Freitag, 31. Mai 2013

Die "Muschi von der Venus"

Es gibt schrecklich peinliche Geschichten aus der Kindheit, die bei anderen vielleicht in Vergessenheit geraten, aber einen selbst noch bis ins Erwachsenenalter verfolgen. Manch Burgbriefe-Leser erinnert sich vielleicht daran, dass ich bis weit ins Volksschul-Alter sehr häufig an der Riviera war, weil da die Studienfreundinnen meines Vaters lebten. Der Grundstein für meine Liebe zum guten Essen  und Kochen wurde bei diesen Aufenthalten gelegt, weil Mahlzeiten "avec les tantes" immer große Opern waren, und schon deren Zubereitung von ihnen für uns Kinder als Gesellschaftsspiel inszeniert wurde. Ich weiß noch wie stolz ich war, als ich den beiden Letztverbliebenen als Spät-Teen einmal ein Ratatouille zubereitet hatte, das ihre höchste Anerkennung fand. Das war gewissermaßen der Ritterschlag für mein Kochen.

Doch bis dahin gab es manchen Fauxpas:
Mitunter sind wir auch mal alle in Restaurants gegangen. Dann waren wir bis zu zwanzig Personen, und damit wir Geld sparten, sind wir auch hinüber nach Italien, um im Hinterland damals schon diese typischen ligurischen Menü-Schlachten zu schlagen. Borowski, ein Hausfreund der Tanten, Pole und seit Kriegsende leidenschaftlicher Franzose fuhr mit seinem Katzenbuckel-Peugeot vor uns her und betätigte bei jeder scharfen Kurve in den Bergen den  Winker-Zeiger, weil er meinen Vater am Lenkrad unseres VW-Käfers, der auch noch Winker hatte, offenbar für einen automobilen Volltrottel hielt. Weil diese Art vor Kurven zu warnen, unter dem Namen des  liebenswerten Polen später in unserer Familie zu einer Art geflügeltem Wort wurde, erinnere ich mich auch noch so gut an das, was beim Essen folgte.

Da stand in der Speise-Reihenfolge, die ich gerade mal mitzählen konnte, plötzlich eine Portion Spaghetti vor mir, in der sich statt dem üblichen Ragú merkwürdige Teile befanden, die wie Schmetterlinge aussahen. Ich fragte meine Lieblingstante Marguerite, die bei mir saß und als einst gebürtige Elsässerin noch ein wenig Deutsch sprach, was das denn sei.

Sie antwortete im wahrsten Sinne des  Wortes "akzentuiert" aber leise: "Sind Muschi von der Venus."
Jedenfalls verstand ich das so. Ich krähte so laut, das es über den Lärm alle Tische hören konnten: "Muschi von der Venus???" Außer unserer Familie waren auch andere Deutsche im Restaurant, denen zum Teil -  obwohl die Zeiten da wohl noch sehr prüde waren - lachend und prustend die Nudeln aus dem Mund flogen.
Da ich das als humoristischen Erfolg wertete, wiederholte ich das laut so lange, bis mich meine älteren Schwestern aus dem Verkehr zogen, um mir meine Schande drastisch zu verdeutlichen. Sie waren ja neun beziehungsweise sechs Jahre weiter...

Jedenfalls dauerte es eine Zeit bis ich Venusmuscheln mochte, und dann traf ich bald ein Mädchen, dass ich erst zu Fisch und Meeresfrüchten  bekehren musste, die dann aber Spaghetti alle Vongole zu  einem ihrer Lieblingsessen erkor.

Wo immer ein italienisches Restaurant vor der "Zweitbesten" bestehen möchte, wird es von ihr dem Spaghetti-alle-Vogole-Test unterzogen. Das hat sie nun mindestens einmal rund um den Stiefel hinter sich, und sie kann sich bis heute an besonders gelungene Portionen an Orten erinnern, die sie andernfalls längst vergessen hätte. Mit meiner Simpel-Methode gegen so eine Fülle an Erkenntnissen anzutreten, ist also ein Wagnis gewesen. Ich habe dennoch bestanden. Also wage ich es auch, sie jetzt zu veröffentlichen:


Spaghettini alle Vongole veraci:

Zutaten:

Für vier Personen als Primo: 500g Spaghettini (6Min. Kochzeit), 1000g-Netz Vongole Veraci vom Fachhändler mit Gütesiegel, je eine Handvoll Petersilie und Basilikum, drei kleine (wenn es geht frische) Peperoncini, drei große Zehen frischen Knoblauch, einen gehäuften Teelöffel braunen Zucker, einen gestrichenen Esslöffel groben Meersalzes, 0,25l vom Wein, der zum Essen gereicht wird und 0,1l Olio Extra Vergine.


Zubereitung:

Für meine Methode ist ein Wok oder eine Wok-Pfanne unerlässlich, weil nur so sicher ist, dass keine Reste vom Sand in die Mahlzeit gelangen. Zunächst Spaghettini in moderat gesalzenes, kochendes Wasser geben und sie zwei Minuten kürzer garen, als auf der Packung angegeben. Dann gut abgießen, aber die Pasta in etwas Restwasser neben den Wok stellen. Im Wok, die Hälfte des abgemessenen Öls erhitzen und die vorher im Mörser mit dem Zucker, dem Salz und den Peperoncini zerriebenen  Knoblauchzehen gemeinsam mit den zerhackten Kräutern kurz  anfrittieren und dann richtig zischend die  kurz gespülten  Vongole hinzugeben. Warten bis alle Muscheln sich geöffnet haben und dann den Wein in Kreisen hinzugeben. Er soll noch einmal dafür sorgen, dass möglicher Sand aus dem Muschelfleisch gespült wird. Das Ganze blasig unter ständigem Wenden köcheln lassen, bis sich am Wokboden reichlich Flüssigkeit gesammelt hat. Diese mit einer flachen Kelle gründlich abschöpfen und in einem Gefäß bereithalten, damit  sie sich setzten kann. Nun die vorgegarten Spaghettini unter die Muscheln heben und unter vorsichtigem Zugeben des Suds alles noch einmal bis zum Stadium al dente garen lassen. Zum Anrichten die zweite Hälfte vom Öl drüber, und fertig! 
Wenn man bedenkt, dass selbst in mittelprächtigen Restaurants eine Portion mit einer meist überschaubaren Menge Vongole so um die 12 Euro kostet, können da bei einem viertelstündigen Aufwand daheim vier Leute für die gleiche Summe regelrecht in  den Schalentieren schwelgen.

Buon appetito!


Dienstag, 28. Mai 2013

Schafskälte

Im Italienischen gibt es den Begriff für dieses Klima-Phänomen Anfang Juni nicht. - Noch nicht!

Jedenfalls gestern stand der Nachbar Ludevico traurig vor der Tür und suchte offenbar jemanden zum Reden. Wir hatten ihn und seinen wilden kleinen Pinscher Tobi schon vermisst, ehe wir erfuhren, dass er mit seiner Sippe im Winter die Burg verlassen hat. Die Neunzigjährige Schwägerin kann nur noch trippeln, und das reicht hier oben einfach nicht - vor allem mit so einem Hund. Jetzt leben sie ebenerdig nahe Albenga, aber Ludevico hat den Verlust des Burglebens noch nicht überwunden. Das sieht man. Dabei ist er keine von den üblichen Geronto-Größen hier oben. Zwar ist  auch er schon 78, aber er hat bereits mehrere Bypässe und eine Herzklappe. Trotzdem will er sich noch weiter so lange es geht um das nun  leerstehende Haus kümmern. Über diese anhaltende Kälte kann er nur den Kopf schütteln. So etwas habe er in all den Jahren noch nie erlebt.

Ich tröste ihn damit, dass uns Deutschen dieses Phänomen als freddo delle pecore durchaus geläufig sei. Aber er schaut mich nur an wie ein U-Boot. Meine Übersetzung macht keinen Sinn für ihn, doch er murmelt etwas, das wie "macht die Merkel jetzt auch noch unser Wetter?" geklungen haben könnte.

Der "Zweitbesten" und mir fällt es da schwer, unser In-den-Tag-hinein-Leben zu genießen, wenn wir hören, dass nichts in die Gänge kommt. Das Gemüse liegt niedergeknüppelt auf den Beeten, unsere erbe fine -gerade erst gepflanzt - schießen ins Kraut und reichen bestimmt nicht wie geplant den ganzen Sommer.

Ach Sommer: Das übliche dörfliche Kommunikationszentrum Piazza funktioniert wie ein Radiosender mit langen Stromausfällen. Mal schaut der Gustavo ums Eck mal der Silvio, dem ich bald einen eigenen Post widmen muss. Er ist der letzte Grand Seigneur der Burg, ein drahtiger Mittsiebziger, den die kurz geschorenen, aber vollen grauen Haaren  die capelli tagliati corti  die Aura eines Fünfzigjährigen geben. Er hat mal eine Rosenzucht in Sanremo betrieben , aber vom Hauptberuf ist er Schreiner. Beide Männer sind von der Kälte unterschiedlich betroffen. Gustavo weil er von seinen Agrar-Erträgen leben muss und Silvio, weil er Ferien-Appartements hier oben hat, die normal beinahe durchgehend gebucht sind. Letzterer weiß aber als Rosenzüchter die Signale der Natur zu gewichten, und prognostizierte der "Zweitbesten", dass es in diesem Jahr nicht vor Mitte Juni warm werden wird. - Also gibt es das doch mitunter hier in Ligurien - freddo delle pecore.

Noch betrachten wir es irgendwie als Phänomen, wenn mitten am Tag die Heizung anspringt, obwohl wir das Thermostat auf 12 Grad herunter gedreht haben. Vermutlich verliert das an Reiz, wenn dann die Gasrechnung kommt. Feuchtigkeit und Kälte kriechen förmlich in die alten Gemäuer, und auf unserer Terrasse nutzt Luca die Gunst der Stunde für eine Sanierung, die sonst unweigerlich selbst  bei ihm zu einem ziemlichen Sonnenbrand geführt hätte.

Dank Silvio können wir uns mit den neuen Pflanzen also ruhig Zeit lassen. Wie zum Hohn trägt unser Zitronen-Bäumchen dort oben zwei riesige gelbe und bereits eine neue grüne Frucht - sowie jede Menge neuer Blüten, die einen betörenden Duft verbreiten. Vermutlich denkt es, es sei schon Herbst...

Freitag, 24. Mai 2013

Markt-Preise

Nun haben ja glücklicher Weise die EU-Bürokraten dieses merkwürdige Gesetzesvorhaben, nach dem künftig keine Glas-Menageren mit Essig und Öl mehr auf Restaurant-Tischen stehen dürften, vorerst aufgegeben. Angeblich sollen es die Italiener gewesen sein, die es zunächst wohl zur Wahrung der Qualität angeregt hatten.

Hier werden schon seit Jahren in den Restaurants, die wir bevorzugen, nicht nachfüllbare Fläschchen von Marken-Ölen und -Essigsorten entsprechend der Bestellung auf den Tisch gestellt. Die Glas- oder Plastik-Menageren meiner Kindheit, die morgens hin- und abends abgeräumt wurden und von denen man nicht wusste, was  und ob das, was darin schwappte, dann auch frisch war, gehören in Italien schon so lange der Vergangenheit an.

Seit der Kult um das Olio Extra Vergine weltweit die Hobby-Köche nicht nur erreicht, sondern zu einer extatischen Überhöhung dieses Grundnahrungsmittels geführt hat, ist es bei den Preisen aber teilweise wirklich angebracht, die Qualität zu hinterfragen. Denn natürlich wird da  auch Schindluder getrieben.

In den Nachbar-Dörfern mit ihren  feinen Aziende Agricole oder Agriturismi wird auf Basis von Mund-Propaganda mitunter für ein 0,33l-Fläschchen schon mehr als 14 Euro bezahlt. Das Öl ist sicher köstlich, aber wie diese Köstlichkeit erreicht wird, kann eigentlich nur ein Lebensmittel-Chemiker herausfinden. Die Großen Markenöl-Produzenten in Oneglia jedenfalls dürfen nach EU-Norm ihr Extra Vergine offiziell  mit bis zu 25 Prozent verschneiden. Zum Teil mit Granulat aus Nordafrika, das direkt am Pier von Frachtern gelöscht wird.

Besserschmecker veröffentlichen deshalb große Abhandlungen, weshalb gerade das Öl der Azienda, die nur sie nach mühevoller Recherche enteckt haben, in puncto Güte konkurrenzlos sei. Obwohl ich mir auf meine Geschmacksnerven schon etwas einbilde, kann ich da nicht mithalten. Natürlich soll es in erster Linie schmecken, aber der Preis muss für uns auch sinnvoll sein, weil wir unser Öl fürs Kochen, Backen, Braten und zum Anmachen von Salaten, Beizen und Marinaden unisono verwenden. Diverse angebrochene Flaschen für unterschiedliche Verwendung sind da bei unseren Küchengepflogenheiten eher kontraproduktiv.

Die meisten hier in den Valle di Oenglia verfügen natürlich über ihr eigenes Öl oder kennen zumindest jemanden, dem sie - was das Native angeht - vertrauen. Es gibt Spezialisten, wie zum Beispiel den Ex von Petronella, der mit einem feinen Händchen aus seiner Ernte ein Öl-Cuvée aus einem Anteil Mosto d'Oro und der ersten geklärten Kaltpressung mixt. Leider ist diese Quelle für uns versiegt, seit ich bei der Trennung zu Petronella gehalten habe. Wir sind aber  froh, dass Gustavo wieder auf die Burg kommt, weil er erneut mit Signora Girasole zusammen ist. So fällt von seinem köstlichen aber raren Öl wieder der eine oder andere Flasco zum bon prezzo für uns ab.

Aber ehrlich, wegen diesem "aus der Campagna Leben" können wir die Frage, wo das Alltagsleben preiswerter ist - in Deutschland oder hier? - nicht fair beantworten.

Zum Beispiel beim Wein: Neulich habe ich hier für einen mittelmäßigen Vermentino vom Erzeuger mehr als 11 Euro gezahlt. Konsumierten wir in dieser Preisklasse unser tägliches Quantum, fielen wir schon übermorgen der Altersarmut anheim, denn es findet sich ja leider niemand, der mir Vortragshonorare à la  Peer Steinbrück zahlen würde. Weshalb ich seine Bemerkung über Weine unter 5 Euro auch sehr unpassend fand. Dennoch hat er ja irgenwie recht, denn was bleibt nach Abfüllung, Etikettierung  und Zwischenhandel letztlich an önologischem Wert für den Inhalt...

Wie bei unserem generellen Konsum hier achten wir daher sehr darauf, was der Markt jeweils preislich hergibt und stellen dabei immer häufiger fest, dass zum Beispiel durch den Konkurrenzkampf der Supermärkte tatsächlich Weine in der Promotione sind, die uns gut bis hervorragend schmecken. Was dann auch meist den Gusto unserer Gäste trifft.

Zweimal in der Woche - wenn das Wetter mitspielt - gehen wir auf den Markt, obwohl wir wissen, dass die Preise da dem Vergleich mit den Supermercati nicht standhalten - wohl aber, was die Qualität oder die Originalität angeht. Spezielle Würste, Käsesorten aus eigener Produktion oder Standart-Gemüse und Obst aus eigenem Anbau sind uns da einfach sympathischer. Und obwohl Italien im Fälschen von Bio-Produkten eine gewisse Reputation hat, fühlen wir uns an den Ständen, an denen wir mittlerweile bekannt sind, absolut sicher. Wir vertrauen den Empfehlungen und bekommen - wenn wir zögern - sofort Kostproben, die uns dann überzeugen.

In letzter Zeit profitieren wir auf dem Markt  auch zunehmend  vom Kampf um die Kunden in der Krise, was sich bei den diesbezüglichen  regali, die nun fast immer in unseren Tüten landen für einen Zwei-Personen-Haushalt zu einigen Gratis-Mahlzeiten summiert.

Rund ums Glashaus in München passiert uns das nie. Ja - so gesehen, ist das tägliche Leben, die Ernährung betreffend deutlich günstiger.

Dienstag, 21. Mai 2013

Signale aus der wahren Welt

Oft schon habe ich das Leben hier auf der Burg  mit Thomas Manns literarischer Architektur des Zauberbergs verglichen: Wohlhabende, kranke oder eingebildet kranke Menschen leben in einem fremden Land auf einem Berg und entrücken so der einen oder anderen Realität des Alltags, bevor die hinterm Horizont der Geschichte lauernde Katastrophe eintritt. Thomas Manns Ahnungen von dem, was der Welt widerfahren wird, transportiert seine Romanfigur Mijnheer van Peeperkorn bereits 1924 in einem erschütternden Monolog...

Sein tragisches Erstaunen während einer Deutschlandreise anlässlich der Olympischen Speile 1936 verarbeitete zeitnaher der da 30jährige Amerikaner Thomas Wolfe in seiner Novelle Es führt kein Weg zurück. Das Literatur-Genie, Autor des zeitlosen Romans Schau heimwärts Engel, das zwei Jahre später an TBC starb, spricht die damals stetig wachsende Bedrohung gar nicht einmal explizit an. Er lässt sie beim Lesen zunehmend  entstehen.

Leider bin ich kein Literat, der seine Eindrücke derart  fiktional verbrämen könnte. Auch bin ich ja kein Journalist mehr, der recherchiert und den Dingen auf den Grund gehen könnte. Es gibt zwar Satelliten-Fernsehen sowie Internet. Aber persönlich bin ich nur Beobachter und vielleicht bisweilen ein zu sensibler Rezipient von Signalen. Ich nehme ungefiltert Gerüchte und Hörensagen auf, an denen ich kleine Veränderungen fest mache. Die Nabelschau als Blogger versetzt mich dabei allerdings in die vorteilhafte Lage, dass ich das Aufkeimen meiner Ängste nicht hinunterschlucken muss, sondern für mein Gewissen bewahren kann. Allein deshalb halte ich sie hier fest, und nicht um Stimmung zu machen!

An Pfingsten war Grillo in der Stadt. Ich bin nicht hingegangen. Mein Italienisch hätte bei seinem Rede-Tempo eh nicht ausgereicht, und das, was ich bislang unkommentiert von ihm gesehen oder gelesen habe, erinnert mich, was Dialektik, einstudierte Gestik und Krakelerei angeht, an Charly Chaplins Phantasie-Sprache in Der Große Diktator.

Im Gegensatz zum Kanzler-Kandidaten der SPD bin ich überzeugt, dass sich hier ein gefährlicher Populist zu einem möglicherweise unkontrollierbaren Machtrausch steigert. Die Rahmenbedingungen für eine derartige Entwicklung stimmen, und Peer Steinbrück wird seine Rede über die Clowns vermutlich noch einmal bitter bereuen.

Obwohl man es Italien in dieser vom Tourismus geprägten Region nicht auf den ersten Blick ansieht, gibt es auch hier Hinweise, dass meine Wahlheimat zunehmend am Stock geht. Öffentliche Bauvorhaben wie beispielsweise die Verlegung des Bahnhofes mitsamt der Bahnstrecke aus dem Zentrum haben sich extrem verlangsamt; wie auch  die Fertigstellung des protzig überproportionierten Yachthafens, den Zudem noch ein Problem mit kontaminierten Aufschüttungen plagt.

Nein, es sind eher die kleinen Signale aus der wahren Welt, die Hinweise geben. Wir waren nur vier Monate weg, und doch haben noch nie so viele Restaurants aufgegeben, ihre Besitzer oder die Öffnungsfrequenz gewechselt. Wie zum Hohn haben die Grillini ihren Informationsstand ausgerechnet vor unserem in Bestlage dicht gemachten Lieblingsmetzger gegenüber von San Giovanni inmitten der Fußgänger-Zone aufgestellt. Da bekommt das verballhornte Grilloni  (Name einer Grillwurst-Marke) der "Fünf-Sterne"-Gegner unmittelbar satirischen Tiefgang.

Petronella, meine Freundin und Nachbarin verblüffte mich einmal mehr mit ihrer nüchternen Betrachtungsweise scheinbar komplizierter Verhältnisse: "Die Grillini  in meinem Bekanntenkreis sind ja ausgerechnet die, die nichts zu Wege bringen und immer danach schreien, dass der Staat was für sie tun soll. Aber selbst arbeiten sie in merkwürdigen, oft familiär getarnten Beschäftigungsverhältnissen und zahlen keine Steuern. Jetzt liefert ihnen der Grillo auch noch diese Verweigerungshaltung als politisches Verhalten nach."

Es ist zur Zeit aber auch leicht, Verzweifelte in ein gefährliches politisches Fahrwasser zu lotsen. Unser junger Nachbar im Vorehestand, eine Art Verkaufsleiter in einem großen Baustoff-Handel, hat seit Monaten obwohl überall gebaut wird, kein Gehalt mehr bekommen. Im Einzelhandel werden viele in Minderbeschäftigungsverhältnisse gedrängt, was aber eher mit der Profitsucht ihrer Arbeitgeber als mit der Krise zu tun hat. In Ligurien sind agrarische und touristische Jobs aber auch oft saisonal, so dass der Arbeitsmarkt quasi schwer kontrollierbar wird.

Von zu Hause kommt immer öfter die Frage, wie es mit der viel zitierten Deutschenfeindlichkeit stünde. Wir spüren davon nichts. Beim Erwähnen unserer Kanzlerin allerdings ist die Reaktion  unisono, was mich ärgerlicher Weise als ihr Nichtwähler dazu zwingt, sie mit den mir zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln vehement zu verteidigen...


Sonntag, 19. Mai 2013

Das Ende der Neidgefühle

Für die, die nicht längere Zeit hier leben, ist es vermutlich beängstigend. Was der Himmel derzeit mit uns anstellt, findet auch in den Wetter-Annalen Nord-Italiens nichts Vergleichbares. Die Meteorologen sprechen hier vom regenreichsten Frühling seit Beginn ihrer Aufzeichnungen. Allenthalben treten die Flüsse über ihre Ufer. Auch der Impero 500 Meter unter uns ist so voll und reißend, dass wir Nachts in den Pausen des trommelnden Regens von seinem Rauschen in den Schlaf gelullt würden. Aber diese Pausen werden auch von anderen Geräuschen überlagert. Die "Nächte der rollenden Koffer" haben begonnen. Es ist ja Pfingsten, und da füllt sich unser Borgo nach und nach mit den Residenten und jenen, die sich zum Stillen ihrer Sehnsüchte nach besserem Wetter hier ein Häuschen oder eine Wohnung für die Ferien gemietet haben.

Gestern am Hafen saßen schon einige vorausgereiste Familien bei Dauerregen und Kälte unter den Arkaden im Freien und zitterten sich Pasta und Pizze zwischen ihre blau gefrorenen Lippen. - Hallo, wir sind in Italien, da wird draußen gespachtelt! Das gehört eben  zu den Vorstellungen von den "Italienischen Momenten". Die Oldtimer der Sanremo-Classic-Rallye zogen bei ihrem Corso durch unsere Stadt erstmals seit Jahren Wasser-Fontänen  hinter sich her, was immerhin ein spannender Anblick war.

Es hat wirklich nichts mit Arroganz zu tun, wenn die "Zweitbeste" und ich nicht wirklich unter diesen Wetter-Bedingungen leiden; abgesehen vom Lichtmangel natürlich. Wir werden ja von Jahr zu Jahr bescheidener - was unsere Operationsradien anbelangt. So überkommt uns beim Stubenhocken wenigstens kein schlechtes Gewissen ob unserer Untätigkeit, die ja auch nicht wirklich eine ist. Denn endlich kommt man im Haus zu Reparaturen und sonstigen Dingen, die bei schönerem Wetter auf die lange Bank geschoben werden... Oder ich schreibe einen Burgbrief vom schlechten Wetter und justament kommt die Sonne heraus, aber erzeugt keine Wärme.

Da wir im septemberhaften Dezember hier waren, kommt bei mir langsam der Gedanke auf, das Wetter habe sich heuer um einen Monat verschoben. Also wäre das jetzt der April, und im Juni erleben wir hier unseren gewohnten Wonnemonat Mai... Das Alter hat schon seine Vorteile: Wir können abwarten. Was habe ich mich aber früher geärgert, wenn ich mit der Familie unterwegs war und viel Geld für Tage im Regen mit unterbeschäftigten Kindern ausgegeben habe.

In diesem Schein-Frühjahr kommt aber noch ein wichtiger Faktor hinzu. Ich muss bei Anrufen von Verwandtschaft und Freunden aus dem heimischen Sauwetter kein schlechtes Gewissen mehr haben, dass  es hier immer so gutes Wetter gibt:

Die Familien-Koordinatorin Tante B. weilte in Hamburg bei bis zu 24 Grad, meine mittlerweile erwachsenen Kinder haben Rad-Ausflüge bei über 20 Grad in München gemacht, während wir hier die Heizung anwerfen mussten. Für die Hartnäckigen, die es trotz Internet  nicht glauben wollten, brauchte ich ja nur die Web-Cam aus dem Fenster zu halten.

Das war dann das Ende jeglicher Neidgefühle!

Mittwoch, 15. Mai 2013

Lauwarmer Salat aus jungen Artischoken

Was macht einer, der wegen des Temperatursturzes hier in der vergangenen Nacht nicht schlafen konnte? Er erfindet zur Bekämpfung des Mangels an Frühling als Antidepressivum ein Euch hoffentlich erheiterndes Rezept für heiße Sommertage:

Die folgenden Zutaten sind als Vorspeise für vier gedacht, machen aber auch als Hauptgang für zwei "pumperlsatt".




Zutaten:

Zehn kleine Frühjahrsartischocken. Vorsicht! Sie haben sowohl an den Stängeln als auch an ihren Blättern scharfe und spitze Dornen, die einem beim Putzen ganz schön zusetzen können. Am besten an der Blüte anfassen und mit einem sehr scharfen Messer alle Dornen am Stängel vom Körper weg wie sehr holzigen Spargel gründlich schälen. Zwei Drittel des Dornen-Kegels an der Blüte mit einem Schnitt abschneiden, so dass eine Art Rose übrig bleibt (siehe Abbildung). Unter der Blüte den  Stängel so lang stehen lassen, wie er sich ohne Druck leicht abschneiden lässt. Viele schneiden den Stängel komplett ab. Das ist aus meiner Sicht ein Fehler. Das Mark der Stängel ist zwar ein wenig bitterer als das Artischoken- Herz, aber genauso nussig wie der Boden. Die herbe Note fange ich dann durch das Würzen ab.


Zwei hart gekochte Eier gewürfelt.


100 Gramm gewürfelter Räucherspeck.
Drei große Zehen vom jungen, grünen Knoblauch - im Idealfall noch Bärlauch.
Eine handvoll grob geschnittene Petersilie.
Ein voller Esslöffel Dijon- oder Löwen-Senf - Hauptsache scharf.
Zwei Esslöffel Olio Extra Vergine
Zwei Esslöffel DolceAgro-Essig oder die gleiche Menge Weißen Balsamico mit einem Teelöffel Melassezucker mischen.

Zubereitung:
Die Artischocken nach etwa 45 Minuten Garzeit von allem Harten  rigoros entblättern, bis nur noch im ganzen essbare Blätter und das Herz übrig bleiben. Überprüfen, ob das Heu  auf dem Boden nicht schon strohig, sondern weich und milde ist, dann kann man es nämlich mitessen und braucht den Rest nur noch zu vierteln. Ansonsten das Heu mit einem feinen Schnitt vom Boden Lösen. Bei zu reifen Artischocken sollte auch nur die Blatt-Basis für den Salat abgeschnitten werden. (Der Rest kann als Appetitmacher und Lohn fürs Kochen beim Anrichten gelutscht werden...
Kartoffel-Würfel gemeinsam mit dem Speck anbraten und ruhig ein wenig kross werden lassen. Dann den gehackten Knoblauch mit der Petersilie hinzugeben und die zerteilten Artischocken unterheben. Etwa zwei Minuten mitbrutzeln lassen, dann aus der Pfanne direkt in die Schüssel zum Würzen. Öl und Essig in die lauwarme Masse und dann mit dem Senf abmischen. Zum Schluss die gewürfelten Eier dazu - fertig!

Wer keine frischen Artischocken mehr bekommt (denn die Saison ist nahezu vorbei) kann natürlich auch bereits sauer in Öl eingelegte Herzen vom Feinkost-Laden nehmen (dann 16 Stück). Aber frisch ist der Geschmack einfach noch etwas anderes, und es ist ein nicht nur sehr gesundes, sondern auch extrem preiswertes Gericht - etwa acht Euro.

Auf tiefem Teller lauwarm entweder mit einem kleinen Klecks Pesto oder Olivenpaste anrichten. Auch ein Hauch von Parmesan kann nicht schaden.

Buon appetito!

Samstag, 11. Mai 2013

Trinkwasser

Wer den Großteil seines Lebens in der Millionenstadt mit dem erwiesener Maßen besten Trinkwasser der Welt  verbracht hat, der tut sich schwer die Selbstverständlichkeit mit dessen Versorgung alarmiert zu betrachten. Doch seit ein paar EU-Lobbyisten laut darüber nachdenken, Trinkwasser zum Handelsgut zu machen, damit die Nahrungsmittelkonzerne ihre gierigen Schlünde noch voller bekommen, ist Misstrauen Bürgerpflicht.

Auf einer Podiumsdiskussion über die Trinkwasser-Versorgung in den touristischen Zentren der Dritten Welt. bei der ich, was die ungebremste Reisetätigkeit der Reichen anging, schon auf dem Weg vom Saulus zum Paulus war, wurde ich einmal gefragt, wo in meinem Leben ich das köstlichste Trink-Erlebnis in dieser Beziehung hatte.

Da musste ich wirklich überlegen:
Im Grüntal - einer Aue im Münchner Stadtteil Bogenhausen - floss der Brunnbach fünfzig Meter von unserer Haustür entfernt idyllisch unter der Böschung des Isar-Hochufers entlang. Im Sommer funktionierten wir die Tröge der Schäfer, die damals diese Wiesen beweideten, in abenteuerliche Kanus um und befuhren den unteren Teil bis kurz vor dem Zufluss in den Isar-Kanal. Im oberen Abschnitt floss der Bach an einem öffentlichen Fußball-Platz vorbei. Da war er noch zu flach zum Schippern, aber dafür hatte er hangnah im Unterholz sprudelnde Quellen. Wir eingeweihten Kinder gingen dort nach jedem Bolz-Match zum Trinken hin, und keine Aussicht auf ein Fanta, eine Bluna oder die meist verbotene Coke hätte die Köstlichkeit dieses Trunks mindern können. Damals war das der Rand der Großstadt. Die Idylle wurde erstaunlicher Weise erhalten, aber ob die Kinder daraus noch heute trinken können...

Das zweite besondere Trink-Erlebnis hatte ich bei einem Überlebenstrip auf der Sinai-Halbinsel. Zwar hatte uns der Sheik von Ein El Agdar aus seinem Tiefenbrunnen für den Notfall versorgt, aber ich wollte eben beweisen, was ich nach dem Tag in der Glut-Hitze vom Überleben in der Wüste gelernt hatte: Ich vergrub den größten Topf vom Camping-Geschirr tief in einem Sandloch, schnitt ein paar noch saftige Zweige (die uns unsere Kamele noch übrig gelassen hatten) von einer Dornen-Akazie, legte sie über den Topf und deckte die Mulde mit meiner Sirius-Rettungsfolie (silberne Seite nach oben) hermetisch zu. Dann legte ich einen leichten Stein in die Mitte über den Topf, so dass eine Art umgekehrter Trichter entstand. Der enorme Temperatur-Unterschied zwischen Tag und Nacht und die früh brutzelnde Morgensonne sorgten ohne weiters Zutun beim Öffnen für einen halben  Liter erstaunlich frischen Wassers in meinem Kochtopf. Wen störten da schon die kleinen Tierchen. Stolz verteilte ich an meine Weggefährten Schlückchen. Selbst erzeugtes Trinkwasser - was für ein Genuss!

Jetzt las ich dieser Tage von Arbeitern, die in Afrika für eine Mineralwasser-Firma zu Minimal-Löhnen schuften und in ihren Dörfern aber keinen Zugang zu gesundem Trinkwasser haben. So wie ihnen soll es nach den Prognosen der WHO bald mehr als der halben Weltbevölkerung gehen. Hunger und Durst werden in unserer Luxus-Welt noch unvorstellbarere Ausmaße annehmen, wenn wir nichts unternehmen. Aber können wir wirklich etwas tun?

Als wir vor mehr als zwölf Jahren auf die Burg zogen, kamen die Leute aus den Nachbar-Dörfern mit großen Kanistern um sich Wasser von unserer Fontana auf der Piazza zu holen. Das Geschmackserlebnis mit unserem Wasser hier stellte sogar meine oben geschilderten in den Schatten. Oberhalb vom Dorf floss da am Weg zum Pizzo ein offenes Bächlein in ein Wasser-Reservoir für die rundum gelegenen Gemüse-Gärten. War es in den heißen Sommermonaten versiegt, kam es auch bei der Trinkwasser-Versorgung zu Einschränkungen. Aber die waren nie so drastisch, dass man sich nicht drauf  hätte einstellen können...

Aber dann begann das Geschäft mir den Ferien-Wohnungen, und die zahlenden Gäste hatten ja Anspruch auf  ihren Komfort. Das Bächlein verschwand, weil ein reicher Norditaliener oberhalb des Dorfes ein großes Anwesen luxuriös kultivierte und aus dem Fußweg mit dem Bach die Anfahrt für seine Gelände-Fahrzeuge machte. Die "Hundertjährigen Geschwister" und all die anderen Horto-Besitzer konnten da noch so viel jammern. Sie mussten nun teures Leitungswasser zum Bewässern nehmen.
Bier und Wein statt herrlichem Quellwasser

Der Wasserpreis hat sich in der Zeit, seit wir hier leben, verdreifacht. Die Qualität verschlechtert sich von Jahr zu Jahr. Unser Wasser kommt jetzt aus der Gegend des Nava-Passes, ist so sedimentreich, dass der gelöste Kalk aus dem Sandstein-Schiefer - wenn man nicht ständig wischt - oxidiert und sich schwarzbraun verfärbt.

Wenn die gewaltigen Sturzbäche vom Himmel kommen - wie gestern Nacht - wird in den Pumpstationen ohne große Überprüfung offenbar soviel Chlor zugesetzt, dass man unser einst so gelobtes Wasser nicht mehr trinken kann.

Mittwoch, 8. Mai 2013

Die Ameise und der Grillo

Meine Schwester sang einst in einem Rundfunk-Kinderchor mit großer Reputation und Repertoire. Zu letzterem gehörte das uralte italienische Kinderlied von der Ameise und der Grille, die heiraten wollten. Es waren die ersten italienischen Worte, die ich lernte, und ich fand die Geschichte, weil ich noch so klein war, sehr sehr traurig. 


Heute angesichts der politischen Verhältnisse in meiner Wahlheimat Italien muss ich über die tiefere Bedeutung der Worte sehr lachen. Könnte doch die Quintessenz aus einer Ehe mit dem Grillo entweder für den Populisten oder Italien tragisch enden...
Hier kurz die geraffte inhaltliche Übersetzung nach meiner subjektiven Sicht:



Eine bettelarme (verzweifelte?) Ameise krabbelt durch ein Flachsfeld und trifft  den Grillo. Was willst Du? Ich brauche Hemd und Schuhe, denn ich will heiraten. Gebe ich Dir, der Bräutigam bin ich. Die Ameise war einverstanden. Es gab ein Festmahl aus Kastanien und Rotwein. Dann ging's hinauf zum Altar. Aber Grillo hatte wohl zuviel Wein des Hochmuts erwischt, stürzte und brach sich das Genick. Weiß gekleidete Ameisen und Grillen in Schwarz trugen den Möchtegern-Bräutigam zu Grabe. Trotz ihres großen Schmerzes heiratete die Ameise wieder, fand in einer großen Nadel eine Gefährtin und stieß sich diese ins Herz...



C'era un grillo in un campo di lino,
la formicuzza gliene chiese un pochino.
Disse lo grillo: "Che cosa ne vuoi fare?"
"Calze e camicie, mi voglio maritare."
Disse lo grillo:"Lo sposo sarò io!"
La formicuzza:"Sarò contenta anch'io!"
Ecco arrivato il giorno delle nozze:
un bicchier di vino e tre castagne cotte.
Erano in chiesa e si mettean l'anello,
il grillo casca e si spacca il cervello.
Eran le otto di là dal mare
e si sente dire che il grillo stava male.
Eran le nove di là dalla via
si sente dire che il grillo è in agonia.
Eran le dieci di là dal porto
si sente dire che il grillo era già morto.
Tutte le formiche vestirono di bianco
per accompagnare il grillo al camposanto.
Tutti i grillini vestirono di nero
per accompagnare il grillo al cimitero.
La formicuzza dal gran dolore impazza:
sposa di fresco si ritrovò ragazza!
La formicuzza per il gran dolore
prese uno spillo e se lo ficcò in cuore.

Sonntag, 5. Mai 2013

Lärmende Stille

Es lässt sich ja viel vorstellen. Aber dass das Wetter hier auf der Burg in den zurückliegenden vier Monaten genau so grausig gewesen sein soll wie in Deutschland, das will nicht so recht in unsere Vorstellungen passen. Unsere Nachbarn haben sich alle wirklich gefreut, dass wir wieder da sind. - Und, dass wir Sonne und wärmere Temperaturen mitgebracht haben.

Die kleine Witwe Ada lag mir mit leichtem Tränen-Schleier in den Armen, und der schüchterne Vittorio von nebenan bremste und stieg sogar  extra aus seiner Ape, um uns zu begrüßen. Die emeritierten Musik-Professoren Pasquale und Miranda rissen synchron ihre Fenster hoch über der Piazza auf und verknüpften mit unserer Ankunft quasi ein Signal. - Gleichsam als seien wir Zugvögel in umgekehrter Richtung den Frühling endlich mitbringend. Nur Ludo hatte ein unerschüttertes Sonnen-Grinsen auf, das ihm hoffentlich ein Leben lang bleibt. Nach Jahren des Herumstudierens in der Welt hat seine zauberhafte Giovanna sich endlich entschlossen, zu ihm auf die Burg zu ziehen. Vielleicht läuten ja bald die Hochzeitsglocken. Schön, wieder daheim zu sein!

Es hätte der Horror-Schilderungen von Dauerregen, Staubstürmen und fünfzig Zentimeter Schnee im Dorf eigentlich nicht bedurft. Die Pflanzen auf der Piazza und unser Dachgarten sprachen für sich. Im Haus war es so feucht, dass wir erst einmal die Heizung auf volle Pulle hoch gestellt haben. Auch hängt der Blinke-Stern von Weihnachten noch über der Piazza, und selbst auf dem Appenin liegt noch richtig Schnee. Da hat sich Signora Giardini, unsere Stadtgärtnerin, wohl noch gar nicht hoch gewagt. Wieder wurden durch die Sturzbäche in unserer Gasse weitere Pflasterplatten heraus gerissen. Aber die Flaute in der Gemeinde-Kasse wird uns wohl den prekären Eindruck, den die immer größeren Löcher machen, weiter zumuten. Italien muss ja sparen.

Eine Woche wird es wohl dauern, bis wir unser Haus wieder in Normal-Zustand gebracht haben. Aber was wir von Anfang an genießen wollten, war endlich wieder bei offenem Fenster schlafen zu können... Ermattet von der Reise und leicht angetrunken von der "Wein-Notreserve 1" legten wir uns hoffnungsfroh zu Bett. Aber dann ging es los.

Natürlich wollten uns auch die übrigen Dorfbewohner begrüßen. Die kleinen Eulen mit den Pinselohren, von denen viele bei uns in Deutschland diesmal den harten Winter nicht überlebt hatten, traten den Beweis an, dass ihre ligurische Verwandtschaft fit genug ist für die nächtliche Dauer-Balz. Und weil ich ihre Pfeif-Signale in der Vergangenheit oft irritierend und täuschend imitiert habe, versammeln sie sich diesmal  gleich direkt rundherum mit ihrem Geflöte.

Durch unsere wieder funktionierende Pendule im Glashaus, haben wir ja für das nächtliche Gebimmel von San Giovanni unter unserem Schlafzimmer hier  trainiert, aber die Kirchenglocke schlägt eben auch die halben Stunden mit der vollen Anzahl und einem zusätzlichen Halbton, auf den man im Unterbewusstsein am Ende doch immer wartet...

Die Nacht der "lärmenden Stille" wurde noch gekrönt durch unseren partiell verwirrten Dorf-Geist, der mit einem Eimer Kaffee und einer Taschenlampe ausgestattet beschlossen hatte, seine Monologe direkt unter uns abzuhalten. Da kennt er aber die "Zweitbeste" schlecht. Aus der Tiefe des Raumes donnerte ihre Stimme:"Basta adesso!" Worauf er wohl vor Schreck seinen Koffein-Vorrat verschüttete und verängstigt wie ein kleines Kind jammerte:"Aiuto, aiuto un spirito!"

Daraufhin musste die kleine Hexe neben mir im Bett natürlich herzhaft lachen und blieb - angeschickert wie sie war - so munter, dass sie mich für den Rest der Nacht wach quatschte...