Donnerstag, 29. August 2013

Der Schmetterlingseffekt

Am Beispiel der Chaos-Theorie lässt sich einzigartig festmachen, wie falsche Kolportage zu einem hartnäckigen Missverständnis führen kann. Der falsch ausgelegte Schmetterlingseffekt wird auf die Überschrift zu einem meteorologischen Referat des Amerikaners Edward Lorenz zurück geführt, die die Frage stellte, ob der Flügelschlag einer Möwe in Brasilien, einen Tornado in Texas auslösen könne. In der Folge wurde aus der Möwe ein Schmetterling, weil Berichterstatter, Referenten und Wissenschaftsjournalisten es mit einem zum Thema gehörenden dreidimensionalen Gemenge-Modell in doppelter ellyptischer und animierter Computer-Darstellung einer Rechenformel von Lorenz gleichsetzten. Schaute man eindimensional auf das Ergebnis so sah das am optischen Schnittpunkt der sich eigentlich nicht berührenden Linien aus wie ein hauchzarter Schmetterling.
Seither ist die romantische Fehlinterpretation populärer als dieser Beitrag zur Chaos-Theorie: Bands, Filme und Essays sind nach ihr benannt, aber das eigentlich Bahnbrechende an dieser epochalen Berechnung wird mit Falsch-Zitaten zugemüllt.

Da ist mir der Schmetterlingseffekt, den die Zweitbeste hier auf der Burg erzielt hat, trotz erster Zweifel schon einleuchtender. Mitten im Regengrau des Frühlings schleppte sie einen eher unscheinbaren Blumentopf auf die Terrasse und stellte ihn dort mitten auf den Tisch.
"Was willst du denn mit dieser hässlichen Pflanze?", erhob ich Einspruch.
"Wirst schon sehen!", gab sie sich kryptisch.
Dass diese Pflanze dann wunderschön zu blühen begann, bekam ich eigentlich nicht mit, weil ich in der Hitze die Terrasse ja tagsüber wochenlang gemieden habe. Aber im Juli fiel mir dann auf, dass wir auf der Piazza noch nie so viele Schmetterlinge hatten, und als dann alle Mauersegler fort waren, begannen die verschiedensten Arten paarweise ganz ungeniert zu tanzen.
"Schau mal Spatzl! So viele Schmetterlinge hatten wir noch nie!"
Souverän konterte sie:"Das macht alles mein Schmetterlingsbusch. Ich hab's dir ja gesagt!"
Jetzt, da ich wieder ganze Tage auf der Terrasse herum fläze, werde ich von den lautlosen Schönheiten umschwirrt, die sich mit ihren Rüsseln an dem noch immer blühenden Busch gütlich tun. Sie haben längst keine Angst mehr vor mir. Deshalb kann ich mich ihnen auf Nasenlänge nähern.
Ein Distelfalter kommt besonders häufig und bleibt auch länger als die anderen. Bei näherer Betrachtung fällt mir auf, dass ihm der halbe rechte Flügel fehlt. Schon Anzeichen des nahenden Todes? Ein genetischer Defekt? Der erfolglose Angriff eines Fress-Feindes? Oder ist er vielleicht nur beim Entpuppen eine wenig fest geklebt? Ich weiß es nicht.
Aber ich bin begeistert, dass er im Flug nichts von seiner Behinderung erkennen lässt.
Ein Airbus kann ja angeblich auch noch mit einem Triebwerk den Atlantik überqueren, aber mit so einem Schaden am Flügel würde jedes von Menschen geschaffene Fluggerät abstürzen. Dieser Distelfalter braucht einfach nur die Frequenz zu erhöhen und tankt deshalb wohl mehr Nektar.

Man könnte also sagen, dass er quasi auch in einer weiteren Dimension der Fehl-Interpretation flattert: Dem "Schmetter-links-Effekt"...

Montag, 26. August 2013

Nach der großen Hitze

"Am letzten August-Sonntag gibt es starke Gewitter und dann beginnt der Herbst." Diese Prognose galt bislang häufig für München. Dass sie aber auch für unseren Borgo gelten sollte, habe ich unserem hiesigen Wetter-Guru vor zweieinhalb Monaten inmitten der "Schafskälte" nicht glauben wollen. Deshalb habe ich nicht gewagt, sie zu veröffentlichen.
Wie macht Don Silvio das, Wetter- und Frauen-Versteher zugleich zu sein? Zumal gestern die sensationelle Vier-Jahreszeiten-Dokumentation in der ZDF-Dokumentar-Serie "TerraX" darüber berichtete, dass Jahreszeiten sich aktuell derart verschieben, dass selbst Landwirte von ihrem zu frühen Beginn oder kompletten Ausbleiben überrascht werden.
Gut, der ehemalige professionelle Rosen-Züchter ist über 70 und hat in der langen Zeit sicher gelernt, genug Erfahrungen und Signale für seine Prognosen im Kopf zu verarbeiten. Es war ja auch klar, dass nach dem fast kompletten Ausbleiben des hiesigen Frühjahrs "il grande caldo" geradezu übergangslos um so länger dauern würde. Aber selbst das Radar der Großwetter-Lage und die ligurischen Vorhersagen gaben kein präzises Bild zu dem ab, was sich dann tatsächlich einstellte.

Die Gewitter kamen am Samstag, umkreisten uns - verwirbelt durch unsere Talkessel - derart, dass auch Blitze trocken direkt neben uns herunter krachten, aber die Burg mit den ansonsten kaum zu beherrschenden Regengüssen verschonten. Obwohl der Wind ganz schön pfiff, war keine eindeutige Richtung festzustellen. Umso erstaunlicher, dass heute morgen auf der hinteren Treppe (dem Schlechtwetter-Wind Grecale aus dem Osten zu gewandt) nur ein einziger Pflanzen-Topf umgekippt war. Ausgerechnet der schwerste von allen mit einer 150 cm hohen, eher schütteren Konifere drin. Das muss eine enorme Fallbö gewesen sein. Alle flachen Töpfe - auch auf der Piazza und der Terrasse - standen unverrückt.
Heute gegen fünf Uhr früh war der Himmel noch einmal mit schweren Wolken verhangen. Um neun war er dann aber bereits wieder blank gefegt.

Alles sieht jetzt aus, als habe ein Foto-Realist sein Gemälde aus Farbschichten geradezu heraus gemeißelt. Das ist bereits das typische ligurische Herbstlicht. Mein Morgen-Kaffee auf der Piazza war angenehm chillig und kühlte die hitzigen, schweren Träume der vermutlich letzten Sommernacht.
Klar, wird es auch nach diesem Wochenende noch mal so richtig heiß werden. Wir hatten ja auch im vergangenen Oktober Tage mit über 30 Grad, aber die Nächte machen dann eben das Atmen freier.

Der Herbst in Europa  dauere jetzt doppelt so lange wie der Winter, sagen die Meteorologen: Ein schönes Karma für all diejenigen, die bereits im Herbst des Lebens angelangt sind. Eines ist jedenfalls sicher, ohne 2012 den schönsten Herbst unseres Lebens hier verbracht zu haben, hätten die Zweitbeste und ich den grausigen vergangenen Winter samt dem triefnassen Frühjahr nicht so gut weg gesteckt.

Umstände halber, werden wird hier in der letzten September-Woche die Zugbrücke hochziehen, um Herbst und Winter in München zu verleben. Das macht mich jetzt schon traurig.  Es wird also nur noch ein paar Burg-Briefe geben, aber ich bemühe mich dann darin um so mehr Optimismus.

Freitag, 23. August 2013

Schreib-Bloggade

So etwas darf es beim Burgbriefe-Schreiben nun mal gar nicht geben!  Die weltweite Leserschaft hat absolut  ein Anrecht, regelmäßig mit Briefen versorgt zu werden.
Habe ich doch gerade wieder so eine süße Mail einer ehemaligen Burg-Bewohnerin bekommen, die schrieb, dass ihr das Heimweh nicht ganz so sehr zusetze, wenn sie die regelmäßig lese. Wie gesagt – da geht Schreib-Blockade dann gar nicht!

Aber Jesse Stone hat mich gerettet und auf eine Idee gebracht.
Jesse ist Polizei-Chef eines Countys in der Nähe von Boston. Das heißt Paradise und wird genauso mordlüstern heimgesucht, wie bei uns in Deutschland solche eigentlich friedlichen Orte wie Bad Tölz, Murnau, Rosenheim oder weiter weg in der Eifel Hengasch:
Überall übersteigt die Mordrate bei weitem prozentual  und proportional die Einwohner-Zahl.
In Paradise – wo man friedlich und ohne Mordlüsternheit Austern schlürfen, super angeln und segeln könnte - ist das nicht anders. Nur, dass der von seiner Westcoast-Tussy geschiedene Stone, sich eben, um Fälle zu lösen, abends gerne mal einen eingießt. Und das auch ungeachtet dessen tut, dass er jede Schönheit flach legt, die in den Drehbüchern auftaucht (Produzent und Drehbuchautor Tom Sellek, alias Magnum, alias Jesse Stone)...

Was hat das alles mit Obelix zu tun? Jesse/Tom ist etwa mein Jahrgang, aber er weiß nicht, dass ich ein TV-Nachmach-Junky bin. Soll heißen, wenn in einem Krimi ein super Espresso getrunken wird, rieche ich den nicht nur, sondern  kann nicht eher ruhig weiter schauen, bis ich nicht die drei Stockwerke hinunter gegangen bin, um die Espresso-Maschine anzuschmeißen. Ganz arg ist das, wenn die Protagonisten Schoko-Riegel naschen: Dann ist meine, diabetisch bedingt, unterversorgte Mundhöhle voller Schoko-Kakao-Gelüste, die vorsorglich – wegen verbotener Vorratshaltung – aber nicht befriedigt werden können… Das wirkt sich dann in etwa so aus wie die Schreib-Blockade: Ich spüre dann ein tiefes Unbefriedigtsein und leide unter Monotonie.

Gut! Als ich heute im Schlagschatten des Mittags auf meiner Bank auf der Piazza saß, und mit eben dieser Schreib-Blockade haderte, erinnerte ich mich daran, dass Jesse mir ja von gestern Nacht noch ein Highball-Glas mit großen Eiswürfeln und zwei Daumen breit Whisky schuldete. Diese Schuld löste ich ein – und siehe da: Aus wäre es beinahe mit der Blockade gewesen! Mir kam nämlich folgender Gedanke:

Wie könnte ich doch die Burg hier verändern, wenn ich überproportional eine Mord-Rate in diesen Borgo hinein schreibe? Wenn alle schönen Frauen des Capo Luogo und sogar noch die von Imperia hier hinauf  pilgerten, um meiner unermüdlichen Potenz teilhaftig  zu werden?
 – Und dann kam unser vermutlich  „tourettierender“  Burggeist laut fluchend und monologisierend sowie teuflisch lachend im Outfit eines Baseball-Pitchers auf die Piazza geschritten und  hörte nicht mehr auf zu reden...

Wenig später- auf meiner Flucht vor dem Dauergebrabbel - traf ich oben an der Santa Anna Burggeist Miro, den mit 92 Jüngsten der (bis auf eine der Zwillingsschwestern  nunmehr allesamt verblichenen) Hundertjährigen Geschwister.
„Wieso hat den da unten noch keiner umgebracht?“, fragte ich  - an meine neue, noch zu schreibende Fernseh-Serie denkend – dieses zähe Gerippe, das noch immer täglich seine Oliven bewirtschaftet:

„Wenn der Mond abnimmt, herrscht wieder Monotonie!“, gab er zusammenhanglos zu bedenken.
Sag bloß du leidest unter der Eintönigkeit hier? Du gehst doch kaum mal ans Meer oder in die Stadt nur, wenn du zu Behörden musst“, meinte ich, eine Antwort zu schulden.

„Ich doch nicht! Ich bin ja zufrieden! Ich rede von dir!“

Monotonie der Zufriedenheit – das wäre ein schöner Titel für diesen Post gewesen.


Montag, 19. August 2013

Lingua Franca

Wer es nicht verstehen kann, sollte verständlicher Weise vorrangig ein Ziel verfolgen: Die Verständigung.
In Zeiten, in denen jeder nur die entsprechenden Apps auf seinem Smartphone aktivieren müsste, klingt das vermutlich seltsam. Aber wer schon selbst nicht mehr ganz junge Leute an einem Tisch beobachtet, von denen jeder in sein Smartphone guckt, dem leuchtet ein, dass die zwar kommunizieren, aber eben nicht mehr direkt miteinander. Sie machen zwar etwas in Gemeinschaft, vielleicht sogar gemeinsam, aber sie verzichten darauf, eine direkte Gemeinsamkeit durch Konversation herzustellen. Ich finde das traurig, und es macht mich dieses tippende Schweigen langsam auch aggressiv.

Weil ich alt bin, verliere ich mich dann in Erinnerungen an meine Jugend, in der es diese ganzen Hilfsmittel noch nicht gab und ich trotzdem in der Fremde gut zurecht kam. - Selbst wenn keine der Sprachen, die ich mal gelernt hatte, verstanden wurde. Ich brauchte auch heranwachsend nur daran zu denken, wie ich als Kind vorgegangen bin, wenn ich auf unseren Reisen Spielkameraden finden wollte. Später auf einer Expedition mit Heinrich Harrer zur Inthronisation eines Rimpotche in Ladakh, erkannte ich an seinen Regeln für die Kommunikation, dass mein Prinzip der Naivität so falsch nicht war. Dort hatten wir sie allerdings nicht nötig, weil ja Harrer als ehemaliger  Lehrer des Dalai Lama fließend Tibetisch sprach. Aber bevor er die sieben Jahre in Tibet verbringen konnte, retteten sie ihm in dem vom Zweiten Weltkrieg verwirrten Himalaya das Leben:
1. Zeigen, dass man nicht feindlich, sondern freundlich und interessiert, aber nicht anbiedernd sein möchte.
2. Sich durch Zeigen gegenseitig Vorstellen und Ehrerbietung signalisieren.
3. Sich mit dem Gesprächspartner hinsetzen (keiner soll den anderen überragen).
4. Im Sitzen ein kleines Geschenk machen - auch wenn es nur eine Zigarette oder ein Getränk ist.
5. Die ersten zwanzig Begriffe von einander lernen.
6. Wenn du etwas erfahren willst, stelle keine Suggestiv-Fragen. Nichts fragen, was nur mit ja oder nein beantwortet werden könnte...

Die jüngste Forschung hat ja heraus gefunden, dass die alten Ägypter - weil sie den Bernstein für eingefangenes Sonnenlicht hielten - Expeditionen zur Region seiner Herkunft durchführten; über Land!
Was müssen das für Kommunikationsgenies gewesen sein. Denn sie erreichten auch ohne Navi und Karten-Material nachweislich die Ostseeküste.
Aber man muss ja gar nicht soweit zurück gehen. Die Welser und die Fugger sowie umgekehrt die Venezianer und Florentiner haben sich ja auch auf ihren Handelsreisen verständigen können. Zwar hatten die als Krücke die Sprache des Mittelmeer umfassenden Römischen Imperiums, aber Latein sprachen eben nur die Kleriker und die Gebildeten. Die übrigen hatten einen anderen wesentlichen Faktor als Grundlage zur Verständigung:  Zeit.

Weder in den Feldlagern noch in den Herbergen gab es Alternativen zum Gespräch - selbst wenn es rudimentär aus Gesten und einzelnen Worten bestand. Auf diese Weise entstand eine Sprache, die im Mittelalter die gesamte, damals bekannte Welt erreichte: Die Lingua Franca. Was übersetzt eigentlich die "Fränkische Sprache" heißt, weil wohl die Pfeffersäcke von nördlich der Alpen mit ihrer germanischen Liebe fürs Ordentliche auch da wieder Regeln einführten. Mir gefällt meine Deutung besser. Franca bedeutet ja auch frank und frei, denn so sollten wir miteinander ohne Schüchternheit sprechen, auch wenn wir die Sprache des jeweils anderen nicht verstehen.

Wie ich darauf komme? Durch die aktuellen Erlebnisse auf der Piazza. Nach zwei Tagen spätestens hatten hier die meisten Kids ihre Smartphones und i-Pads vergessen und spielten, indem sie sich mit einer Misch-Sprache aus Italienisch, Deutsch und Französisch das Nötige zuriefen, leidenschaftlich Verstecken, flirteten oder versetzten sich sonst wie ins Abenteuerland der Phantasie. Noch schöner war aber, dass das auch bei den Erwachsenen funktionierte:

Sabrina und Giancarlo haben hier vor dreißig Jahren bei verwegenem Spiel die Dächer  der Burg unsicher gemacht. Dabei waren noch Ingo, Danilo, Graziella und wie sie sonst noch alle hießen. Jetzt sind sie weit in den Vierzigern, kommen aber immer noch hierher. Sabrina ist in Paris verheiratet, Giancarlo als Hotelier ziemlich herum gekommen. Sogar ein Wenig Deutsch hat er dabei gelernt. Graziella war immer hier. Alle haben reichlich Kinder, die nun auch auf der Burg herumtoben.
Als Sabrina dann Besuch aus Frankreich bekam und Giancarlo noch ein Appartement frei hatte, trafen sie sich auf der Piazza. Giancarlos Freundin, eine Malteserin, die deshalb wohl überwiegend Englisch  und bei unkonzentrierter Unterhaltung mit den Kindern aus erster Ehe von Giancarlo  ein Gemisch spricht, kam auch hinzu. War das ein köstliches Durcheinander! Sabrina spricht ganz gut Italienisch, Giancarlo aber wollte ja auch sein Deutsch loswerden. Die Franzosen sprachen natürlich nur Französisch, aber dazwischen die zwei- oder dreisprachig aufgewachsenen Bambini als Stehgreif-Übersetzter: Das war ein Europa, das einem Hoffnung macht.

Übrigens. Eines meiner Lieblingsworte aus der Lingua Franca ist "Almanach". Es hat längst seine ursprüngliche Bedeutung in den diversen Sprachen verloren. Es ist eine Abschleifung des arabischen "el menachem" oder "al manechem". Das beschrieb den Platz, wo die Karawanen sich zur Ruhe trafen und ihre Treiber sich Geschichten erzählten. Das ist genau das, was der Obelix will: Geschichten erzählen von Leuten,die sich in einem ruhigen Augenblick treffen...

Donnerstag, 15. August 2013

Finalmente Ferragosto!

Wenn rund um die Burg auch die entferntesten Parkplätze so besetzt sind, dass auf der engen Straße kaum noch manövriert werden kann... Wenn jedes bewohnbare Haus hier oben zum Leben erweckt wird und auf den Gassen und den Plätzen bis in die Dunkelheit wieder mal Kinder toben... Dann ist endlich Ferragosto.

Wieso endlich? Weil danach das "dopo ferragosto!" keine Wirkung mehr hat, mit dem man von Handwerkern und bei der Beantwortung von Anfragen seit Ende Juli vertröstet wird.

Aber wir sind ja keinen Deut besser, weil wir uns auch schon mental auf diese Floskel eingelassen haben. Wir haben die Burg - wie wir das nennen - längst belagerungsfähig gemacht. Soll heißen, wir decken uns mit allem so ein, dass wir die Parkplätze nicht aufgeben müssen. Wir nutzen nämlich die schattigen Plätze unserer Autos und deren Kofferräume auch noch als zusätzlichen Stauraum für möglicherweise benötigten Nachschub an unverderblichen Waren. Klopapier, Spirituosen, tonnenweise Pasta in verschiedensten geometrischen Formen etc. etc ...

Egal ob Tag oder Nacht, gleichgültig zu welcher Uhrzeit, lauert nämlich anscheinend immer einer, der uns den letztmöglichen Parkplatz wegschnappen möchte. Sollten wir wirklich mal runter müssen, lassen wir bei der Rückfahrt bergauf garantiert keinen mehr überholen. Nicht mit uns! Seit dem frühen Mittelalter sind hier alle Bewohner erfolgreich auf Aussitzen spezialisiert. Diese Tradition führen wir fort.

Heute haben wir nur 25 Grad, und es weht ein angenehmer Grecale aus Nordnordost. Im vergangenen Jahr waren wir zu Mariä Himmelfahrt in München. Wir hatten die Stadt quasi bei einer ähnlichen Temperatur für uns alleine. Das erinnerte uns sehr an frühere Zeiten in den italienischen Zentren. Da sah es dann immer aus, als herrsche eine Wirtschaftskrise. Jeder zweite Laden war da verrammelt. Der wahre Grund stand aber auf irgend einem Zettel "chiuso per ferie". Jetzt in der Krise (die ja aktuellen Nachrichten zufolge überwunden sein soll) können sich die Ladenbesitzer das vermutlich nicht mehr leisten, weil viele heuer laut Statistik zuhause bleiben Deshalb machen viele Restaurants - wie auch unsere Freundin Carla - am Hafen mittags nicht mehr auf, weil das Vorhalten des Personals durch die paar Leutchen, die nicht am Strand Picknick machen, eben vom Umsatz her noch nicht mal ausgeglichen wird.

Für uns hat Ferragosto aber seit 2008 auch noch eine andere Bedeutung. Wir feiern den Wiedergeburtstag der Zweitbesten. Einen Herzinfarkt auf dem Höhepunkt der Ferien in Italien zu erleiden, das wäre uns vor diesem Ereignis als größtes Szenario des Schreckens erschienen. Aber die Dottori haben sie nicht nur zurückgeholt, sondern ihr in Sanremo ein paar Tage später mit ultramodernen Geräten Stents gesetzt.

Unvergesslich die Cardiologin, die im gleichen Alter wie meine Frau war: "Ihre Frau muss dringend mit dem Rauchen aufhören!" Das legte sie mir ans Herz, während sie sich auf der Freitreppe eine anzündete und tief inhalierte. Nochmals herzlichen Dank Rebecca!

Montag, 12. August 2013

Montagsgefühle

Welch spannend Ding ist doch unser Unterbewusstsein! Nur scheinbar von uns nicht zu beeinflussen, schickt es einen selbst im Alter noch in Träumen zu Schulprüfungen oder lässt uns  mitten in der Stadt wie ein Kleinkind ohne Kleider herumlaufen. Mal fallen einem alle Zähne aus, mal  muss einer im Schlaf dringend und findet kein "stilles Örtchen". Die Psychologie wollte darin therapierbare Muster erkennen, doch wer mal in die Fänge der Analyse geraten ist und sie unbeschadet überstand, weiß wie spekulativ das ganze ist; - nicht die Suggestion, sondern das, was über sie angerichtet wird. Jetzt ist es hundert Jahre her, dass sich Freud und sein Schüler Jung darüber in die Barthaare geraten sind, wie das denn alles zu deuten sei.

Die Psychologie dringt in immer weitere Felder vor, aber bringt uns das tatsächlich voran? Wir wissen, dass wir täglich ausgetrickst werden, Dinge zu tun, die wir nicht wollen: Mittels unterschwelligen Botschaften in Kaufhäusern, durch optische Impulse in suggestiven Farben oder den Zwang der Gruppe. Jetzt da die elektronischen Botschaften, das Internet und darin eingebettete Spähprogramme unser Leben in unbekanntem Ausmaß beherrschen, könnte unser Unterbewusstsein, wenn wir es denn selbst erforschen und bewusst machen wollen, zu unserem letzten Refugium im Dasein werden.

Als Burg-Analyst beobachte ich schon seit längerem die unterschiedlichen Verhaltensmuster zwischen denen, die hier für eine überschaubare Zeit Urlaub machen oder sich den Traum einer Residenz im Süden erfüllt und sich in dessen Abhängigkeit begeben haben. Das benachbarte Arztehepaar aus Wien, das ich hiermit als neue Leser begrüßen möchte, hat nach manchem Ärger beim Ausbau jetzt wohl so eine Art Zwischenstadium erreicht. Dieses Stadium hat mich 2005 nach dem kompletten Entkernen und teuren Renovierung unserer mittelalterlichen Bruchbude auch ereilt, aber ich wagte es nicht so deutlich auszusprechen wie der Herr Doktor das neulich bei unserem Cena in Piazza auf den Punkt gebracht hat: "Wissens eh. Da hat man ein Leben lang einen Traum, den man verwirklichen will. Dann ist er verwirklicht, und es folgt eine Art Ernüchterung...".

Wer "nur" hier Urlaub macht, findet seine Erwartungen stets mehr oder weniger erfüllt. Wer den Traum vom Leben hier hat, muss ihn leben können. Ich bin seit sechs Jahren jenem Stadium der Erkenntnis entwachsen, habe aufgehört zu arbeiten und bin hier her gezogen, um mich ganz auf einen neuen Alltag einzulassen. Als die auf Dauer "unerträgliche Leichtigkeit des Seins", diese unermessliche Schönheit hier verblassen ließ, waren wir glücklicher Weise in der Lage, wieder einen Gegenpol zum gelegentlichen Wohnen in der "Heimat" zu aktivieren. Man muss auch mal Urlaub vom Paradies machen können...

Das Leben in beiden Welten ermöglicht es zumindest mir, die Streiche, die mir das Unterbewusstsein spielt, besser zu ertragen:
Noch immer zeigt es mir in schlimmen Träumen an, dass es wohl besser gewesen wäre, weiter zu arbeiten. Es ereilt mich auch immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn die Urlauber von hier wieder heim müssen, weil die Arbeit ruft, während ich hier auf der faulen Haut liege.

Wirklich kurios ist jedoch das Montagsgefühl, das vielleicht auch mancher meiner werktätigen Leser spätestens am Sonntagabend hat. Obwohl uns ja in diesem Stadium unseres Lebens der Wochentag wurst sein kann, stellt sich die gespannt verkrampfte Erwartungshaltung zum Wochenanfang immer noch ein. Doppelt komisch, da ja durch großzügige Öffnungszeiten im katholischen Italien  eigentlich kein Sonntag mehr als Unterschied zum Alltag existiert.




Donnerstag, 8. August 2013

Kleine Kinder - große Kinder

Es ist wirklich herzerfrischend, was die kindliche Fantasie beim abendlichen Spielen auf der Piazza aus dessen Muster macht:
Der fünfzackige Stern in einem begrenzenden Kreis und einem etwas weiter gefasste Viereck wird zum Feld für allerhand spontan erfundene Spiele. Auf jedem Zacken steht ein Kind und muss irgendwelche Aufgaben erfüllen. Die Kinder sind im Alter von vier bis etwa zwölf. Die größeren sind  nachsichtig, wenn die kleineren  Kinder etwas nicht verstehen oder schon wieder vergessen haben. Das ganze findet in einer erstaunlichen Harmonie statt, weil die deutlich Älteste und Größte nicht dominiert, sondern moderiert. Dafür wird sie von den Kleinen so geliebt, dass sie eigentlich viel lieber mit ihr kuscheln wollen (ein Zeichen für die Unempfindlichkeit gegenüber der Hitze), als im Kreis herum zu rasen, wenn die falsche Antwort gefallen ist.
Ein Schuft, wer beim Anblick unseres Piazza-Sterns an das Hoheitszeichen der US-Airforce auf den Kampfdrohen denkt

Herzlichkeit, weil alle gleichermaßen von dem Recht an der Freude zum Spiel ausgehen können. Die Größte stellt - weil das vermutlich nicht ihrem Charakter entspricht - ihr Recht durch ein Mehr an Erfahrung dabei nicht über das der Kleinsten, die leicht zu beherrschen wären, weil sie ja noch nicht alles verstehen...

Schon ist der Blogger mal wieder in seiner aktuellen Tagesgrübelei und sinniert darüber, wann oder wodurch das beginnt - mit dem "sein Recht über das der anderen Stellen"? Er denkt da gerne an ein Vorkommnis mit seiner um sechs Jahre älteren Schwester, als beide noch im Teenie-Alter waren.:

Sie ging an den Kühlschrank und trank direkt aus einer Flasche Milch. Wenig später machte das auch ihr Bruder und wurde dafür von ihr äußerst rüde zusammen geputzt. Als er zu bedenken gab, dass ja die Schwester ein paar Minuten zuvor das Selbe gemacht habe, bekam er zur Antwort, dass das ja etwas ganz anderes gewesen sei...

Die Schwester hat übrigens die Überhöhung dessen, was sie für ihr Recht hielt, zeit ihres Lebens beibehalten, was sie selbstredend nicht besonders beliebt gemacht hat.

Also von den kleinen Kindern zu den Großen:

Barak Obama schmollt Vladimir Putin, weil er Edward Snowden Asyl gewährt hat. Seinem Untertan Bradley Manning drohen 90 Jahre Haft. Der mit Todesstrafe bedrohte Hochverrat wurde zumindest bislang für beide US-Bürger ausgeschlossen. Spioniert haben sie aber auch nicht - nur ihren Job gemacht, bis es das Gewissen nicht mehr zuließ.

Sie haben als Patrioten für ihren Staat gearbeitet, bis sie darauf gekommen sind, dass das "Land of The Free", das sie in ihrer Nationalhymne besungen haben, längst zu einer global Gesetze beugende Mogel-Packung geworden ist. Ein Verbrechen anzuzeigen, ist aber erste Bürgerpflicht. Da braucht es den schrecklichen Begriff "Whistleblower" gar nicht.

Jetzt reden also die beiden mächtigsten amtierenden Verletzer von Menschenrechten nicht miteinander, was durchaus eine Rückkehr zum "Kalten Krieg" bedeuten könnte (in dem ja auch niemand ausgeliefert wurde - oder?). Aber in Wahrheit ist es der Fakt, dass beide ihr  bereits von ihnen selbst gebeugtes Recht über das des anderen stellen:

Putin, der jeden Widersacher in vorbestimmten Gerichtsprozessen aburteilen und ins Straflager schicken lässt und Barak Obama, mit einem Vorschuss-Friedensnobelpreis geehrt, für den er alle Grundlagen schuldig bleibt. In Guantanamo wird weiter gefoltert und Freiheit ohne Prozess entzogen. US-Bürger werden als Kollateralschaden bei Drohnen-Angriffen ohne Gerichtsprozess hingerichtet. Über die gegen die meisten Verfassungen verstoßenden Abhörmethoden der NSA druckst der einstige Hoffnungsträger der freien Welt nur schwächlich grinsend in TV-Talkshows von Gesinnungsgenossen herum. Dabei hätte er doch in seiner zweiten Amtszeit wirklich etwas bewegen können. Jetzt ist er nicht besser als sein Vorgänger. Und das alles im Namen der Terror-Bekämpfung!

Wer aber für die Bekämpfung des Terrors seine Rechtsstaatlichkeit aufgibt, beschert diesem bereits den größten Sieg.

Geben Sie wenigstens Ihren Nobelpreis zurück, Mr. President! Yes, You can!

Montag, 5. August 2013

Ganz s c h ö n alt!

"Alter vor Schönheit!", haben wir als Jugendliche immer gesagt, wenn wir uns irgendwo vordrängen wollten. Gut, dass es ein Privileg junger Menschen ist, nichts vom Alter und dessen Herausforderungen zu ahnen.

Jetzt, da es auf der Burg von Kindern und Jugendlichen aller Altersklassen und Nationalitäten nur so wimmelt, wird bei dieser Hitze vor allem offenbar, dass Kinder durch sie nicht in ihrer Agilität gebremst, sondern besonders nach Sonnenuntergang eher noch beschleunigt werden. Die notti magique werden mit trappelnden Versteckspielen, kleinen Flirts und anderen Burg-Abenteuern ausgelebt. Das sind die schönsten Augenblicke des Jahres - wenn aus diesem überwiegend grabesstillen Borgo  die "italienischen Momente" erwachen. Auch eigene Erinnerungen steigen da aus dem Langzeit-Gedächtnis hoch:

Vor kurzem habe ich in unserem Supermarkt ein Zitronen-Sorbet entdeckt, das mich mit dem ersten Löffel in den damals noch kleinen Ort Domaso am Comer See zurück versetzte. Der Ort war mehrmals auf unseren Familien-Rundreisen in den 1950ern die Pufferzone zwischen dem Berg- und dem Besichtigungsteil. Meine älteren Schwestern fanden dort erste große Lieben, die erstaunlicher Weise in lebenslange Freundschaften mündeten, und ich war ein Teil der heimischen Rasselbande, die bis Mitternacht von den Müttern ungebremst ihr Unwesen trieb. Am schönsten war es, wenn wir hinter dem Freilicht-Kino ungesichert auf einer hohen Mauer sitzend berühmte italienische Schwarzweiß-Filme wie "Die Fahrrad-Diebe" seitenverkehrt sahen und dabei das wie eine Zitrone geformte Wasser-Eis lutschten...

Aber da war noch eine Begebenheit. an die ich mich gerade jetzt wieder erinnere. Einer der Spiel-Kameraden - Fulvio - hatte eine Großmutter, die ich damals für die schönste Frau der Welt hielt. Wenn sie ihr "Fuuuuuulivioooo!" durch den Ort rief, bin ich immer gleich mit gelaufen, um sie bei dieser Gelegenheit einfach nur anzuschauen. Das hat sie natürlich gemerkt und mich derart gedrückt und geherzt, wie es mir bei meiner Mutter unangenehm gewesen wäre.

Inzwischen ist mir klar, dass ich von klein auf einen ganz besonderen Blick für diese Schönheiten entwickelt hatte, denn bei der Mutter meines Vaters und bei der Kölner Tante Maria, die mich betreute, als mein geliebter Großvater - der Vater meiner Mutter - starb, erging es mir wie mit der Mutter von Fulvio.

Die perfekt üppig proportionierte Mömi - wie meine glutäugige Oma von allen genannt wurde - war, was ich zu ihren Lebzeiten noch nicht wusste, ein wilder Feger und Berliner Stadtgespräch, weil sie meist solo in ihrem Excalibur durch die Reichshauptstadt zu diversen Sportarten preschte, in denen sie dann auch noch absolute Spitze war. Tante Maria überlagert sich in der Erinnerung mit den gefilmten Bildern von Marlene Dietrich, und ich muss mich zusammen reißen, damit ich erkenne, dass sie viel schöner war als der "Blaue Engel". Ihr Antlitz war gütiger und weicher, und dass ihre Figur viel verlockender war, hätte ich in dem zarten Alter von zehn gar nicht erkennen dürfen...

Zurück zur Burg: Hier lebt - seit sie als Sekretärin einer technischen Oberschule in Imperia pensioniert ist - eine Frau, deren Name geradezu Programm erscheint: Donatella-Graziella. Sie trägt bei ihren Wanderungen um die Burg meist ein einfaches Hemdkleid und die weißen Haare ohne Schnickschnack nach hinten gebunden. Sie braucht sich nicht zu schminken, weil ihr edles Gesicht einen auch so in ihren Bann schlägt. Sie ist eine sehr gebildete Frau und hat deshalb längst gemerkt, dass sie mit uns einfaches Italienisch sprechen muss, damit wir Konversation machen können. Die allerdings fällt dann meist recht substanziell aus, so dass sich auch bei den legendären Piazza-Gelagen unsere Bekanntschaft immer weiter vertieft.

Wie meine Eltern sich immer gewünscht hatten, der Vater meiner Mutter wäre für einen gemeinsamen Lebensabend früher mit der Mutter meines Vaters zusammen gekommen, so stelle ich mir in meiner Kuppler-Fantasie vor, was Graziella und der Grandseigneuer  Silvio, der Ex-Rosenzüchter, für ein Prachtpaar ab gäben.

Von wegen Alter vor Schönheit - Alter und Schönheit ist angesagt!

Freitag, 2. August 2013

Quallen-Qual

Vor drei Tagen war es wieder so weit: Medusen-Alarm für die ligurische Küste. Ein Phänomen, dass seit 2010 unter Einbeziehung der Bevölkerung zu einer Feststellungsstudie seitens der hiesigen Meeres-Biologen geführt hat.

Nun hätten die es sich ja leicht machen und alles auf die griechische Mythologie schieben können. Denn da rankten sich ja bereits horröse Geschichten um die Ur-Medusa. Je nach geschlechtlichem Betrachtungswinkel soll die bildschöne Halbgöttin entweder von Poseidon vergewaltigt oder auf eigene Initiative im Tempel mit einem Mann herum gemacht haben. So oder so war "Pallas blauäugigte Göttin Athene" jedenfalls davon so angefressen, dass sie die aus dem Meer stammende Medusa in jenes schlangenhäuptige Ungeheuer verwandelte, dass fortan so lange durch ihr Antlitz Schrecken verbreitete, bis Perseus sie mittels einer List enthauptete. Dass aus ihrem Halsstumpf dann Pegasus entsprang, macht es aber endgültig unverständlich, wieso alle Quallen unter dem Oberbegriff Medusen "ab geordnet" sind. Seepferdchen wären da einleuchtender gewesen...

Dass die hirnlosen aber schwarmintelligenten Gallert-Geschöpfe zu einer Bedrohung für die Menschheit werden könnten, hat ja schon der deutsche Schriftsteller Frank Schätzing in seinem Roman "Der Schwarm" zu einem sehr lesenswerten Bestseller gemunkelt. Er hat nämlich recht, dass er in ihm die Umweltsünden als Hauptursache für die weltweite (nicht nur ligurische) Quallen-Qual anprangert.

Noch im Juni lag die Ufer-Temperatur  des Meeres hier deutlich unter 20 Grad, jetzt ist das Mare Mediterraneo innerhalb von nur fünf Wochen zu einem tropischen Gewässer mit idealen Lebensbedingungen für Quallen geworden. Ein auflandiger Sturm mit hohem Wellengang hatte zur Folge, dass am vergangenen Mittwoch Schwimmen - ja nur Füße zu baden - zu einem erheblichen Gesundheitsrisiko geworden war. Einen Tag später war das Wasser wieder klar und der Spuk erstmal  vorbei. Aber das wird nicht der letzte Alarm gewesen sein, weil unsere Leidenschaft für Thun in jeglicher Zubereitungsart derart für seine Dezimierung gesorgt hat, dass die verbliebenen Bestände als Haupt-Fressfeind der Quallen gar nicht mehr ihrer natürlichen Aufgabe nachkommen können.

Es geht schon längst nicht mehr nur um die traditionellen Feuerquallen. Wenn ich in den vergangenen Jahren mit meinem Kutter draußen war, konnte ich an manchen Tagen eine gewaltige Zunahme der "Portugiesischen Caravelle" (Physalia) beobachten. Das sind sogenannte Seeblasen, die sich mit einem Segel aus erhärteten Zellen dekorativ  an der Wasseroberfläche treiben lassen, aber unter sich bis zu 20 Meter lange  sehr giftige Tentakel mitschleppen...

Und dann ergab die Feststellungsstudie auch Quallen-Zuwanderungen aus dem Indischen Ozean via Suez Kanal. Werden wir dereinst an den hiesigen Stränden - wie in Australien - Sperrschilder wegen der "Seawasp" haben? Die tropische Würfel-Qualle (Cubozoa) schleppt in ihren Tentakeln eines der heftigsten Gifte mit, die das Tierreich an Toxinen zu bieten hat.

Das wäre dann wohl "die Rache der Medusa", und ich müsste meinem symphonischen Liederzyklus, an dem ich vermutlich noch über meinen Tod hinaus arbeiten werde, ein neues Ende verpassen müssen...
Libretto "Mann vom Meer" - Entwurf Deckblatt: Ölkreide auf Karton

Das Libretto samt Deckblatt wäre doch schon fertig gewesen.