen Frauenverächter und Macho handele. Das belege ja schon allein die Tatsache, dass ich mich "permannent" über meine Frau lustig mache. 

Und überhaupt: Diese Zurücksetzung, seine eigene Ehefrau lediglich als "Zweitbeste" zu bezeichnen, wo doch die Frau, mit der man eine Ehe eingehe, per se lebenslänglich nur die Allerbeste zu sein habe...

Und dass ich mich hier bei der Weiblichkeit - gleichgültig ob Berg oder Tal - exklusiv auf meine Wirkung als Babo Natale verlasse, sei ja wohl die allerletzte Tarnung. Keiner glaube doch noch an den Weihnachtsmann, einem zeit- und geschlechtslosen Oldie, der sich in einem verbogenen Raum-Zeit-Kontinuum von rotnasigen (natürlich weiblichen) Rentieren - auch wenn sie sich Rudolf nennen - übers Firmament ziehen lasse. 

Ihr lieben Blog-Suffragetten da draußen im Worldwide Web! Macht mir meine "Zweitbeste" nicht madig. Abgesehen davon, dass die keinen einzigen meiner Blogs liest, hat sie auch die beängstigend beeindruckende Fähigkeit des sofortigen Vergessens. Sie könnte - wäre sie empfindlich - von mir also gar nicht beleidigt werden oder es gar sein.

Ich möchte mich nicht groß rechtfertigen, aber vielleicht überzeugt die Tatsache, dass ich zwei der wählerischsten weiblichen Herzen des Borgos auf Dauer ganz von selbst und ohne besondere Verführungskünste für mich gewonnen habe:
Von Ginger habe ich ja schon geschrieben, aber dass die verhuschte Sarah nach verdrucksten Jahren unter herrischer Fuchtel, kaum dass sie das Haus verlässt, zu mir kommt, um sich entgangene Zärtlichkeiten ausgleichen zu lassen, sollte doch meine schärfsten Kritikerinnen verstummen lassen.

Sie lebt ja eigentlich mit Ina zusammen, aber das reicht ihr offensichtlich nicht. Da kann noch so streng "Sarah!!!" durch die Gassen gerufen werden. Sie gibt sich mir hin und vergisst alles, wenn ich ihre Ohren liebkose. Gerade Spaniel-Damen sind da ja - Zucht bedingt - sehr empfindlich.

Sonntag, 17. August 2014

Ein so weit kurzer Weg

Gestern humpelte der ewig junge und fitte Severino, unser ehemaliger Rosenzüchter aus Sanremo, an Krücken über die Piazza, um nach seinen Ferien-Appartements zu gucken. Auch nach den beiden kürzlich eingesetzten, künstlichen Kniegelenken, glaubt keiner, dass er bereits einiges über 70 ist. Aber er brachte die Urangst aller Burggeister zur Sprache: Was wird hier auf der Burg aus dir, wenn du nicht mehr richtig laufen kannst?Seit wir auf die Burg gezogen sind, beschäftigt uns diese Frage natürlich auch zunehmend. Zwar sind es nur etwa dreihundert Schritte vom Parkplatz zur Piazza hinauf, aber je nach Tagesform werden die von Jahr zu Jahr beschwerlicher, wenn sie sich auch noch nicht "vermehren" oder bereits zu längeren Pausen nötigen...Immerhin bin ich im Frühjahr mit einem gewaltigen Muskelriss verspätete angereist und habe seither schmerzhaft Stufen, Unebenheiten und veränderte Steigungen bemerkt, die ich früher gar nicht wahr genommen hatte.Die hier oben Geborenen können wir dabei für uns nicht als Maßstab nehmen. Sie haben sich eine ökonomische Gangart angewöhnt, die ich bei vielen Menschen in den Bergen beobachten konnte. An der Ausgezehrtheit der Männer allein kann es auch nicht liegen, denn die meisten Witwen lassen es sich wie Ina oder Marina recht gut schmecken und legen ganz schön Gewicht auf ihre Garten-Arbeit.

Ich habe den Verdacht, dass sie alle über das Bergauf und  Bergab gar nicht groß nachdenken. Sie haben keine Ahnung wie viele Schritte es rauf oder runter sind, weil ihnen ihr Leben hier oben diese diversen Gänge schon immer abverlangt hat. Solche Fahrstuhl-Weichlinge wie ich einer geworden bin, können sie nur müde belächeln.
Die "Zweitbeste" und ich gehen zweimal pro Woche unsere Frisch-Vorräte einkaufen. Mit diversen Fläschchen sind das dann rund 20
Kilo für mich und etwa die Hälfte für meine Frau, die nach oben geschleppt werden müssen. - Nicht immer trösten wir uns damit, dass uns das auf Dauer einen Rest Fitness bewahrt. Manchmal kommen wir ganz schön ins Schnaufen und nähern uns dem Zustand, in dem wir unser Jahrzehnte langes Wohlleben verfluchen könnten. Aber dann nehmen wir einen hoch geschleppten Schluck auf der Piazza oder auf der Terrasse, und sehen uns vorerst noch jedesmal nachhaltig belohnt.
Noch haben wir ja die Option, dass wir nicht in einem Stück nach oben stieren, sondern am Treppenabsatz oder vor der Steigung eine Verschnaufpause einlegen - wenn keiner guckt...
Kurioser Weise haben wir neulich festgestellt, dass das Runtergehen meist länger dauert. Wir gehen ja immer an Markttagen, an denen die Burggeister generell lebhafter sind. Das führt dazu, dass wir bereits am Ausgang von der Piazza von der Seelenfängerin  in ein Verhör über die beabsichtigten Einkäufe verstrickt werden. Wir haben uns angewöhnt, ihr Absichten über den Erwerb von Obst und Gemüse zu verschweigen, weil sie sonst sofort losgeht, um ihre Erträge mit uns zu teilen.
Auf halbem Wege lauert unser Burgnarr Camillo, weil er auf eine Mitfahrgelegenheit spekuliert. Leider schwört er - wie in den Burgbriefen bereits berichtet - auf eine Zahnhygiene mit spitzen Chill-Schoten, Knoblauch und Grappa, was ihm auf der Rangliste der Beifahrer keinen Vorzugsplatz einräumt. Selbst wenn wir heil an ihm vorbei sind, ist bestimmt Giovanna mit ihrem Falco unterwegs oder sitzt vor ihrem Haus am Einstieg zur Treppe. Ja, und dann kann am Parkplatz ja keiner einfach so kommentarlos in sein Auto steigen, wenn andere auch dabei sind, ins Tal zu fahren. Eine halbe Stunde hat letztlich der Weg zu unserem Auto gedauert. Wir haben deshalb die letzten Köstlichkeiten im Angelo di Pane von Oneglia verpasst. Spätestens ab 11 Uhr ist der kleine Laden immer komplett leer geräumt. Da hilft dann auch mein von den Damen hinter dem Tresen stets heiter bejubelter Sonderstatus als Babo Natale nichts. Bis Weihnachten ist ja meist noch lang hin

Mittwoch, 13. August 2014

Vollkommen vergurkt

Es stimmt traurig, wenn die Allmacht und Ohnmacht im ausgeliefert Sein bei Propaganda und Gegenpropaganda nicht nur den Putins und Erdogans dieser Welt in den Kram passt, sondern auch auf unserer friedlichen Burg ausgeübt wird:

Unser Nachbar, der Hotelier aus Rom, dem die Schlamperei bei der Versorgung mit Trinkwasser einen erheblichen Schaden als Vermieter von Ferienwohnungen beschert hatte, war Initiator einer mehrsprachigen Petition, die  - von den Burggeistern unterschrieben - die Gemeinde-Verwaltung veranlassen sollte, aufzudecken, wer für den Schlamassel verantwortlich war. Nicht aus Rachsucht, sondern um künftiges Ausbleiben  des Trinkwassers von mehr als 48 Stunden  in der August-Hitze nachhaltig zu verhindern. Ihm kann auch nicht vorgeworfen werden, er sei ein zugereister Meckerfritze, denn er ist hier auf der Burg geboren, und seine Mutter war im Talort eine geschätzte Gymnasial-Lehrerin.

Um es vorweg zu sagen: Nur ein geringer Teil aller Betroffenen hat unterschrieben, weil es der im Notfall noch so unendlich langsam reagierenden Gurken-Truppe blitzschnell gelungen war, die Verantwortung für ihr Versagen auf andere abzuwälzen. Denjenigen, die zuvor am lautesten gejammert hatten, leuchtete auf einmal ein, dass nur der Pool-Besitzer an der oberen Piazza mit seinem riesigen Wasserverbrauch schuld gewesen sein könne. Merkwürdig, dass dieser Vorwurf erst erhoben wurde, nachdem die Familie am Sonntag bereits abgereist war und sich dagegen  nicht mehr wehren konnte. Wie soll man beispielsweise der leichtgläubigen Seelensammlerin Electra, die sich weigerte zu unterschreiben, auch das Wirken einer umwälzenden Aufbereitungsanlage verklickern. Mehr als die Hälfte der betagten Burggeister, die ja auch Verwandtschaft mit Jobs in der Gemeinde haben, glaubt nun nämlich, dass das permanente Rauschen des Pools auch stetiger Trinkwasser-Verbrauch sei...

Eine Analyse zur Verbesserung wurde dadurch also vollkommen vergurkt, Was mich - auweia was für eine gewürgte Überleitung - zum angenehmeren Teil des Vergurkens bringt.

Noch nie - seit wir hier leben - hat es einen Juli oder August gegeben, in dem derart reichlich Wasser vom Himmel kam und die Nächte infolgedessen kühlen und angenehmen Schlaf bescherten. Alles blüht und steht in saftigem Grün. Die Gärten rund um die Burg sind geprägt von üppigster Gemüseproduktion.

Anscheinend ist ein Quantum des Wassers vor allem in die Freiland-Gurken geflossen. Nur, Gurken sind nicht so populär in Ligurien, und in solchen Massen schon gar nicht. Fast jeden Tag bekommen wir daher zwei bis drei von den grünen Riesen von unseren Nachbarn überreicht, die ja schon Probleme haben, ihrer zahlreichen monströsen Auberginen und Zucchini Herr zu werden.

Deutsche lieben doch Gurken! Und das tun wir auch, denn wer im Allgemeinen auf diese holländischen Treibhaus-Dinger angewiesen ist, hat ja längst verlernt, wie Gurke schmeckt. Aber jeden Tag Gurken-Salat ohne den hier unpopulären Dill? Da ist Kreativität gefragt.

Die Gurke gilt als schwer verdaulich und arm an Nährstoffen.  Vor allem, wenn sie aus optischen Gründen auch noch geschält wird. Dafür hat sie nur wenig Kalorien.  Das Universalmittel gegen vergurkte Langeweile heißt Konfektíonieren.

Hier und heute also zwei Ideen für Gurke als Vor- und Hauptspeise und - wie versprochen - eine weitere Drink-Variante für heiße Tage.

Mus oder Mousse

Zutaten:
Zwei große Freiland-Gurken, zwei mittelgroße mehlig kochende Kartoffel (ca. 250g), zwei weiße Zwiebeln, einen gehäuften Esslöffel getrocknete Dillspitzen (frischen Dill nur zum Abschmecken), zwei große Zehen frischen Knoblauchs, 20 Gramm klein gehackter, frischer Ingwer, einen gestrichenen Esslöffel grobes Salz, 40 Gramm Butter, 1 Liter Gemüsebrühe zum Angießen, reichlich Pfeffer aus der Mühle.

Zubereitung (erste Schritte auch für die Mousse):

Die geschälten  Gurken der Länge nach halbieren und mit einem spitzen Esslöffel komplett von den Kernen säubern. Dann in schmale Halbmonde in einen Topf schnippeln. Kartoffeln in feinen Würfeln hinzu sowie gehackte Zwiebeln, Ingwer und den Knoblauch. Auf niedriger Flamme mit der Butter gründlich unter Rühren anschmoren. Dann die Dillspitzen und Pfeffer sowie Salz hinzu geben bis der Schmor glasig wird. Nach und nach unter Rühren Brühe unterrühren und abschmecken, dass das nicht zu salzig wird. Immer wieder einkochen lassen und am Schluss einen Schuss süßen Essig zum Abrunden. Köcheln lassen, bis alles eine breiige Konsistenz hat.
Bis auf lauwarm abkühlen. Dann mit einem Löffel (oder einer "Flotten Lotte") durch ein feines Sieb passieren.

Das Mus schmeckt bereits lauwarm super, aber es gewinnt, wenn es eine Nacht lang -  natürlich abgedeckt - kühl gestellt wird. Ohne weiteres Zutun kann es am nächsten Tag - mit Krabben oder gebeiztem Lachs belegt - als überraschende, gekühlte Vorspeise serviert werden.

Oder ihr macht aus dem Mus, indem man es mit einem Achtelliter Sahne schaumig unter Hinzugabe von frischem Dill, Estragon und Petersilie aufkochen lässt eine Gourmet-Süppchen mit pochierten Wachtel-Eiern.
Damit das Mus zur Mousse wird, braucht es mehr Steifigkeit. Zu erreichen entweder durch vorsichtige Hinzugabe von ein wenig Brei hälftig aus Pastinaken oder Kartoffeln oder indem es mit der aufkochenden Sahne weiter reduziert und dann mit dem Schneebesen aufgeschlagen wird. Ein ideales Bett für erwärmten, geräucherten Aal als Hauptspeise. Ganz genial aber extreme Geschmackssache: mit unter gehobenem, grob gehackten Matjes als leichtes Sommer-Essen.


Buon Appetito!


Und als Aperitif- um im Thema zu bleiben:

Datscha Daiquiri


Zubereitung:

Gurken so in Halbmonde schnippeln wie oben. Dazu eine klein gehackte Spreewald-Gurke, das Grüne vom Fenchel, Salz, weißer Pfeffer und Eis sowie einen Schluck vom Gurkenwasser. Das Ganze kurz durch den Mixer jagen, ins Cocktailglas schütten und mit Wodka aufgießen. Früher haben sich damit die KGB-Agenten in Deutschland gegenseitig zur Strecke gebracht. Ein totsicherer Ankommer: riecht nicht, schmeckt geil, macht nicht dick, aber schnell blau...

Nastrovje  на сдорове

Sonntag, 10. August 2014

Senza Aqua!!!

Laut UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon sei jetzt mit dem Erreichen dieses Millennium-Ziels 89 Prozent der Weltbevölkerung der Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht worden. Die 11 Prozent Rest haben da allerdings nichts von. Wer Durst und eingeschränkte Hygiene persönlich erlebt, kennt solchen Schrecken. Die Qualen der Jesiden, die sich hoch ins Grenzgebirge zwischen dem Irak und Syrien vor den Irren des IS-Kalifats geflüchtet haben, könnten ein Klagelied davon singen, wenn wir sie denn hörten...

Wer hören will, muss fühlen! Ein alter Spruch und doch so wahr. Seit Freitag Vormittag gehören die Burggeister und ihre Gäste zu den 783 Millionen Erdenbürger, die keinen Zugang  mehr zu ihrem ansonsten sensationellen Quellwasser haben. Allerdings leiden wir auf einem recht hohen Niveau, und deshalb möchte mir diese Satire nicht so recht aus den Tipp-Fingern fließen.

In Ferragosto-Vorfreude haben die Wasserwerker der Gemeinde einfach mal vergessen, zu überprüfen, ob hier oben die Reservoire für die sich in dieser Zeit verdoppelnde Burg-Bevölkerung auch im ordentlich gefüllten Zustand befinden... Oh Schreck! Da waren sie plötzlich leer. Langjährige Bewohner sind das ja aus der Vergangenheit gewohnt gewesen. Aber wie verklickert ein Vermieter das, der sein Appartement Romantikern für bis zu 500 Euro pro Woche  auslobt? Da ist schnell Schluss mit mittelalterlichen Gefühlen, wenn Dusche und Klo nicht funktionieren...

Also kommt es zum Aufstand der Burgherren. Großes Palaver auf der Piazza, in dem die Schuldige schnell gefunden ist: Die frisch wieder gewählte Bürgermeisterin. Die Syndaca macht ihrem Ruf, von bestechender Schönheit, aber auch von arrogantem Interesse zu sein, sogleich auch alle Ehre. Die Revolution in ihrem Hoheitsbereich dauert noch keine zwanzig Minuten, da erscheint sie bereits im schulterfreien "Kleinen Schwarzen", das herrlich ihre dunklen Locken und schneeweiße Rundungen zur Geltung bringt. Begleitet wird sie von einem Maresciallo in frisch gestärkter und gebügelter Sommer-Uniform, der rhythmisch zu den salbungsvollen Worten der "Spitzen-Politikerin" nickt. Dann sind beide auch schon wieder verschwunden und überlassen die Lösung des Problems den schlecht bezahlten Gemeinde-Mitarbeitern, die - wie sich heraus stellt - keine Ahnung haben, wieso die mittlerweile wieder gefüllten Reservoire ihren Inhalt nur tröpfchenweise und dann gar nicht mehr an die Bevölkerung hier oben abgeben (derweil laufen unten im capo luogo die Vorbereitungen für die zwei großen Sommerfeste an diesem Wochenende, und auch die Kirche führt ihre servizii unverdrossen fort - schließlich steht ja la notte di San Lorenzo bevor).

Der ausgedörrte Blogger
 im letzten Hemd mit Hose
an der ausgetrockneten Fontana
 - die Waschmaschine geht natürlich
 auch nicht!
Wie sehr der Wassermangel auch dem Gehirn
 zusetzt,veranschaulichte mir die
"Zweitbeste". Meinte sie doch allen
Ernstes:"Für das Foto kannst du
aber das süße Zeugs nicht
nehmen. Das ist doch der Spumante
zum Kochen....
"Reiß mir nicht die Bällchen aus!", beschwert sich der Technik-Veteran Pierino in meiner abgemilderten Übersetzung, als er am Abend von einigen aufgebrachten Burggeistern getadelt wird, wieso er bei eben diesem Dorffest ungerührt beim Wein säße. Als einzige Sofortmaßnahme stellte die Freiwillige Feuerwehr einen Tankwagen unten an den Borge, den die vigilii del fuoco am liebsten gleich wieder weg gefahren hätten, weil sie befürchten mussten, die Bevölkerung tränke seinen Inhalt.

Stand der Dinge: Mehr als 48 Stunden sind wir ohne Wasser. Ich habe meinen "Mitleidenden" vorgeschlagen, dass wir das Darben in eine Solidaritätsveranstaltung für alle die im Gaza, in der Ukraine oder im Irak auch kein Wasser haben, umwidmen. Aber davon wollten die meisten nichts wissen. Sie wollen lieber zu San Lorenzo In Horto hinunter pilgern wo es heute Speis und Trank gratis auf Kosten der Gemeinde gäbe. Panem et circenses also. Bei 30 Grad kann man sich gut vorstellen, in welcher Dunstwolke das ganze stattfinden wird, und wie sich die Gläubigen dann wundern, wenn sie nach der schweißtreibenden Landpartie feststellen müssen, dass immer noch kein Wasser für eine erlösende Dusche da ist. Glaube versetzt vielleicht Berge, aber er lässt offenbar die Wasser nicht fließen.

Wie gesagt, wir jammern und dürsten auf hohem Niveau. Im Gegensatz zu allen Flüchtlingen dieser Erde bräuchten wir doch nur ins Auto zu steigen um ans Meer hinunter zu fahren. Aber die "Zweitbeste" und ich sitzen das aus, waschen uns und spülen unsere Toilette mit San Benedetto Naturale bis die happy hour heran bricht (die wir bei diesen Temperaturen vermutlich vorverlegen). Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben
Wein und Bier reichen noch für mindestens zwei Tage...

Freitag, 8. August 2014

Ernte-Zeit

Donna Ina ist ein Phänomen. Sie lässt mich einmal mehr darüber nachdenken, wie nicht nur in den vom Krieg erschütterten Regionen des Orients Frauen unterdrückt werden.  Auch im angeblich so emanzipierten und aufgeklärten Alltag des modernen Europas werden Frauen in ihrer Agilität und der Entfaltung eigener Fähigkeiten gebremst. Je mehr Witwen und allein stehende Frauen in meinem "sozialen Umfeld" selbstbewusst die Oberhand gewinnen, desto mehr befürchte ich, dass vielleicht auch ich der "Zweitbesten" in dieser Beziehung nicht der "allerbeste Ehemann von allen" bin, weil ich nach meiner beruflichen Hektik ihrer Lust, etwas zu unternehmen, nur zögerlich folge. Frauen sind offenbar besser geeignet auf der Zielgeraden  eine noch reichere Ernte ihres Lebens einzufahren.

Unsere Nachbarin Ina belegt meine These. Bis ihr Mann vor zwei Jahren kläglich an Krebs starb, war von ihr kaum etwas zu bemerken. Ihre Spaniel-Dame Klara war ein verhuschtes Wesen, das sofort davon rannte, wenn es nur angesehen wurde. Heute holt sich Klara, die wohl die Mangeljahre ausgleichen will nicht nur von selbst Streicheleinheiten ab, sondern nimmt auch mal ein Leckerli an, bevor sie mit ihrem mittlerweile 74.jährigen Frauchen durch den Borgo tobt.

Ina spricht Speis und Trank zu, als gäbe es kein Morgen, und beim nachbarschaftlichen cena in piazza überhäuft sie alle, die sie sich früher wohl nicht anzuschauen getraut hat, mit selbst gebackenen Kuchen und Spezialitäten ihrer casareccia Kochkunst. Sie nimmt in jeglicher Beziehung anteil am Leben hier oben, obwohl sie unten in der Stadt eigentlich ihren Hauptwohnsitz und ihre Restfamilie hat. Mühelos schlüpft sie von der elegante Städterin in ihre Rolle als Landfrau.
Ganze Tage verbringt sie in ihrem horto und abends geht sie in die Dorf-Bar, um mit den anderen Witwen bei Signora Girasole Karten zu spielen. Sie hat eindeutig ein "grünes Händchen", und wir kommen dadurch in den Genuss bester und frischester Garten-Produkte. Zur Ernte-Zeit hängt beinahe täglich eine Tüte mit Salat, Kohl, Bohnen, Zucchini, Gurken oder Früchten an unserer Haustür. Natürlich versucht die "Zweitbeste" mit kleinen Gegen-Geschenken die banca di favore, die Gefälligkeitsbank, in ausgeglichener Bilanz zu halten, aber das wäre gar nicht nötig. Im urchristlichen Sinne wird hier geteilt, was überreichlich vorhanden ist - sofern die Wildschweine nicht einfallen. In Tränen war die ihr neues Glück permanent ausstrahlende Ina neulich, weil die immer unverschämter werdenden Borstenviecher aus der Schutz-Zone in einer Nacht ihre gesamte Trauben-Ernte weg genascht hatten.

Beim letzten gemeinsamen Abendmahl auf der Piazza saß sie neben mir und meinte, was die "Zweitbeste" und ich doch für ein nettes Paar seien, und in einem Nebensatz, dass sie manchmal tatsächlich ihren marito vermisse. Ja, so sind wir Ehemänner. Wir wirken über den Tod hinaus - auch wenn wir vielleicht nicht die "Allerbesten" waren...

Sonntag, 3. August 2014

Gelindes, grünes Gift

Um es gleich vorweg zu sagen: Mit Kult-Köchen verhält es sich wie mit Bundestrainern. Auf einen kommen Tausende, die es besser wissen und sofort besser könnten. Also ließe mir Tim Raue, der geniale Küchenmeister aus Berlin - wenn er es denn läse  - höchsten ein ignorantes Pobacken-Runzeln zukommen. Aber das sollte die Fans meiner mit einem Hummer geschmückten Burgbriefe nicht daran hindern, mir einmal mehr zu vertrauen.

Tim Raue also hat im SZ-Magazin dieser Woche seinen Gewürz-Sud für Schweine-Rippchen offenbart. Was mich in sofern erschreckt hat, weil er nahezu eine Gewürz-Kombination beschreibt, die wichtiger Bestandteil für eine Grill-Sauce ist, die im Familienkreis Papa's-Own genannt wird und zum Grillen geladene Freunde seit mehr als zwanzig Jahren an den Rande der Ekstase treibt. Verraten habe ich sie bislang nie, aber ehe die fatalen Fehler von Herrn Raue die Runde machen, bin ich geradezu genötigt, solchen Unterlassungen Einhalt zu gebieten. Ich darf das, weil ich weiß, dass Raue seine Anregungen in erster Linie seinen Reisen nach Japan und China verdankt, aber ansonsten an meine um Jahrzehnte längere und weltweite Topfguckerei nicht heran reicht.

Zunächst: Raue benutzt seine perfekt abgestimmte Sauce, um die Rippchen darin zu köcheln. Aus dem angefetteten Sud macht er dann ein Vorweg-Süppchen. Dann grillt er die durchgekochten Rippchen noch einmal. Ja weiß denn der Küchenmeister nicht, dass Rippchen und Bauchfleisch vom Schwein am ehesten an perfekt gegrilltes Menschenfleisch heranreichen, wenn sie ohne Vorbehandlung auf den Grill kommen? Dieser Witz (bevor sich ein Leser vor Ekel übergibt) ist natürlich nur zu verstehen, wenn ich auch die Anekdote zu meinem Spruch "Super! Schmeckt fast wie Menschenfleisch!" zum Besten gebe:

Vor mehr als dreißig Jahren war ich vom Häuptling eines Aita-Stammes, schwarzer vom Tourismus vertriebener Ureinwohner, auf einer kleinen Insel des Philippinischen Archipels zum Dinner auf dem Boden seiner Hütte geladen. Ich verstand ihn nicht, und er verstand mich nicht, aber einer seiner Söhne sprach das geläufige Pidgin-English.

Auf Bananenblättern wurden Scheiben und Knöchelchen eines zoologisch kaum zu identifizierenden aber unendlich delikaten Fleisches gereicht. Es war im Bucanneer-Style auf Treibholz  und grünem Bananenlaub zur Hitzedämmung quasi gleichzeitig gegrillt, gedämpft und geräuchert worden - so ähnlich wie das die Hawaiianer in ihren Schmorgruben beim Luao oder Kailua-Pig machen. Es war saftig und rosé wie ein Steak, absolut frei von Fett und bezog aber seinen intensiven Geschmack aus einer Flüssigkeit, in die die Teile vor dem Knabbern getunkt wurden.
"What a glorious meat! Where is it from?"
"It's from our neigbours. We killed the pigs yesterday!", gab der Häuptlingssohn brav zur Antwort und verstand nicht, wieso ich schallend auflachte. 

Betretenes Schweigen. Mein Reisebegleiter musste die Doppeldeutigkeit erst erklären. Tatsächlich aber hatte ich nie zuvor Bauchfleisch und Rippchen dieser halbwilden und natürlich aufgezogenen Hängebauchschweine gegessen. Deshalb also  seither mein Spruch, der nichts mit Kannibalismus zu tun hat.

Costatine di maiale alla griglia con salsa "Papa's Own"

Zutaten:

20 Costatine. Die italienischen Metzger trennen die Rippenbögen einzeln, was das Grillen auf den Punkt erleichtert

Je 1 Süßwein-Glas normale und süße Sojasauce

4 Esslöffel Sesam-Öl aus geröstetem Sesam

Saft einer halben Limone

4 mittelgroße Peperoncini mit Kernen

1 Esslöffel braunen Melasse-Zuckers

1 Esslöffel Tomatenmark

Je 1 Teelöffel Cucuma  und Currypulver (wahlweise auch 2 Teelöffel Tandoori-Gewürz anstatt)

2 große und frische Knoblauchzehen

20 g grob gehackten Ingwer

1 Esslöffel fein gehackte, grüne Koriander-Blätter *


Zubereitung:  

Die Costatine so wie sie sind ,zum "Löffelchenliegen" auf den Grill und fürsorglich permanent wenden

Alle anderen Zutaten mit Ausnahme des Korianders nach dem Grad ihrer Trockenheit beziehungsweise Feuchtigkeit hintereinander unter vorsichtiger Zugabe von grobem Meersalz (auch Fleur de Sel) in einem Mörser zerreiben (mit einem hölzernen Kochlöffel in einer Tasse ist immer noch besser als im Mixer) bis eine dickflüssige Sauce entsteht. Erst dann nach Gusto den grünen Koriander* hinzu geben, der der Beize erst den Pfiff gibt.

Wenn die Costatine fettfrei und knusperig sind, einfach nur in Papa's Own tauchen oder darüber träufeln und das Fleisch sofort auf Rucola servieren.

* Grüner Koriander ist nicht jedermanns Sache. Das Gewürz muss man sich zunächst mit einem Hauch erarbeiten. Ich kannte - als ich als Kind nach Bayern kam - nur den harten Koriander auf bestimmten Bauernbroten, die ich zunächst deshalb nicht mochte. Da waren mein Schlüssel-Erlebnis beim Skifahren in Südtirol die Vinschgauer Bladln, in denen auch noch Kümmel verbacken wurde, den ich davor auch noch nicht mochte. In der Kombination mit Almbutter sind die echten "Bladln" mittlerweile mein Brotzeit-Highlight. 

Als ich  in der Nähe von Delhi von einem Hinduistischen Antiquitäten-Händler in sein Privathaus zu einem vegetarischen Dinner eingeladen wurde, kannte ich die "Petersilie des Orients" noch nicht und lud mir auf die Pappadums, die höllisch scharfen indischen Knusper-Pfannkuchen, genauso viel vom grünen Gift wie mein Gastgeber. Dieser seifige, ein wenig penetrante Geschmack war der absolute Horror, aber ich konnte ja nicht ausspucken. Also kaute ich mit extra langen Zähnen und schluckte brav. Das hatte den Effekt, dass meine Mundhöhle auf der Heimfahrt immer noch vom grünen Koriander erfüllt war, aber jetzt entfaltete er gedämpft sein Suchtpotenzial, dass leider daheim in Deutschland lange Jahre nicht zu befriedigen war. Auch hier in Italien züchtet unser Kräuter-Händler auf der Burg in seinem horto nur den Koriander für   die harten Samenkapseln. Bei jedem arabischen oder nordafrikanischen Gemüse-Laden in München gibt es den grünen jedoch das ganze Jahr hindurch. Die Chinesen verkaufen ihn sogar mit Wurzel, die sie gerne in der Suppe mitkochen lassen.

Freitag, 1. August 2014

Trivial gegen den Horror

Die Grenz-Debilität meiner Frau und meiner Wenigkeit offenbart sich immer häufiger dadurch, dass wir uns im von Wiederholungen geprägten Fernsehprogramm dieses Sommers vornehmlich Film-Schmonzetten heraus picken, die ein Happy-End haben. Wenn ein netter Hund vorkommt oder wie gestern Abend  ein süßes Baby, dann verdrücken wir Enkel-Losen schon mal ein Tränchen. Auch im Borgo hat die Zahl knuddeliger Hunde und spielender kleiner Kinder - Ferien bedingt - zugenommen, was seinen Heile-Welt-Charakter noch verstärkt.

Aber dann kommen ja nach den Schmonzetten immer Tagesschau oder Heute  und holen uns ganz schnell in die Realität zurück. Fast tausend Tote im Gaza-Streifen, unzählige von beider Propaganda Vernebelte in der Ukraine,  unkontrollierbare Opfer-Zahlen im Irak und Syrien aber auch aus Libyen hört der Nachrichten-Mensch nichts Genaues...

"Da sitzen wir und schauen uns diesen seichten Scheiß an, während die Welt aus dem Leim geht", stellte da die "Zweitbeste" in ihrer mitunter drastischen Sprache fest. Unser Nachbarin Paula hatte vor ein paar Tagen etwas Ähnliches gesagt, als wir bei einem Grill-Abend friedlich auf der Piazza saßen und es uns gut gehen ließen:
"Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen, dass wir es so schön hier haben, während anderswo solche schrecklichen Dinge geschehen."

Der Blogger muss gestehen, dass ihm seit Wochen ähnliche Gedanken beim Schreiben seiner leichten, literarisch angehauchten Kost bremsen. Aber wenn ich nun gar nicht verstehen kann, wie junge Deutsche mit russischen Wurzeln vom Web angestachelt, ihr Leben in einem Konflikt riskieren, den sie aus Mangel an historischem Wissen gar nicht begreifen können? Aber wenn ich zum wiederholten Mal drastisches Unvermögen der "Weltgemeinschaft" beim Verhindern und Beilegen dieser wahnwitzigen Konflikte erlebe? Wenn ich dünne Nachrichten-Lagen journalistisch aufgebauscht erlebe, weil die "Wahre" ja zum Wohle der Einschaltquote an den Konsumenten muss? Was soll ich da denn dagegen halten, als ein paar Texte aus einem Dörfchen, das ja auch nicht immer in Frieden lebt?

Ich schlafe sehr schlecht in diesen Tagen, in denen der erste große Weltenbrand nur hundert Jahe her ist. Ich sehe dank meiner privaten historischen Studien und Erinnerungen wie sich die Geschichte nicht nur beispielsweise in der Türkei, diesem  so herrlichen Land, wiederholt: Ein Bild vom  Berliner Olympia-Stadion, der Keimzelle des Nazi-Wahns,bleibt mir im Kopf. Nur, dass es aktuell nicht mit Haken-Kreuzen beflaggt, sondern mit dem roten Halbmond-Banner zu Ehren der als sicher geltenden Präsidenten-Wahl Erdogans als "Wahl-Lokal" geschmückt ist. Erdogan, der noch als ein neuer "Führer" von sich Reden machen wird. Da bin ich mir sicher. Wieso waren eigentlich mehr pro palästinensische Demonstranten auf deutschen Straßen unterwegs als solche, die für die Juden eintreten, die unser Volk durch Mord und Vertreibung erst zu Israelis gemacht hat?

Bei mir hat sich ein Symptom zu einem Leitgedanken gefestigt, der leider immer wieder für das Scheitern von Demokratien sorgen wird - so humanistisch der Einzelne gestimmt sein mag:

Die Ohnmacht des Individuums manifestiert sich immer aufs Neue dadurch, dass es sich lieber vor eigenem Denken und Handeln nach einer Schein-Bequemlichkeit durch starke Führung sehnt.