Sonntag, 28. August 2011

Der Burgnarr

Der Hofnarr                  Oil on Canvas
Jetzt geht die Sonne schon wieder kurz vor acht hinter Cuneo di San Bernardo unter. Die Ferien sind schon fast vorbei, und die Hitzewelle klingt ebenfalls langsam ab. Nachts tasten wir schon wieder mal nach der Bettdecke, wenn der Libeccio weht. Es mehren sich  auch die Wanderer, die die Piazza überqueren, um auf dem Weg zum Passo del Ginostro das vielbeschriebene Dorf zu besichtigen.
Ich arbeite an einem Video, dass ich zu Beginn der nächsten Burgbriefe-Saison in diessen Blog stellen werde. Es geht um einen ganz normalen Tag hier im Borgo, und dabei stelle ich mir immer aufs neue die Fagen, was eigentlich normal ist...
Vermutlich kommt diese Frage auf, weil ich schon zu lange nicht mehr mit "Steinen aus dem Glashaus" geworfen habe. Treue Leser meiner beiden Blogs wissen ja, dass ich es immer noch nicht aufgegeben habe, die Welt zu retten. - Dass ich mich daher hier wie auch in meinem Münchner Stadtteil sehr  um Integration und das kommunale, multikulturelle Zusammenleben sorge. Nicht, dass ich glaubte, hier im Borgo jemals als Gemeinde-Mitglied anerkannt zu werden. Da kann ich noch so sehr den "Omburgsmann" geben oder zusammen mit meiner Frau versuchen, die Piazza sozial wieder zu beleben.
Ist es normal, dass ich hier rumhänge und nichts tue, außer ein paar Bilder zu malen und Texte zu verfassen, auf die die Welt weiß Gott nicht gewartet hat?
Der "böse Burggeist"  geht jedenfalls Tag für Tag trotz seiner 90 Jahre in die Campagna und holt aus seinem mageren Körper alles heraus, was der noch Erstaunliches zu leisten in der Lage ist? Ist es normal, dass der dreißig Jahre jüngere Gustavo jeden Morgen um fünf aufsteht, um nicht nur seinen Horto zu bearbeiten, sondern auch noch Nachbarn zu helfen? - Von den erotischen Höchstleistungen mit der Sammlerin buntester Jogging-Anzüge jede Nacht ganz zu schweigen... Ist es normal, dass meine Freundin Paola ihr Familien-Leben aufs Spiel setzt, nur um hier bei diesem so lausigen Lohn-Niveau  in der ligurischen Gastronomie ihren Selbstwert aufzupolieren?
Das alles ist genau so normal oder anomal wie unser am Tourette-Syndrom leidender und unter einer Horrorkindheit gelitten habender Corrado.
"Jede Burg braucht ihren Narren", hätte ich in meiner formulierenden Leichtsinnigkeit noch vor ein paar Wochen getextet.
Aber dann haben wir uns angewöhnt, Corrado bei jeder Aktivität auf der Piazza mit einzubeziehen. Dabei stellte sich heraus, Corrado trinkt zu Zeit nicht mehr. Er schluckt nur Unmengen von Kaffee, den er in voluminösen Plastikflaschen stets bei sich trägt, und er dreht sich - um von seinem hohen Zigaretten-Konsum herunterzukommen - die Zigaretten jetzt selbst. Nicht, dass er über Nacht zu einem angenehmen Gesprächspartner geworden wäre, und wer so schlecht Italienisch spricht wie ich, muss sich auch daran gewöhnen, dass er seine mitunter überraschenden Ausführungen mit Ersatzbegriffen verklausuliert. Napolitano steht gleichermaßen für Berlusconi und alle mafiösen Zustände in seiner Heimat. "Kaputt" für den Tod, der seiner Ansicht überall auf jeden lauert, aber den er - im Gegensatz zu mir - eben nicht fürchtet. Er ist 45, und muss - wie wir in Bayern sagen - erst einmal so alt werden, wie er bereits jetzt ausschaut. Beim nächsten Vollmond rastet er vielleicht wieder aus - wie neulich tagsüber.
Meine Frau versuchte ihn von der sicheren Höhe unserer Terrasse mit einem wiederholten  "basta Corrado!" auch wegen der vielen ahnungslose Feriengäste zu beruhigen. Da sagte aber der "Vicino Vittorio", der fünf Meter weiter sein Fenster aufgemacht hatte zur zweitbesten aller Ehefrauen:
"Er hat doch recht. Gaddafi ist doch wirklich ein Arschloch, und ein noch größeres Arschloch ist unser Cavaliere, der ihm jahrelang die colleoni eben nicht ..." ("rompere i colleoni" ist eine Art, den männlichen Familienschmuck zu behandeln, die ich hier lieber nicht übersetzen möchte)"
Nun habe ich mir angewöhnt - so nervig es auch sein mag - mich mit Corrado beinahe täglich auf eine Diskussion einzulassen. Der Mann hat Witz - auch die Italiener, die mitunter dabei sind, müssen des öfteren herzlich lachen. Wohl gemerkt, sie lachen durch ihn - nicht über ihn. Schade, dass mein Italienisch für seinen "irren" Humor oft nicht ausreicht.  Aber je mehr ich ihn verstehe, desto mehr kommt mir ein fürchterlicher Verdacht:
Der Burgnarr bin wohl eigentlich ich...

Donnerstag, 25. August 2011

Der alte Kauz und die Käuzchen

Wenn die Temperatur auch nachts die 30 Grad nicht unterschreitet, kommt es manchmal zu komischen Dialogen, die dem Burgbriefe-Schreiber dann das nächste Thema vorgeben:
So stellte meine geliebte Muse gestern im Sternen-Dunkel der immer noch aufgeheizten Terrasse fest:
"In dem Licht siehts du echt aus wie ein alter Uhu."
"Na", antwortete ich, "so lange du nicht alter Kauz zu mir sagst..."
Aber nach einer kurzen Pause stellte ich die für diesen Burgbrief entscheidende Frage:
"Ja, übrigens, wo sind die denn alle hin?"

Da dachte ich nämlich an eine Nacht wie diese vor etwa fünf Jahren. Ich hatte mich im Dunkeln auf die Terrasse geschlichen, weil ich wegen der Hitze einfach nicht schlafen konnte.  Eine ganze Weile lag ich still  im Liegestuhl, als im Haus plötzlich das Licht anging und mir im selben Moment das Herz stehen blieb:
Ein Uhu hatte wohl die ganze Zeit im Portico auf dem Gitter direkt hinter mir über meinem Kopf gesessen und die Aussicht genossen. - Vielleicht in der Hoffnung, ein über die Dächer streifendes Kätzchen oder eine hier fälschlicher Weise so genannte  Baumratte zu erbeuten. Aufgeschreckt vom Licht hatte er nur schlampige Startvorbereitungen getroffen und rasierte mir derart scharf über den Kopf, dass ich den Luftschwall seines panischen Flügelschlages zu spüren bekam und ansehen musste, wie er beinahe in die Blumen gekracht wäre. Ein letztes Steuermanöver brachte ihn gerade noch über die Mauer. Dann trugen ihn seine mächtigen Schwingen ins Tal hinunter. Leider habe ich ihn oder einen seiner Artgenossen seither weder zu Gesicht noch zu Gehör bekommen...
Auch die Steinkäuzchen, die wie Porzellan-Miniaturen ohne Scheu bei der Nachbarin auf der Wäscheleine saßen, sind offenbar umgezogen. Manchmal wurden sie nächtens von den Scheinwerfern der "Spätheimkehrer"  beim Steinchenschlucken für die Verdauung in ihren Retortenmägen auf der Straße paralysiert. Aber daran kann es auch nicht gelegen haben, dass man sie nicht mehr sieht oder hört.
-Wie ihre etwas größeren Verwandten die mediterranen Schleiereulen vermisse ich sie sehr. Meine Familie ist darüber vermutlich nicht ganz unfroh. Denn einer meiner Späße war es, wenn alle schlafen wollten, vom Bett aus den charakteristischen rhythmischen Pfeiflaut während der Balz nachzuahmen. Nicht etwa, um sie anzulocken, sondern um sie aus den Takt zu bringen. Einmal ist mir das offenbar so gut gelungen, dass ein Tier mit dem Licht der Piazza im Rücken vor mir auf dem Fenstersims landete. Der Riesen-Schatten hatte mir dann so einen Schrecken eingejagt, dass mir die Pfiffe lange Zeit gewissermaßen im Hals stecken geblieben sind...

Ja, wo sind sie nur alle geblieben, all die Nachtaktiven, die Jahrzehnte lang im Niedergang des Borgos ein unbeschwertes Leben auf der Burg hatten? Noch heute  herrscht doch 90 Prozent des Jahres hier oben die absolute Grabesruhe:

Immer mehr lehrstehende Häuser und historische Gemäuer sind in den vergangenen Jahren restauriert oder ausgebaut worden. Vor allem die Dächer, die hergerichtet worden sind, waren ja ideale Nistplätze. Gleichzeitig wird die Campagna deutlich weniger bewirtschaftet, die Oliven-Haine seltender beschnitten.
Vor allem die Schleier-Eulen, die durch ihr herzförmiges Sensor-Gefieder im Gesicht jeden noch so kleinen Nager orten und erbeuten konnten, beginnen zu fehlen. Unsere Weintrauben auf der Terrasse hatten heuer gegen die rankenkletternden Ratten keine Chance - zumal diese mittlerweile so groß werden, dass auch ausgemachte Dach-Kater wir der "Lazaro" sich kaum noch Chancen gegen sie ausrechnen...

Die einen gehen, die anderen kommen:
Seit einigen Jahren dürfen wir uns über die Zunahme des "Aquila Marina", des mediterranen Seeadlers, freuen. Eine Kolonie hat sich in einer Felswand unweit vom Passo del Ginostro eingenistet. Seither sind die Horste in keinem Jahr leer geblieben, und es ist, als wollten uns diese Angeber mit ihrem schrillen Pfeifen aus der Blauthermik heraus im mühelosen Gleitflug an unsere Erdhaftung erinnern.

Samstag, 20. August 2011

Grenzenloses Wachstum

Wenn die Wirtschaftsexperten die Welt in ihrem Wachstumswahn weiterhin wahrnehmungsgestört und wandelsresistent regieren, ergeht es wohl unserem Planeten global  bald so wie dem Kletterjasmin auf der anderen Seite unserer Gasse: Er gerät außer Kontrolle!

Auch über seine Zukunft haben diverse Experten, damals  2005 als unser Haus zum Außenanstrich eigerüstet war, heftig gestritten. Die einen Nachbarn, in deren Cantine das haardünne Wurzelwerk zerstörerisch durch die Trockenmauern vorgedrungen war, wollten ihn rausreißen und chemisch bekämpfen, andere schlugen dirigistische Maßnahmen wie regelmäßiges Beschneiden vor, und die Gemäßigten wollten bloß der Natur ihren freien Lauf lassen. So nach dem Motto: Die Natur fände ja immer von selbst eine verträgliche Lösung.

Alle lagen schief: die, die  heimlich hergegangen waren, um ihn knapp über dem Pflaster abzusäbeln, aber auch die, die dem Stumpf nach der Amputation Regenerationsmaßnahmen angedeihen ließen...
Es ist eine Tatsache - und damit lagen dann  auch die liberalen Bewohner des Borgos schief - dass die Natur nicht nur den menschlichen Größenwahn überlebt, sondern ihn regelrecht platt macht, wenn man ihr nur die Gelegenheit dazu gibt.

Neulich habe ich hier  via Satellit einen Naturfilm aus der kontaminierten und entsiedelten Sperrzone rund um Tschernobil gesehen. Ein Vierteljahrhundert nach der Nuklearkatastrophe hat sich die Natur dort quasi alles zurückerobert oder besser unter den Nagel gerissen. Die Botaniker und Zoologen sprechen von einer der artenreichsten, "naturbelasssenen" Zonen im eurasischen Raum. Die Halbwertzeiten  der  radioaktiven Strahlungen schaden nämlich nachhaltig nur dem in langen Zyklen lebenden Menschen. Die Wildtiere leben alle nicht lange genug, um den schädlichen Einfluss der Strahlung auf  die Nahrungskette und ihr Erbgut  sowie den wuchernden Lebensraum einschränkend zu erleben... Warten wir auf die Mutanten.

Obwohl also dieser imnmerzu  weißblau blühende Jasmin unter Kontrolle stehen sollte, hat er sich in diesem oft nur teilzeitbelebten  Dorf  mittlerweile ein beängstigendes Herrschaftspotenzial erklettert: Aus den Ritzen der  Stufen eines uralten Weges zwischen zwei Häusern auf der anderen Seite der Gasse hat er sich nicht nur wie eine Liane an einer glatten Wand emporgeschwungen, sondern hat dann an einem Kabel hangelnd die Seiten  - zu unserem Haus hinüber - gewechselt. Drei unserer Fenster hat er schon okkupiert, während er sich bereits auf den Weg macht,  auch die Burg selbst jenseits der Piazza eines nicht allzu fernen Tages in ein "Dornjasminchen-Schloss" zu verwandeln.

Die italienische Post, aber auch die Stromversorger ignorieren die Gefahr noch. Ich aber weiß genau, was auf uns zukommt...
Diesen Herbst werde ich ihm die Schlagläden noch aus den gierig wuchernden Schlingen reißen. Aber was wird sein, wenn ich im nächsten Frühjahr zurück komme und wieder Burgbriefe schreiben möchte? Muss ich dann eine Machete neben der Tastatur liegen haben und die Webcam vom Wuchern befreien? Die Datenleitung hat der Jasmin ja bereits eingewickelt. Wird er dann abends bestimmen, was wir im Fernsehen gucken, wenn er auch noch die Satellitenschüssel umkränzt? Vorboten haben ihre Ranken ja bereits in Richtung oberste Etage ausgestreckt. Das sind jetzt schon rund 13 Höhenmeter, die er überklettert hat.

Ironie des Schicksals: Wir hatten uns für den Portico unserer Terrasse ein Pflänzchen der gleichen Gattung gekauft, damit es ihn - angespornt vom  beeindruckenden Beispiel weiter unten (noch) - baldigst überwuchern möge. Das Jasminchen aber verweigert schlicht jeglichesWachstum .

Da sind jetzt eindeutig echte Wachstumsexperten gefragt...

Rösler hilf!

Sonntag, 14. August 2011

Der Omburgsmann

Schweden:Italien: unentschieden      Ölkreide
Soederquist, der gar nicht so alte Schwede vom oberen Ortseingang, ist jedenfalls nicht so ein Do-it-yourself-Trottel wie ich (der ja bekanntlich über zwei linke Hände verfügt,die nur mit Daumen versehen sind...).
Soederquist hat im Alleingang, und nur im Urlaub, aus dem damals schon  hübschen Torhäuschen, dass er einer Deutschen Lehrerin vor ein paar Jahren abgekauft hat, ein echtes Schmuckkästchen gemacht. Er spricht außer Schwedisch nur vereinzelt Englisch, was seine Bauarbeiten ohne Hinzuziehung von Einheimischen in Titanen-Dimensionen erhebt.
Seit er nicht nur eine herrliche Terrasse hinzugefügt, sondern auch eine Trennmauer zum ominösen Parkplatz am Ende der berüchtigten Konsortiumsstraße wieder aufgeschichtet hat, ist sein Haus ein beliebtes Ferien-Domizil seiner Landsleute, die außer Schwedisch auch nur vereinzelt Englisch sprechen.
Wer die Dichte im Vorkommen böser Burggeister da oben aus meinen vergangen Posts kennt, kann vielleicht erahnen, dass es die kühlen Klaren aus dem hohen Norden nicht immer ganz einfach haben. Obwohl ja jeder Schwede quasi automatisch reichlich Gene von Rallye-Weltmeistern und Orientierungslauf-Champions in seinen Adern pulsieren lässt, tun sie sich hier oft schon schwer damit, das Mietobjekt überhaupt zu finden. Nach der beschwerlich langen Anreise mit GPS liegen dann im Erfolgsfall oft die Nerven endgültig blank, wenn sie die Kosortiumsstraße als letztes Hindernis vor dem entspannten Urlaubsspaß vorfinden...

Das dramatische Ende einer solchen Anreise hatte ich vor ein paar Wochen zu schiedsrichtern. Es war schon längst dunkel. Da klingelte Signora Electra und hatte Majestix dabei. Das klingt verworren - ich weiß - aber gemach. Signora Electra, die Seelensammlerin, sieht mich schon des längeren und zunehmend als Problemlöser für die eher weltlichen Dinge im Borgo: Ein Postbote, der unter dem Wirrwarr der neu angebrachten Hausnummern zu scheitern droht, wird genauso zu mir geleitet, wie Lieferanten, die etwas für ausländische Empfänger abzugeben haben. Da kann es auch schon mal passieren, dass  "DER SPIEGEL", der für einen Dauer-Residenten am oberen Dorfrand bestimmt ist, mir aus Bequemlichkeit zur Weitergaben in die Hand gedrückt wird.
Aber der Fall Majestix, das sah man schon an den angespannten Mienen, lag diesmal weitaus dramatischer. Wobei ich nachtragen muss, dass Majestix eigentlich Torto heißt und nur deshalb von mir so genannt wird, weil seine Frau Milena exakt aussieht wie Gutemiene, die Comic-Ehefrau des gallischen Stammesfürsten aus "Asterix und Obelix". Majestix also spricht außer ligurischem Dialekt vereinzelt Italienisch.

Es überrascht mich selber immer wieder, wie ich in dieser babylonischen Sprachverwirrung meist alles verstehe, Sachverhalte erklären und gelegentlich sogar eine Lösung herbeiführen kann.

Was war geschehen:
Der Gast-Schwede war mit seinem Riesen-Schlitten schon an der ersten Harnadel-Kurve der Konsortiumsstraße gescheitert und hatte offenbar Angst Kupplung und Bremse seines Lieblings zu schädigen. Torto kam gerade in seinem italienischen Kleinwagen hinterher gefahren, und da er ja sowieso nicht vorbeikam, erbot er sich das Auto des Schweden samt Gemahlin zum Parkplatz hochzufahren. Was ihm - natürlich nicht ohne Stolz - mühelos gelang. Ob das den Schweden wurmte oder es nur seinem schwedischen Sinn für Fairdeal geschuldet war: Er setzte sich in Tortos Auto, um ihm hinterher zu fahren. Dabei gelang ihm das einmalige Kuststück auf etwa fünfhundert Metern dem Torto nicht nur die neue Kupplung, sondern auch die vor kurzem ausgetauschten Bremsbeläge so zu ruinieren, dass dem Hilfreichen ein Schaden von 750 Euro entstand.
Nun wollte er Schadensersatz von dem Schweden.

Das war genau so eine rechtliche Situation, mit der uns unser Juristen-Vater als wir klein waren, am sonntäglichen Frühstückstisch gerne genervt hatte. Aber jetzt half es, dem armen Torto auf dem Weg nach oben in meinem Speisekarten-Italienisch klar zu machen, dass eine Gefälligkeit vor Gericht kaum als Rechtsgeschäft angesehen würde, und er kaum eine Chance hätte, wenn es nicht zu einem Gentleman-Agreement käme.
"Ja, mach Du nur!", meinte Majestix lapidar.

Mir war klar, dass der Schwede als solcher ja im Alltag mit Ombudsmännern (außergerichtlichen Mittelsmännern) aufwächst. Sich so einem Verfahren also sicher stellen würde. Deshalb versuchte ich bei nächtlichen 30 Grad das Eis mit einem Späßchen zu brechen: Ich sei kein Ombuds- sondern eher ein Omburgsmann. Was entweder auf Humorlosigkeit oder Unverständnis stieß.
Kein verheißungsvoller Auftakt. Die Fronten verhärteten sich noch, indem der Schwede immer wieder verdeutlichte, dass er alles andere als reich sei. Da konnte Majestix nur mit seiner schrecklichen Armut kontern, die sich über geschätzte zwei Bergrücken Agrargrundbesitz zieht.
So kamen wir also nicht weiter, und deshalb wurde ich sehr theatralisch. Es sei eine "question of honour" sagte ich dem Schweden und "una cosa d`onore" dem Italiener. Und dass ich dann vor lauter Scham  wohl gehen müsse.
Immer mehr Dorfbewohner wurden Zeugen dieser  nordsüdlichen "Commedia dell'Arte". Am Ende fragten mich dann beide, was ich denn riete.
"Macht Halbehalbe!"
Finalmente war der Schwede bereit, 300 Euro aus seiner strapazierten Reisekasse zu nehmen. Torto war nach anfänglichem Zögern dann auch einverstanden. Und so lagen sie sich am Ende - ohne mich weiter wahrzunehmen -  in den Armen, während ich allein, unbeachtet und völlig erschöpft wieder nach unten schlich.

Nachspiel: Vorgestern Nacht klingelt es an der Haustür. Weil wir nicht jedesmal die drei Stockwerke runterrennen, öffnete meine Frau das Fenster zur Piazza und fragte nach dem Begehr, den sie natütrlich wieder mal nicht verstand: Da wolle mir einer mitten in der Nacht Wein verkaufen, meinte sie. Im Dunkel der Piazza war der Mann nicht zu erkennen, aber dann begriff ich endlich doch, dass es Torto war, der sich mit zwei Flaschen Wein für meine Vermittlung bedanken wollte.
Die eine Flasche war sein selbst gekelterter Bio-Pigato, ein wahrer Ko-Tropfen, der ich meine Nacht mit Ginger verdankte (siehe letztes Post)...

Mittwoch, 10. August 2011

Ginger und ich

Ja, ich geben zu, ich habe die halbe Nacht mit Ginger verbracht. Ich habe sogar mit ihr geschlafen, aber das hatte ich nicht vorgehabt. Das kam dann doch sehr überraschend. Denn obwohl ich ihr seit bald einem Jahr Avancen gemacht hatte, wurde ich von ihr meist ignoriert.

Erst seit Gustavo, der Gemüse-Mann, mit Carina, der Sammlerin allzu farbenprächtiger Jogginganzüge, zusammen ist, hat mich Ginger überhaupt mal wahrgenommen. Vielleicht um Eifersucht zu erzeugen, und die zwei wieder auseinander zu bringen?  Aber solche Spielchen mache ich natürlich nicht mit.  Und es hat auch bei Gustavo nichts geholfen.
Da kann sie noch so geschmeidig mit hoch gestelltem Hintern über die Piazza schreiten und Geschick mit ihrer Zunge demonstrieren. Ich mach mich doch nicht zum Hampelmann ihrer Launen...!

Aber wer kann schon auf Dauer einer Rotblonden widerstehen? Plötzlich hatte sie mir nicht mehr bloß den Rücken zugedreht, sondern schritt immer häufiger mit unschüchternem Blickkontakt direkt auf mich zu. Und dann ist es gestern Nacht - als wir  allein auf der Piazza waren - endlich passiert. Lässig und bestimmt kauerte sie sich zu mir aufs Kissen, und als ich über ihren samtweichen Hals strich, schmiss sie sich regelrecht an mich ran, biß voll Verlangen in die sie kosenden Finger.

Ehrlich, ganz Gentleman, wollte ich eigentlich nur in der dunklen Hitze der notte magica über ihren Schlaf wachen, aber dann schwanden mir eben die Sinne, weil ich wohl zuviel von Majestix' Biowein probiert hatte...

(Majestix heißt übrigens so, weil seine Frau genauso aussieht wie die Gutemine aus den Asterrix-Büchern. Passt ja irgenwie zu Obelix oder? Aber davon Details in meinem nächsten Brief über den Om"burgs"mann...) 

Irgendwann nach Mitternacht riß uns die "zweitbeste Ehefrau von allen" aus dem gemeinsamen Schlaf. Ich habe gar nicht erst versucht, irgendwelche Ausreden zu suchen, sondern ihr gleich klar gemacht, dass sie sich nicht ums Ungeschehen Gedanken machen muss. Sie sehe ja, dass der Platz an meiner Seite nun von Ginger beansprucht würde.

Aber mal alles romantische Getue beiseite: Als Hunde-Herrchen mit anderthalb Jahrzehnten Erfahrung war ich ja einiges gewöhnt, aber dass so ein winziges Kätzchen wie Ginger derart furzen kann, dass man die Piazza hätte eigentlich evakuieren müssen, hätte ich niemals für möglich gehalten.

Sonntag, 7. August 2011

Gustavos Gemüse

Vor dem Kochen              Oil on Canvas
Maremonti 3
Gustavo liefert mir zwar frisches Gartengemüse bis zum Abwinken, aber von meinen daraus zubereiteten Gerichten möchte er nicht kosten. Ihm käme das Zeug schon zu den Ohren raus, gab er gestern vor, als ich ihn und die Jogginganzug-Sammlerin einlud, einmal das zu probieren, was ich aus seinen Ernteerträgen kreiere.

Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Richtig ist vielmehr, dass Ligurerinnen und Ligurer als solche, Leuten von anderswo einfach kulinarisch nichts zutrauen. Das bekommt der Arglose schon im Angebot der hiesigen Supermärkte zu spüren. Obwohl Frankreich gerade mal eine halbe Autostunde entfernt ist, sucht man in den Regalen der italienischen Handelsketten französische Käse und Pasteten sowie Weine meist vergeblich. Das kulinarische Zusammenwachsen Europas findet in den Köpfen der ligurischen Mehrheit nicht statt, obwohl ja mittlerweile hier  auch Fillialen französicher und deutscher Großanbieter ihre Pforten geöffnet und reichlich Kundschaft gefunden haben...
Uns macht das nichts, denn wir nehmen den gelegentlichen Mangel als willkommenen Anlass, in die Markthalle nach Menton zu fahren, die noch jene Atmosphäre von "Les Halles" hat, die den Parisern längst verloren gegangen ist. Was ist das nur für ein himmelweiter Unterschied, wie liebevoll und dekorativ dort das Angebot  dem Auge dargereicht wird...!
Und wenn mir nordafrikanische und asiatische Gewürze ausgehen, nehme ich auch noch die halbe Stunde weitere Fahrt nach Nizza in Kauf, um in den Gewürzläden von Vieux Nice nach immer neuen Geschmackskombinationen zu stöbern. Aus dieser Vielfältigkeit entstehen - wie ich sie nenne - Crossover-Gerichte, die aber durchaus unter das Siegel Maremonti passen. Ob Gustavo und seine Geliebte wirklich ein Highlight verpasst haben, überlasse ich hiermit den Lesern der Burgbriefe:

Kompott aus Hörner-Zucchini mit Garnelen und Räucherlachs

Trombette stufate con gamberi (mazzancolle) e salmone affumicato

Zutaten für vier Personen:
1 Pfund Hörner-Zucchini (das sind nicht (!)die standartisierten geraden Treibhaus-Zucchini, obwohl die auch gingen - aber bei halber Garzeit). Sie sind hellgrün oder gelb und gebogen wie Jagdhörner mit einer kürbisartigen Verdickung am Ende...
4 mittelgroße Kartoffeln
1 große, weiße Salatzwiebel
4 mittelgroße Zehen  gemörserter, roter Knoblauch
4 geputze  und feinst geschnittene junge Lauchzwiebeln
10g geriebener frischer Ingwer
5g frischer grüner Korriander oder tunesische Korriander-Paste (vorsicht scharf!)
1 EL Coucouma zum Einfärben
4 Schoten Peperoncino
1/8 Liter süße Sahne
8 EL Olio Extra Vergine
400g vorgekochte aber ungeschälte Mazzancolle
100g Räucherlachs
Saft von je einer halben Limette und Zitrone


Zubereitung:
Kartoffeln in kleine Würfel schneiden und mit der gehackten Zwiebel, dem Knoblauch und den zerstoßenen Peperoncini im Olivenöl sowie grobem Meersalz bei kleiner Flamme sehr glasig anschwitzen.
Die Schalen der Mezzancolle mit einem großzügigen Glas Weißwein in Fischfond gründlich aufkochen und durch ein Sieb abgießen.
Die leicht geschälten Trombette gleichstark gewürfelt wie die Kartoffeln zu denselben geben und unter ständigem Rühren den Krabbenschalensud hinzugeben, bis eine kompottartige Masse entsteht.
So lange köcheln lassen, bis die Kartoffelwürfel fast nicht mehr zu erkennen sind (Sämigkeit!)
Ingwer in das Kompott reiben und mit Coucouma färben
Korriander kleingehackt hinzugeben (nach Gusto auch Thai-Basilikum und jungen Oregano)
Mit der Sahne ablöschen.
Die geschälten Krabben hinzugeben, unterrühren und sofort die Flamme ausstellen.
Etwas 10 Minuten ziehen Lassen und mit dem Saft  und weiterem Meersalz abschmecken.
In tiefem Teller laufwarm servieren und den in feine Streifen geschnittenen Räucherlachs mit den hauchdünnen Scheiben der jungen Zwiebeln darüber dekorieren.

Buon appetito!

Donnerstag, 4. August 2011

Die großen Nasenlöcher

Große Nasenlöcher             Ölkreide- Mischtechnik auf Karton


Zu den kreativen Hinterlassenschaften im Sprachgebrauch unserer Familie gehören immer wieder nachhaltige Beiträge meiner Tochter. Einer entzückt meist auch Nichtmitglieder, wenn wir ihn nach arglosem Insider-Gebrauch erklären müssen. Der entstand so in etwa als Töchterchen im Teeniealter war und beim Sonntagsfrühstück plötzlich meinte:
"Mei, Pappi, hast du jetzt wieder große Nasenlöcher!"
"Wie?"
"Immer wenn du richtig angibst, dann bekommst du solche Nasenlöcher!" - Sie nahm zur Beschreibung ihre Arme in vollen Kreisen zur Hilfe...
Seither weiß jeder in der Familie, dass er entweder selber gerade aufträgt wie eine Tüte Mücken - oder was von Leuten zu halten ist, die wir zu treffen im Begriff sind. Eine schöne Metapher. Und vor allem so treffend!
Ich gebe gerne an und finde es geradezu feuilletonistisch, wenn der zu Beeindruckende das mitgelieferte Augenzwinkern mühelos wahrnehmen kann.
Zwei Beispiele: 
Ein Jugendfreund, Segelkamerad und Sohn, dem nicht allzu viel zugetraut wurde, hatte das ihm anvertraute Familien-Unternehmen spektakulär erfolgreich an die Börse gebracht. Während des Crashs in der Finanzkrise verlor die Aktie des Börsen-Shootingstars erheblich. Was den Betroffenen - inzwischen wieder im Besitz der Aktienmajorität - angeblich zu dem dramatischen Ausbruch veranlasste: "Jetzt werde ich wohl den Stewards auf meiner Yacht die Weihnachstsgratifikation streichen müssen..."
Oder mein Golf-Kamerad, der einmal von seinen bescheidenen Ansprüchen ans Leben schwadronierte, bevor er anschließend seinen Double-Bogey-Putt verschob; "Weißt du, ich erwarte ja nicht viel vom Leben. Ein einstelliges Handicap vielleicht. Eine rothaarige Freundin Ende 20, die sich selbst aushält und mir bei finanziellen Engpässen auch mal aushelfen kann. Und letztlich, dass meine Kinder ihr Harvard-Studium anständig zuende bringen...Und meine Frau vielleicht Bridge-Weltmeisterin wird." 

Dennoch hatte ich irgendwie gehofft, dass ich durch Tauschen des Schlossberges bei München mit dem Burgberg hier in Ligurien diesem ewigen Nüsternblähen aktiv und passiv entgehe. Aber das Klappern gehört wohl international zum Handwerk . Aber wenn man davon profitieren kann...

Gustavo, der derzeitige Lover unserer erotisch nimmermüden Jogginganzug-Sammlerin (siehe Blog "Liebe" vom 22.6.) erzählt eines schattigen und heißen Nachmittags bei einem Bier auf der Piazza, er sei nicht deshalb so erschöpft, sondern weil er einen Gemüsegarten oberhalb von Imperia ganz allein zu versorgen hätte. Tausende Tomaten, Auberginen und Zucchini, Zwiebeln, Melonen, Peperoni. Beim Aufzählen wurden seine Nasenlöcher immer größer und mein Argwohn in Form von ansonsten nicht vorhandenen Stirnfalten ständig deutlicher. Als ich ihn dann fragte, ob sich das am Ende nicht doch negativ auf seine Liebeskraft auswirken würde, erhob er nur wortlos eine der längsten und dicksten, strickt gerade gewachsenen Auberginen. Ich lachte schallend und bekomme seitdem jeden Samstag gratis eine Steige mit den wohlschmeckendsten Gartenfrüchten meines Lebens.

Oder Giancarlo, den man, wenn man ihm nur eine Weile zuhört, für den Donald Trump der "Riviera dei Fiori" halten könnte. So sehr schwärmt er von den Palazzi, die ihm am Meer oder hier oben im Borgo gehören, und die er alle eigenhändig mit viel Geschmack und Handwerksgeschick herrichtet. Wieso er dann überhaupt noch drei Nächte in der Woche Nachtschicht bei der Post schöbe? Wegen der Steuer natürlich und der Krankenkasse! Tatsache ist, dass seiner süßen kleinen Frau die meisten der wahrhaft kaum zählbaren Liegenschaften gehören, aber der Macho nimmt das eben nicht so genau.

Ja und dann war vor zwei Tagen wieder mal so ein spontanes Piazza-Fest mit grandiosem Buffett und Mordsstimmung bis um zwei Uhr nachts: Mit jedem weiteren Glas Wein wurde die romantische Kerzen- und Lampen-Illumination überschattet. Man sprach von Reisen, Restaurants, Autos, Weinen. Auf einmal sah ich nichts mehr, weil sich meine Nasenlöcher derart geweitet hatten, dass ich meine Tischgenossen nur noch wahrnehmen konnte, wenn ich den Kopf extrem um 180 Grad nach hinten drehte. Aber den anderen schien es genauso zu ergehen. Wie in in den berüchtigten schwazen Löchern im All verschwanden Luxusautos, Traumvillen und andere Statussymbole in den geblähten Nüstern meiner Tischgenossinnen und - genossen.
Denn wir, die wir zehn Jahre oder weniger aus dem Job und der Wichtigkeit heraus waren, begannen auf einmal darüber nachzudenken, wieso eigentlich unsere Kinder und Enkel, sich aktuell so schwer tun, das von uns all die fetten Jahre Vorgelebte nur ansatzweise durch eigenene Leistung nachvollziehen zu können.

Das war dann doch sehr ernüchternd.