Montag, 18. Juni 2012

La Rocca rockt nicht mehr

Aus aktuellem Anlass heute wieder ein regulärer Burgbrief zwischendurch:

Andy, der Mann vom umtriebigen Folletto Bueno, redet nicht viel, das wissen regelmäßige Burgbriefe-Leser. Wenn er aber etwas sagt, hat das meist Tiefgang und zeugt von profundem Wissen. Bislang hatte ich immer gedacht, er schaltet zwischendurch einfach ab und ist dann mal  weg  - wie mein mittlerweile 70jähriger Schwager, der auch gerne mal am Esstisch wegschläft. 

Der Andy ist jedoch von einem anderen Kaliber. Er ist ja auch noch viel zu jung. Wenn alle auf einmal reden, hört er einfach nicht gut genug, um detailliert Stellung zu beziehen. 

Bislang war er für mich ja schon eine hohe Instanz, wenn es um  Wein, Önologie im Allgemeinen und Verkosten im Besonderen geht. Seitdem wir uns über das Für und Wider von E-Books à la Kindle ausgetauscht haben, weiß ich, dass er  er nicht nur Motorräder wieder zum Laufen bringt, sondern auch einen ausgeprägten Literatur-Geschmack hat. 

Der liebe Lerser merkt schon, ich bin ein Fan vom Andy, der daheim in einem der perspektivstereichsten Weinbaunagebiete Deutschlands lebt und einen hochdekorierten Winzer zum Nachbarn hat. Andy würde zum Beispiel nie - wie wir das jetzt tun - um der vielzitierten Altersarmut zu entgehen - einen Wein nur des günstigen Preises wegen wegschlucken. Da hat er seinen Stolz. Und damit sein Stolz nicht entwöhnt wird, bringt er auch mal den ausgezeichneten Wein von daheim mit, wenn ihm die Preispolitik der hiesigen Winzer auf den Senkel geht. Das ist keinesfalls Eulen nach Athen tragen!

Aber jetzt zu Thema:
 Der Mensch hat ja so seine Träume. Wenn ich reich gewesen wäre, hätte ich Hobby-Winzer sein wollen...

Seit dem wir hier leben, fahren wir auf dem Weg zum Meer am Weingut Rocca San Natalino vorbei und waren immer stolz, dass der Vermentino und der Pigato aus dieser Lage bei der "Olympiade" in Diano Castello Goldmedaillen abgeräumt hat. Arglose Touristen, die in italienischen Weinführern von den Tropfen gelesen hatten, waren bisweilen bereit, bis zu 11 Euro direkt vom Erzeuger zu bezahlen. Wir waren da ein wenig besser dran, weil wir im Laufe der Jahre eine freundschaftliche Beziehung zum Verwalter der Azienda aufgebaut hatten. Wir bezogen ja auch die Grappa, die Konfitüre und das Olivenöl von Marcello, dem es obendrein auch nichts ausmachte, mit seinem Lieferwagen, seine Ware auf die Burg zu bringen und bis in unsere Cantina zu schleppen...

Eines Tage vor etwa zwei Jahren ging auf einmal niemand mehr ans Telefon in Rocca San Natalino, um unsere Bestellungen aufzunehmen.
Wenn wir vor dem herrlichen Anwesen mit Cantina, Verwaltungsgebäuden, Verkaufsstudios und der Residenz mit bester Aussicht in Mitten der Weinberge hielten und klingelten, blieben die Tore verschlossen. Die Vendemmia hing an den Stöcken
. Nach dem ersten Beschnitt kümmerte sich kein Mensch mehr um die längst überreifen Trauben...


Und so war es auch in diesem Jahr. Andy hatte wahrhaftig Tränen in den Augen, denn die Stöcke hatten noch im Juni  bis über die Straße wuchernde Triebe, die längst hätten beschnitten werden müssen.
"Wenn ich länger hier wäre, würde ich nachts hingehen, um sie zu beschneiden. Das ist eine Totsünde, derart mit einer so exzelenten Lage umzugehen!"


Wir wussten ein wenig mehr von der Tragödie, weil wir Marcello unten am Hafen zwischenzeitlich getroffen hatten. Er verkauft jetzt in seinem eigenen Laden ligurische Spezialitäten, und seine Lebensgefährtin führt das angesagteste Tagescafé der Stadt, in dem sein noch studierender Sohn, das Gastronomie-Handwerk von der Pieke auf erlernt.

Was war geschehen?
Ein in die Jahre gekommenes Ehepaar aus dem Raum um Mailand hatte sich vor Jahrzehnten mit dem Rocca seinen Traum erfüllt, den deren Sohn mit kriminellen Machenschaften im Handumdrehen zerstört hatte. Die Staatsanwaltschaft stellte alles unter Kuratell, was bedeutete, dass auch Marcello der sich angeboten hatte, die Verwaltung weiter zu führen, arbeitslos wurde. Alle Firmenschilder wurden enfernt. Jetzt sprießt bereits das Unkraut auf der prächtigen Auffahrt, denn nicht nur die Stöcke werden nicht mehr gepflegt. Was die Gläubiger letztlich davon haben sollen, bleibt rätselhaft...



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