Mittwoch, 26. Juni 2013

Gestörter Burgfrieden

Coloro che vengono dal mare vuole derubarci. Wer vom Meer kommt, der will uns ausrauben, das war Jahrhunderte lang der Grund, weshalb die Ligurer über ihren regulären Dörfern auf exponierten Lagen ihre Flucht- oder Wehr-Dörfer gebaut haben. Das schaffte für die Bösen strategische wie logistische Probleme. Wer da hoch will, muss ja wieder hinunter - und das, was er erbeuten will auch.

Noch heute schützt das unseren Borgo davor, dass teure Geräte und Möbel aus den Ferienhäusern geschleppt werden. Aber da rund um uns herum Natur ist, in der man schnell verschwinden kann, kommen immer mehr "Wander-Banden" in unsere Dörfer. Sie sind auf Handys, Kameras, Laptops und Schmuck sowie natürlich Bargeld spezialisiert. Im Gegensatz zu anderen Einbrechern (scassinatori) bevorzugen sie Häuser, wenn die Bewohner (Touristen?) drin sind. Möglichen - und in Kauf genommenen - Begegnungen rücken sie mit Betäubungsgas zu Leibe, was rein strafrechtlich aus einem leichten Einbruch auch in Italien schweren Raub macht. Die Überfallenen haben aber meist wenig von der Strafverfolgung, weil diese Banden  - woher sie auch immer kommen mögen (für die hiesige Polizei sind das natürlich Rumeni, Russi e Albanesi und auf keinen Fall Italiani) nur Gebiete mit dünner Polizei-Logistik und hoher Eigenheim-Dichte aussuchen.

Im Nachbar-Ort, in dem es heuer schon sieben dieser Einbrüche (auch bei Einheimischen) gegeben hat, wurde bereits eine Art Bürgerwehr aufgestellt. Bei uns fand  Sonntagnacht der dritte statt. Vorher wurden schon Don Flippo und seine Frau sowie die Foletti buoni überfallen. Die Heinzelmännchen haben daraufhin schwere Gitter vor die Fenster parterre machen lassen, die die Flippi aber schon hatten. Dass die Räuber dennoch hinein gelangten, lässt den Rückschluss zu, dass sie entweder akrobatische Zwerge oder gar Kinder dabei haben, die durch die kleinsten Öffnungen hinein gelangen und dann von innen öffnen. Aber sie sind auch excellente Handwerker, die ein Schloss ausbauen, ohne dass der vermeintlich dadurch Geschützte einen Laut davon hört. Und ordentlich sind sie auch noch, denn die ausgebauten Teile, werden sorgfältig aufgereiht daneben gelegt - (für's nächste Mal?).

Sonntagnacht jedenfalls war es schon unheimlich - wegen der verwinkelten Akustik in unseren Gassen. Ich war gerade spät zu Bett gegangen und gegen 1 Uhr 30 eingeschlafen, als die Zweitbeste mich weckt und meint, da schreie doch jemand um Hilfe. Ich sehe nur den Mond und antworte, das sei vermutlich unser am Tourette-Syndrom leidender Burggeist Carlo, der schon in den Nächten davor laut und ausdauernd gespukt hatte. Aber da kommt schon das nächste A i i i u t o o o!!!, und das ist eindeutig eine Frauenstimme. Also Adrenalin in die Schlafmützigkeit und raus auf die Piazza!

Das Opfer war Signora Girasole, die einst durch ihre bunten Jogging-Anzüge und dann als Wirtin unseres Dorf-Cafes von sich reden machte. Beileibe keine zimperliche Frau - auch im Umgang mit bösen Männern. Wir fanden sie - verständlicher Weise aufgelöst - vor ihrer zur Zweizimmerwohnung umgebauten Grotte.
Ihre mittlerweile ja auch in die Burgbriefe eingegangene Katze Ginger hatte sie geweckt, weil die Geräusche an der Tür wahrgenommen hatte. Als die Girasole nachsehen wollte, wurde sie auch schon durch eine Lampe geblendet, und dann war der Spuk bereits vorbei, weil im Nu alle Nachbarn auf den Gassen um sie herum standen. Die über 70jährige Signora Ada im Morgenmantel mit Besen bewaffnet, die Zweitbeste im Nachthemd, ich nur in von Hosenträgern gehaltener Hose barfuß und ansonsten nackt. - Eine wahrhaft erschreckende Bürgerwehr, aber zum Lachen war das nicht. Nachbar Vittorio hatte den Überfall auf seine Hin-und-wieder-Ex zunächst verschlafen, kümmerte sich dann aber so rührend um sie, dass sie das Angebot, bei uns zu übernachten, verständlicher Weise ablehnte...

Was sollte die Barfrau unseres Dorf-Cafes schon für Schätze in ihrer Grotte gelagert haben, die dieses kunstvolle Herauslösen des "Sicherheitsschlosses" sinnvoll gemacht hätte? Ob den Carabineri, die erst nach einer geschlagenen Stunde heraufkamen, die Wahl des Tatortes  mehr Sinn machte?...

Auffällig ist immer, dass die von den Räubern ausgesuchten Objekte stets Fluchtwege in drei verschiedene Richtungen bieten, die auf kurze Distanz ins Grüne führen. Die Objekte ihrer Begierde haben ebenerdigen Zugang und werden von keiner öffentlichen Lichtquelle bestrahlt. - Aber das sind nur meine persönlichen Beobachtungen.

Sicher ist - der Burgfrieden ist nachhaltig gestört. Das Frauen-Paar, dem unten ein Appartement am Eingang zu unserer Gasse gehört, meint schon, es würde nach zehn mit ihrem Hündchen nicht mehr Gassi gehen. Dabei ist der Borgo - bedingt durch die Jahreszeit - im Moment ja noch äußerst belebt. Aber die Räuber kommen eben am liebsten zur Ferienzeit....

Samstag, 22. Juni 2013

Treppauf, treppab

Selber Schuld, wer sich von Romanen oder in ihnen vorkommenden Figuren beeinflussen lässt! Als Autor weiß einer doch, dass dem anderen nur das Morgen-Müsli in die falsche Kehle geraten sein muss, um unter seinen Protagonisten auf den nächsten Seiten, die er schreibt, ein Gemetzel anzurichten...

Dennoch kann ich mich in diesen Tagen nicht dagegen wehren, dass zwei Bücher, die ich sehr schätze, weil sie wirklich große Literatur sind, meine Stimmungen beeinflussen:
Das eine ist Sten Nadolnys "Die Entdeckung der Langsamkeit" das andere Milan Kunderas " Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins". Um meinen heutigen Post zu verstehen, muss man die nicht gelesen haben, weil allein schon die beiden Titel signifikant für das Geschilderte sind.
Nur soviel: Sten Nadolnys Held hinkt immer hinterher, was ihn am Ende jedoch nicht daran hindert, Epochales zu leisten. Die Protagonisten bei Kundera überleben den Horror der untergegangenen CSSR und e r l e b e n dann eine Zeit schier unendlicher Liebe und Sinnlichkeit, die abrupt durch einen Autounfall beendet wird.

Wenn man so will, sind die Zweitbeste und ich hier auf der Burg derart angekommen, dass wir (endlich) sowohl die Langsamkeit entdeckt, als auch die Unerträglichkeit der Leichtigkeit im Sein erleben. Oder sollte ich fairer Weise sagen, dass ich das so sehe? Denn nach beinahe fünf Jahrzehnten des Zusammenseins wird immer deutlicher, dass allein der Antagonismus zwischen unseren Charakteren das bewirkt hat.

Brächen wir beiden Ex-Buchhändler eine Erörterung über die obigen Romane vom Zaun, sähe meine Frau folgende Quintessenz :
"Siehst du, du alter Hektiker, dass es gar nichts bringt, wenn man immer vier Sachen auf einmal machen will. Mach lieber mal eine richtig!" Und zur Leichtigkeit des Seins: "Gibt's denn was Schöneres, als wenn auf dem Höhepunkt des sinnlichen Rausches junger Körper schlagartig Schluss ist? Den bleiben dann doch all die spätere Streitereien, Sorgen um die Kinder, Krankheiten, Schmerzen und das alt Werden per se erspart!"

So ist sie - die Zweitbeste. Sieht immer das noch halb volle Glas, während ich bereits der getrunkenen ersten Hälfte nachweine. Sie trinkt, um die unermessliche Schönheit um uns herum noch schöner zu erleben. Ich trinke aus Angst, diese unerträgliche Leichtigkeit des Seins mit ihr könnte enden...

Wir beide sind, medizinisch sowieso - aber auch was die Menge angeht, typische Vertreter des Altersalkoholismus; kontrolliert zwar, aber doch zu tadeln.

Das ganze hat allerdings eine logistische Seite, die unsere Sucht zumindest ein klein wenig sportlich zurecht rückt: Jede Flasche, die wir leeren, muss 300 Meter vom Parkplatz zur Piazza über einen teilweise sehr steilen Weg hinauf geschleppt werden. Jede leere muss wieder in den Glas-Container hinunter.

Jetzt hat die Zweitbeste noch eine weitere Methode für den Ablass unserer Alkohol-Sünden entwickelt. Obwohl wir einen fabelhaften Weinkühler aus Frankreich haben, mit dem wir gemütlich auf der Terrasse unter unserem Schirm sitzen  könnten, besteht sie seit neuestem darauf, dass wir uns den Wein glasweise vom Kühlschrank unten holen. Das sind 30 Stufen hinunter - also nach Adam Riese jedes Mal  60 treppauf treppab.
Der kleine, runde Wonneproppen macht das tatsächlich. Ich zähle auch nicht mehr mit, wie oft. Sie tut das mit der vollen Power der für sich entdeckten Langsamkeit und genießt anschließend die absolute Erträglichkeit im leichten Sein. Denn sie hat auch eines der schönsten Argumente für sich entdeckt:

"Weißt du Spatzl! Je mehr ich trinke, desto fitter werde ich."

Dienstag, 18. Juni 2013

Na, da fliegen sie ja wieder!

Wäre ich ein Professor für Komposition wie mein Gegenüber von den Zinnen, der Pasquale, hätte ich ihnen längst eine symphonische Dichtung gewidmet: Den Mauerseglern. Aber vielleicht ist die ja schon längst in Arbeit.

In dem Zweitage-Frühling kurz nach Pfingsten wurden wir beide in den frühen Morgenstunden durch eine absurden Lärm auf unserer Piazza aufgeweckt. Gefühlte dreißig, vierzig Mauersegler rasten in engen Kreisen durch das vielleicht 20 mal 20 Meter enge Geviert und flogen "Scheinangriffe" auf seine Burgmauer. Manche verschwanden in alten, ihnen offenbar wohlbekannten Spalten,andere klammerten sich verzweifelt an zugespachtelte Lücken und ließen dann enttäuscht  los, als könnten sie nicht fassen, dass da keine Behausung für sie sei. Zwei, drei landeten aber auch im Schlund des Katers Lazaro, der ansonsten Mäuse bevorzugt. Das ging eine gute halbe Stunde so, und Pasquale, der Stadtmensch, der dies wohl zum ersten Mal erlebte, schüttelte nur verständnislos den Kopf.

Dann war der Spuk vorbei. Und ein paar Wochen schien es, als sei die Langzeit-Prophezeiung der Deutschen Mauersegler-Forschung früher als erwartet eingetreten: Nach der werden die Raser wegen des Klimawandels immer "wanderfauler" und bleiben aufgrund der guten Bedingungen lieber daheim Stand- als irgendwo nach Süden strebende Zugvögel. Aber bitte doch nicht nach diesem Winter -  ihr geliebten Himmelsjäger!

Als hätten sie mein Flehen erhört, war gestern nach dem Nebel das Azur über der Burg fast schwarz vor Mauerseglern. Und weil es gleich wieder so heiß war, dass man nur unterm Terrassen-Schirm wie ein Maikäfer (haha - Mitte Juni!) auf dem Rücken alle Teile von sich streckend liegen konnte, fiel mir ungefragt allerlei ein, was ich Pasquale als Idee an die Hand geben könnte:

1. Ouvertüre: Der Wetterflug
Am Bodensee sondieren die alten Mauersegler-Kempen die Zeit des Aufbruchs. Jedes Mal, wenn sie starten, fängt es wieder an zu schneien.Die Mauersegler-Kids hängen an ihren Smartphones oder Computern und maulen, was sie denn im Süden sollen, wo es laut Wetter-App dort doch noch viel schlimmer sei.

2. 1. Satz: Der Aufbruch
Crescendo, gefolgt von allegro non troppo. Der Chor der Mauersegler setzt alsbald ein mit den Stücken: "Wir fliegen auch im Schlaf" und " Ihr verschneiten Alpen könnt uns mal!"

3. 2. Satz: Über der Burg
Vivace, toccata. "Wir suchen uns ein Zuhause".sowie der Canon "Ist uns doch Wurst, dass wir mehr als einen Monat zu spät sind" und abschließend "Der Luftraum ins unser!"

... Ehe ich mit meinem von der Sonne zermatschten Hirn weiter komponieren konnte, holte mich die bittere Realität des Mauersegler-Alltags ein: Ein kleiner Falke hatte sich heimlich als Jäger unter die Jäger gemischt, um sich so ein 40-Gramm-Frühstück zu holen.Aber erstens war er sehr klein und zweitens wohl auch noch ein wenig dumm. Denn die ungefähr doppelt so schnellen Mauersegler stürzten sich wie ein Schwarm Spitfires im Luftkampf gegen einen Bomber auf den pomadigen Raubvogel und attackierten ihn derart, dass er in Sekunden nicht mehr gesehen ward...

Sonntag, 16. Juni 2013

Mit Zitronen gehandelt?

Ach Goethe! Dein "Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen?". Was für eine Frage! Natürlich! Aber sehen würden wir es gerne. Denn seit zwei vollen Tagen hängen wir hier in einem Nebel fest, an dem John Carpenter, der Horror-Regisseur, seine wahre Freude hätte.

Da habe ich im letzten Post angesichts der ersten Schwalbe hier über der Burg  den Sommer wohl zu früh gelobt; - also sprichwörtlich mit Zitronen gehandelt! Aber nicht nur  das Wetter, sondern auch Zitate geraten gerne mal durcheinander. Denn während nämlich alles im Einheitsgrau die Farbe verliert, produziert unser Zitronen-Bäumchen auf der Terrasse eine Blüte nach der anderen, und die Bienchen bestäuben sie fleißig, weil sie nicht nur duften, sondern auch weithin leuchten... Es wird im Winter eine reiche Ernte geben.

Was müssen unsere Altvorderen für Weicheier gewesen sein, wenn wir den vielen Deutungen zu diesem geläufigen Sprichwort Glauben schenken sollen: Angeblich ließ man Sargträger in eine Zitrone beißen, damit sie die richtige Trauermiene aufsetzten. Weil die Ernten so reich waren, hätte es bei Zitronen keine genügende Handelsspanne gegeben. Sie seien wegen ihrer schnellen Verderblichkeit auch keine gute Tauschware gewesen.

Die Pop-Gruppe Foolsgarden jedenfalls hat mit ihrem Refrain "All I Can See Is A Yellow Lemon Tree" einen Welthit gelandet, und die Zweitbeste mit ihrem Zitronen-Kuchen aus eigenem Anbau zumindest für einen Hit hier auf der Burg gesorgt. Denn es ist hier halt guter Brauch, dass Kostproben in der Nachbarschaft herumgereicht werden. Das Echo war überragend und deckt sich mit meinen Geschmackserlebnissen. Großartig der noch lauwarme, leicht und lockere Kuchen mit der noch reschen Kruste, fast besser der schwerer gewordene Rest am nächsten Tag und der Hauch vom Sommer, indem ich zum letzten, leicht trockenen Stück angeschmolzenes Zitronen-Sorbet gelöffelt habe...

Ach ja, und ihr Sargträger im Bergischen oder wo immer man Euch zum Zwecke der Trauer Zitronen gereicht hat: Mit dem Duft und Geschmack unserer Zitronen hättet ihr verzückt gelächelt. Die erste vom Baum haben wir nämlich in feinen Scheibchen samt ungespritzter Schale verzehrt. Sauer macht lustig!

Wieder so'n Sprichwort!

Donnerstag, 13. Juni 2013

Die Frösche von Gerini

Notti magiche! Jaaa, es gibt sie anscheinend doch noch - die magischen Nächte Italiens, die Gianna Nannini so herzzerreißend besungen hat! Auf den Fußball kann ich dabei gerne verzichten. Da sitze ich doch lieber - wie gestern Abend - in Augenhöhe mit den Bergen auf unserer Terrasse und starre in den mit Sternen übersäten Himmel. Wenn das Szenario dann noch von der hauchdünnen Sichel des zunehmenden Mondes und der Aura der untergehenden Sonne magisch erhellt wird, dann weiß ich wieder, wieso ich in Kauf genommen habe, zum Burggeist zu mutieren.

Kaum wartest du also fünfeinhalb Monate, hast du auch schon den ersten Abend, an dem man draußen sitzen kann. Super! Aber sehen wir es doch einmal so: Der von den Wettermachern aufgezwungene Mangel hat auch den Effekt, dass das sonst Alltägliche und Selbstverständliche mit einem ganz anderen Bewusstsein wahrgenommen wird. Denn um ganz ehrlich zu sein, die Zweitbeste hat sich dann schon nach ein paar Minuten eine Decke über die Schultern geworfen und sah - weil sie wieder überall ihre Kitschkerzen verteilt hatte - aus wie eine Indianer-Squaw beim Mond-Ritual. Aber als sie mich fragte, ob ich denn in meinen kurzen Hosen und dem Sommer-Hemd nicht friere, antwortete ich tapfer:"Nnnneeeiiiinnnn!"

Es war eben auch der erste Abend, der nicht wolkenverhangen war, da schraubt der "klimawandelnde" Erdenbürger Erwartungen schon ein wenig demütig zurück. Romantik ensteht ja in erster Linie im Kopf und nicht auf der Gänsehaut.

Aber jetzt mal im Ernst. Wir sind deshalb so hoffnungsfroh, dass das die erste einer Vielzahl an solchen Sommernächten war, weil wir einem Jubelkonzert lauschten, das die Einheimischen als untrügliches Zeichen werten:

Steil unter uns - noch einmal gut fünfzig Höhenmeter unter dem Capo Luogo - versammeln sich die paar Bächlein, die beim Versiegeln unserer Erde noch übrig geblieben sind in einigen steinernen Becken des Ortsteiles Gerini. Das ist seit jeher der Versammlungsort der hier lebenden Frösche. Also seit Beginn des Menschseins hier oben. Denn Gerini gab es angeblich schon vor allen anderen Siedlungen und noch vor dem Mittelalter. Die Leute, die dort wohnen, genießen deshalb großen Respekt, und manche tragen den Ortsnamen auch als Familiennamen. Man möchte meinen, dass ihnen der Höllenlärm den ihre breitmäulig glitschigen Mitbewohner erzeugen, bisweilen gehörig aufs Gehör geht, aber es scheint, als haben sich gli Gerini genetisch längst darauf eingestellt.

Vermutlich gibt es hier  so etwas wie unsere gedichteten,  deutschen Bauern-Regeln nicht, deshalb habe ich schnell eine erfunden:

Hörst Du Gerinis Frösche in der Nacht
Hast Du sie hinter Dich gebracht:
Die kalte Zeit und all den Regen
Das Quaken ist da schier der Segen!

Sonntag, 9. Juni 2013

Wes Brot ich ess...

Als wir offenbar nicht genug andere hatten, waren unsere größte Sorgen hier oben die um unser täglich Brot. Der Alimentari im Capo Luogo zwei Kurven unter uns hatte zwar frisches, aber bis wir mal so aus den Federn kamen, war der Lebensmittelladen trotz seiner überschaubaren Klientel dann doch immer ausverkauft. Kurze Zeit später hätte auch früheres Aufstehen nichts mehr gebracht, weil er aus Alters- und Rentabilitätsgründen  dicht gemacht hat.

Über Jahre hätte es keine Alternative gegeben, als die sieben Kilometer bis zur nächsten Bäckerei hinunter zu kurbeln. Aber wer macht das schon gerne halb verschlafen und mit nüchternem Magen?

Inzwischen hat die emsige Rosalia  ein blitzsauberes Lädchen aufgemacht, das die Zweitbeste schon aus Erhaltungstrieb so oft frequentiert wie nur möglich. Rosalia hat aus Fehlern der Vorgänger gelernt und achtet auf gute bis ausgezeichnete Qualität, aber die Kunden müssen sich auf  ihre Öffnungszeiten einstellen.Und das eben ist der Haken bei unserer Schlafmützigkeit. Unsere Brot-Situation hätte sich dadurch nur unwesentlich gebessert, weil wir medikamentös bedingt heut ja noch länger schlafen...

Also griff ich zur Selbsthilfe und schaffte einen Back-Automaten an. Wie immer bei neuen Geräten sorgte die anfängliche Begeisterung für wirklich emsige Nutzung. Mannigfaltige Backmischungen und Sauerteig schleppte ich aus deutschen Reformhäusern an, und Hefe gab es - wenn nötig - frisch im Supermarkt. Ob Grau-, Vollkorn oder Dinkelbrot: alle Zutaten wurden abends in dieser Kiste angesetzt und dann entsprechend programmiert. Wenn man Glück hatte, wurde man in den Morgenstunden vom Duft frischen Brotes geweckt. Das Glück hing davon ab, dass nächtens nicht mal der Strom ausfiel, was in früheren Jahren immer wieder passierte. Dann wurde die Programmierung zurückgesetzt und musste besten Falles derart neu gestartet werden, dass frisches Brot erst am Nachmittag bereit stand. Schlechtesten Falles steckte der Rührflügel in einer halb gebackenen Pampe fest.

Außerdem musste ich mit meinem blöden Formalismus bald feststellen, dass mich diese komische Würfelform aus dem Automaten nicht nur nicht ästhetisch befriedigte, sondern auch meinen Anspruch ans Selbermachen in keiner Weise gerecht wurde.

Der Backautomat verschwand eines Tages in die hinterste Ecke des Geräteschrankes, wo er seither mit einem Elektro-Wok und einem angeblich so gesunden Wasserbad-Freiluft-Grill Skat spielt. Ich selbst erinnerte mich daran, dass zwar Meister nicht vom Himmel fallen, aber im Handwerk dann gegebenen Falles (?!) goldenen Boden fänden.

Unser Zwei-Personen-Kleinst-Grill-Backofen machte mich zum Daniel Düsentrieb der Back-Experimente und verbreitete meinen Ruf als etwas eigenartig in dem Tempo in dem der Duft meiner Brote durch den Borgo waberte. Dass das Mitesser zeitigte, machte mich natürlich anfangs stolz, wurde dann aber lästig. als ein paar allergische Nachbarsknaben vom oberen Dorfrand herausfanden, dass sie mein Dinkelbrot nicht nur vertrugen, sondern dass es ihnen auch besonders gut schmeckte. Fortan lungerten sie begierig auf der Piazza herum. So schnell hatte ich noch nie ein Kilo Brot verputzt gesehen.

"Unser täglich Brot gib uns heute" aber sollte ja nicht zur Pflicht ausarten...

Eine Wende brachte die Anschaffung eines Kombi-Kühlschranks mit riesen Froster, der mich an Höhe sogar noch überragt. Allerdings schaffte es erst das zweite Gerät unbeschadet auf die Piazza. Die Lieferanten hatten einfach die logistische Herausforderung hier oben unterschätzt und schrotteten das erste Gerät.

Jetzt nehmen wir gerne von unserer Münchner Bäckerei den größten Laib "Bauernkruste" mit, den diese fertigen kann und frieren den zerteilt in Wochen-Rationen ein. Das reicht für anderthalb Monate.

Aber der Euro-Wandel hat ja auch hier für mehr Brotsorten gesorgt, und wir haben dazu gelernt. In Ligurien gibt es nicht  mehr nur die blassen, schneckenhäusigen Semmeln meiner Kindheit, die nicht knusprig und auch nicht gesäuert wurden. Es gibt tatsächlich eine Vielzahl knackiger Frühstücksbrötchen, die sich  in unterschiedlichsten geometrischen Formen und Geschmacksrichtungen prima einfrieren und aufbacken lassen: Rustici, Aurigi, Ciabattini, Crostini - sowie die Baguette-Semmeln, die jetzt wohl weltweit ihren Siegeszug angetreten haben.

Wer die Erkenntnis gewinnen will, dass Bäcker zwar das gleiche tun, aber das Ergebnis, dann doch noch von Fall zu Fall großartiger ausfallen kann, sollte früh aufstehen und im Angolo di Pane von Oneglia diese Spezialitäten durchprobieren. Eine noch gewaltigere Dimension des Brotbackens erschließt übrigens die Boulangerie Artinasale gleich neben dem Nordeingang in der historischen Markthalle von Menton. Das schwarzkrustige Paysan von dort ist auch sehr gut zur Vorratshaltung geeignet.

Ach ja! Trotz Merkel und angeblicher Deutschen-Feindlichkeit führt auch der italienische Super-Supermarkt nun Marken-Vollkorn und -Graubrot.

Mittwoch, 5. Juni 2013

Schlacht der Schirme und schöner Rosen

Alles, was ungehemmtes Wachstum erwarten ließ, liegt derzeit in den ersten wärmenden Sonnenstrahlen platt gemacht am Boden. Gemüse, Kräuter und vor allem Freiland-Blumen. Signora Ida kam schon mit Kirschen. Sie müssten schnell gegessen werden, weil der Dauerregen und die Kälte ihrer Haltbarkeit zugesetzt hätten.

Auch die Cinque Stelle von Schreihals Grillo, die bei den Kommunalwahlen ähnlich eins aufs Dach bekommen haben wie bei uns die Piraten, verloren  ihren Glanz und machen jetzt eher den Eindruck von begossenen Pudeln. Irgendwie macht mich das stolz auf das Land meiner Gastgeber, denn in seinem anscheinend unerschütterlichen, ligurischen Wähler-Potenzial hatte auch Berlusconi eine kräftige Einbuße zu verkraften.

Was machen aber  beide Populisten? Sie gehen nicht etwa sich selbst die Schuld, sondern beschimpfen die Wähler. Dabei haben sie ja nur gemacht , was der große Clown seit seinem ersten Erfolg vorgebetet hatte: Sie verweigerten sich einfach zu einer historisch geringen Wahlbeteiligung.

Die "Zweitbeste" und ich üben uns aber jetzt auch in Verweigerungshaltung, seit der elegante Nachbar Silvio uns von den Auswirkungen des "Rosenkrieges"  auf die heimischen Rosenzüchter hier an der Riviera berichtete. Zu denen hatte  er ja  auch einst  selbst gehört.

Man kann sich ja am Meer nirgendwo mehr hinsetzen, ohne dass sich einer heranschleicht, um einem Rosen aufzunötigen. Da das Geschäft fest in der Hand von Ceylonesen zu sein schien, nahm ich ihnen gerne gelegentlich das eine oder andere Sträußchen ab.Weil  ich eben davon ausging, dass es sich bei ihnen ähnlich verhielt wie in München, wo Pakistani quasi das Monopol auf den Straßen- und Kneipen-Verkauf der Süddeutschen Zeitung haben. Schließlich bin ich seit meinen Srilanka-Reisen Tamilen und Singhalesen gleichermaßen zugetan - trotz ihrer kriegerischen Dauerfeden.

Der Haken: Die stets freundlichen Insulaner verkaufen keine Rosen von der Riviera dei Fiori, sondern tonnenweise aus Brasilien oder sonst wo in Flugzeuge geladene Dornröschen. Sie selbst im Fron aus Verzicht und Demütigung ahnen vielleicht nicht einmal, was sie der hiesigen Gärtner-Zunft antun, denn bei ihnen zählt jede Rose fürs eigene Überleben und dem der Familie daheim im paradiesischen Inselstaat.

Was sie für ihren Verkaufserfolg an Fußwegen zurücklegen, können wir nur erahnen, denn man trifft sich natürlich immer wieder. Jetzt ist es bereits so, dass die "Zweitbeste" die Rose einfach als Geschenk hingelegt bekommt, was wir wiederum nicht annehmen wollen. Bei unserer Abreise Anfang Januar hat sich einer, dem wir besonders oft die Geschenk-Rose abgekauft haben, höflich von uns verabschiedet. Er flöge jetzt heim.

Bislang haben wir ihn noch nicht wieder gesehen. Wie auch? Bei dem Dauer-Regen!

Da hatte eine andere Straßenhändler-Spezies Konjunktur: die Schirm-Verkäufer, die sich offenbar ausschließlich aus schwarzafrikanischen Boatpeople rekrutieren, die nicht abgeschoben worden sind. Mit dem Instinkt der Falle für die Fliege hat einer von ihnen einst die Anfälligkeit der "Zweitbesten" durch den dichtesten Regenschleier erspäht. Seither sind wir Stammkunden, was sich dadurch rechtfertigt, dass bei uns Schirme - wie viel wir auch haben - immer gerade dort befinden, wo wir nicht sind, wenn es regnet. Unser privater Schirm-Lieferant  - nennen wir ihn Jerome wegen seines gaumigen Französisch - ist da  jedenfalls immer zur Stelle, als habe er klimatische Zauberkräfte.

Sie sind aber auch zu schön - in Blau, Grün, Gelb, Violett und sogar  mit Regenbogen-Muster. Gut, dass jetzt die Sonnenzeit beginnt - hoffentlich!

Sonntag, 2. Juni 2013

In eigener Sache ein neuer Blog

Liebe Leser!


Die Zeit rennt dahin. Ich schreibe ja nicht nur Posts für meine bisherigen Blogs, sondern arbeite auch an Kurzgeschichten und Romanen. Da ich weder den Nerv noch die Geduld habe, mich auf einen Literatur-Betrieb im elektronischen Umbruch einzulassen, noch mir einen Agenten zu suchen, der mein Geschreibsel vor dem Vergessen bewahrt, habe ich mich entschlossen, zweimal im Monat Texte auf meinem neuen Blog:

http://derburgschreiber.blogspot.it/

zu veröffentlichen. Zunächst werden das Kurzgeschichten sein, in denen ich meine Erlebnisse als Reporter in fiktionale Erzählungen verwandelt habe. Mein textliches Alter-Ego Johannes Goerz war ja schon auf den bisherigen Blogs aktiv. Mit ihm habe ich mich von meinen Vorbildern Joseph Conrad und Somerset Maugham leiten lassen.
Wenn die Zugriffszahlen mich ermutigen, werde ich dann später auch Essays und Erinnerungen einbringen. Ob das dann "literarische Qualität" hat, überlasse ich meinen Lesern, um deren Kommentar ich aufrichtig bitte.

Viel Spaß beim Lesen: Obelix.