Sonntag, 31. Juli 2011

Hinter dem Goldenen Tor

Ölkreide auf Karton
„Wie war's doch auf der Burg vordem,
Mit dem Heinzelmännchen so bequem!
Denn, war man faul:.... man legte sich
Hin auf die Bank und pflegte sich:
Da kam sie bei Nacht,
Ehe man’s gedacht,
Mit 'nem Wein und schwärmte
Und klapperte und lärmte
Und rupfte
Und zupfte
Und hüpfte und trabte
Und putzte und schabte (leider nicht).....
Und eh ein Faulpelz noch erwacht,...
War die Nacht..... schon durchgemacht!“
Frei nach August Kopisch 








Wer sich mit der Genealogie von Heinzelmännchen beschäftigt, stellt gleich zu Beginn der Ahnenforschung zweierlei fest: Erstens: Sowohl in Deutschland - wo sie in Köln quasi ihren Ursprung hatten - als auch in Italien - wo sie wie andere auch Urlaub machen - sieht die Nomenklatur keinerlei Weiblichkeit der lieben Zwergwüchsigen vor. Die Literatur spricht  von Il Foletto Buono (wörtlich übersetzt: der gute Kobold) oder dem Heinzelmann, aber nirgendwo liest man von einer Heinzelfrau oder gar una Folletta Buona... Zweitens: Es gibt keine Quotenregelung.
Dabei haben jüngste Beobachtungen weibliche Exemplare mit durchaus augenfälligen Rundungen an geeigneten Stellen ausgemacht. Wohl kaum aber ist die Emanzipation an diesen weiblichen Kobolden vorbeigegangen. Die kleinen, kugeligen Geschöpfe sind nicht nur wehrhaft, sondern stehen (entschuldigt) - durchaus ihren Mann.
Nun, mit diversen gescheiterten Rentenreformen und aufkommender Altersarmut, beschäftigen sich die Heinzelfrauen (nennen wir sie ruhig so) durchaus mit so profanen Dingen wie Vorruhestand und der Sehnsucht nach dem dolce far niente...
Wer will es ihnen auch verdenken: immer  Nachtschicht, stets im verborgenen ohne Lohn  arbeiten, zudem permanent Dinge erledigen, die andere liegen gelassen oder nicht mehr geschafft haben. Da kann eine schon mal Forderungen nach mehr sozialem Gleichgewicht stellen - auch wenn es bis zum Rentenalter ja noch hin ist.
Als Betroffener und heute extrem von Heinzelleistungen Abhängiger muss ich allerdings warnen. Das Träumen vom Ruhestand so lange er noch in weiter Ferne ist, bedeutet Antrieb, Hoffnung oder positive Erwartung. Was jedoch ist, wenn man das goldene Tor durchschritten hat, hängt von derart vielen unerwarteten Faktoren ab, dass sich der eine oder andere wünschen wird, er wäre noch ein paar Jährchen davor geblieben. Einmal aus dem Spiel kann bedeuten, nie wieder aufgestellt zu werden...

Das Goldene Tor finden, aber nicht hindurch können...  Acryl auf Ölblock  9. Motiv der "können"-Serie
 

Dienstag, 26. Juli 2011

Urängste 2

Die letzte Frucht am Baum der Erkenntnis                  Oil on Canvas






















Hätten die skandinavischen Literatur-Genies in ihren Krimis nicht schon seit Jahrzehnten so realistisch in die abgründigen Seelen ihrer Landsleute geschaut, wäre mein Schock über die Vorkommnisse in Norwegen noch größer gewesen. Bis jetzt konnte man davon ausgehen, dass der Terror durch ihre Freizügigkeit in die Nordländer importiert wurde. Nun ist die Erkenntnis da, dass das letzte gewaltfreie Paradis Europas  durch die Wut eines Gestörten auf genau diese Verhältnisse zu Fall gebracht wurde... Während zweier Jahrzehnte war ich alljährlich mindesten einmal in Norwegen. Es war immer das Land, in dem ich auf meinen Reisen am wenigsten Angst hatte.

Vor kurzem schrieb ich an dieser Stelle von der Dankbarkeit, zu einer Generation zu gehören, die auf dem Territorium ihres Vaterlandes keinen Krieg zu erdulden hatte. Ich war allerdings nicht mutig genug, zu gestehen, dass die Urangst vor etwas die ganze Welt Erschütternden mich bis hier hinauf auf den Burgberg verfolgt, und dass mich dieses zunächst vollständige und nun auf Teilzeitbasis gelebte Exil nicht wie erhofft vor ihr bewahrt. Im Zeitalter von Satelliten-Fernsehen und Internet aber auch bedingt durch das Alter bin ich dieser Urangst zunehmend hilflos ausgesetzt. Das Jahr 2010 war schon irgendwie apokalyptisch. Nun hat ihm 2011 längst schon den Horror-Rang abgelaufen.

Die Jugend kompensiert offenbar diese Ängste durch den eigenen Lebenskampf. Sonst hätte ich die Acceleration doch schon früher bemerken müssen. Meine ersten Olympischen Spiele als Journalist 1972 waren der Auftakt des Terrors. Gerade hatte ich  noch erlebt, wie ein ungedopter, langbeiniger deutscher Teenager sich beim Hochsprung unfassbar in den Nachthimmel von München zu Gold geflopt hat, da war der olympische Friede am nächsten Morgen auch schon auf immer gestört. Vier Jahre später waren die Olympischen Spiele von Montreal durch den stetig wachsenden internationalen Terrorismus schon ein derartiges Sicherheitsbollwerk, dass eine der großen Stories meines Lebens buchstäblich zwischen den Leibern einer überängstlichen Antiterror-Einheit eingeklemmt wurde und ungeschrieben blieb. Und dann Sarajewo, wo Soldaten während der Spiele 1984 auf mich anlegten, weil ich in der frisch verschneiten nächtlichen Altstadt  mit ihren Minaretts eine Automatik-Kamera rot blinkend und selbstauslösend in den Schnee gelegt hatte.

Sarajevo war ja dann auch das Mentekel für den Irrglauben im Traum, irgendetwas würde sich nach Fall von Mauer und Eisernem Vorhang im Wiedervereinigen zum Besseren wenden. Ist es  der Alterspesssimimus, den ich der Elterngeneration immer vorgeworfen habe, oder naschen wir vor der herannahenden Feuersbrunst bereits ungeniert von der letzten Frucht am Baum der Erkenntnis?

Angesichts der Tragödie um Fukushima wollte ich an dieser Stelle nicht den Erdstoß thematisieren, der unser Haus hier vor rund zwei Wochen erschüttert hatte. Es war von den vier Erdstößen, die ich im Laufe meines Lebens in verschiedenen Winkeln der Welt erleben musste der bei weitem leichteste. Aber er löste angesichts der Umstände in diesem Jahr den größten Schrecken aus. Schließlich liegen die französichen AKWs im Rhonetal nur gut zwei Westwind-Stunden von uns entfernt...

Ja, und dann war es dann doch diese einzigartige Jetztzeit, die wieder für Beruhigung sorgte: Ein Blick auf den Erdbeben-Monitor im Internet vergewisserte innerhalb einer Viertelstunde die Stärke des Ausläufers und die im Epizentrum knapp 60 Kilometer vor Korsikas Westküste in  rund sechs Kilometer Meerestiefe...
Erschütternd aber nicht zerschmetternd - vielleicht wieder mal eine Ermahnung.

Donnerstag, 21. Juli 2011

Kleine Agave

Aloe Vera          Ölfarbe auf Leinwand gespachtelt
Im Schatten deiner Mutter hast du dich festgekrallt. Du hast gelernt, genügsam zu sein und trotzt  der prallen Sonne und den harten Winden vom Meer. Der steinerne Jesus über dir - die Arme zum Kreuz gestreckt - verspricht dir Segen, den du noch nicht verstehst. Denn du schämst dich deiner graugrünen, stachlig steifen Blätter, mit denen dich dein Schöpfer ausgestattet hat. Und du bist eifersüchtig auf deine kleinen Schwestern, die weiter unten alle Jahre wieder dicht gedrängt ihre prachtvollen Kerzen ins Azur und die weiße Gischt der Brecher recken. Du siehst die Menschen,  die nachmittags vom Strand kommen und die weicheren Blätter der Aloe Vera brechen, um sich mit deren Saft die sonnenverbrannte Haut zu kühlen. Da wüscht du dir auch einen derartigen Zuspruch und einen heilenden Segen deiner Säfte. Aber du musst dir die paar Tropfen Wasser ja für ein langes, bescheidenes Leben einteilen.
Vielleicht tröstet dich daher  ja dieser Gedanke - kleine Agave:
Wenn du in bald hundert Jahren zum ersten und einzigen Mal deine blühende Krone hoch und majestätisch in den Himmel reckst, sind wir hier noch nicht einmal mehr in Erinnerung...

Montag, 18. Juli 2011

Träume

Migräne          Oil on Canvas
Es gab eine Zeit, da wurde ich dazu angehalten, meine Träume nicht nur aufzuschreiben, sondern sie am nächsten Morgen auf einer Couch liegend auch zu erzählen. Schreib- und erzählbegabt verhalf ich unter anderen einem Mann zu einer spannenden Morgenunterhaltung (nachmittags empfing er nicht) und zu einem schwarzen Porsche-Cabrio. Jetzt ist  der Therapeut  - obwohl ja gleichalt  gewesen - schon einige Jahre tot, und ich bin immer noch am Leben. - Was ich ganz bestimmt nicht ihm verdankte, und auch nicht den Schlaumeiern vom Max-Planck-Institut, die mich damals mit Präparaten aus der US-Psychopharmaka-Industrie vollstopften, die nicht einmal ausgetestet oder in Deutschland zugelassen waren...

Wieso ich gerade in diesen Tagen und auf diesem Wohlfühl-Blog so eine komische Geschichte erzähle?  Papa Hemmingways Tod hat sich ja gerade rund gejährt. Und ich bin jetzt 62! Einer der Max-Planck-Typen, mit dem ich damals zufällig  auch Squash spielte, verriet mir nach mehreren Halben Bier, ich sei nicht zu retten. Die Psychatrie rätsele schon seit Jahren, wieso kreativen Leuten, die schrieben oder malten, nicht zu helfen sei... Ich solle mich darauf einstellen, so wie Hemmingway zu enden. Wenn ich mich recht erinnere, sprach er sogar von einem Hemmingway-Syndrom...

Was macht der traurige Fischer?            Oil on Canvas
Da muss ich ja von Glück sagen. dass ich nicht  - wie ich jüngst in diversen Veröffentlichungen nachlas -  gleich dem Urvater des "Creative Writings"  mit Elektroschocks behandelt wurde. Außerdem half mir zum Überleben vielleicht auch meine Aversion gegen jegliche Art von Schusswaffen, die nicht im olympischen Wettkampf als Sportgerät verwendet werden (-falls mir ein kenntnisreicher Blogleser meinen Bestseller mit Trainingsanleitungen zum Sportschießen vorhalten wollte)...

Hemmingway trank, liebte gutes Essen und bezog aus den Aggregatszuständen des guten Lebens seine Schreib-Power, die - wie ich finde - zeitlos und einzigartig ist. Er war übrigens auch ein leidenschaftlicher Skifahrer - wie seine Enkelin Margaux (benannt nach einem Premier Grand Cru  Bordeaux aus dem Haut Medoc), die ich mal für ein Titel-Shootig gewinnen konnte.

Er hatte den Erfolg, ich 30 Jahre mehr medizinische Forschung. Denn eines Tages kam ein Arzt auf die Idee, ein Langzeit-Zucker-Profil von mir zu erstellen. Da kam es - nicht vorhersehbar - zu plötzlichen Unterzuckerungen, bei denen mir die Schädeldecke davonflog, mein Herz völlig außer Takt raste und lang anhaltende, depressive Zustände über mich das Kommando übernahmen, bei denen ich schon mal überlegte, freiwillig aus dem Leben zu scheiden.

Dass das ganze oft nach extremen Träumen geschah, entlastet die Seelenklempner zwar nicht, zeigt aber, wie sehr die Medizin bis heute am Mangel der ganzheitlichen Denkweise leidet.

Der "freudianische" Porschefahrer schob die vielen Frauen, die in meinen Träumen überproportional und vor allem farbenprächtig vorkamen natürlich auf meine Mutter - und auf meine Frau, die für mich möglicherweise nicht die Richtige gewesen sei.
L'Absinthe                     Oil on Canvas

Meine Mutter ist leider seit sechs Jahren tot, und ich lebe nun mit der falschen Frau  hier auf der Burg. Gerade heute, da ich diese Zeilen schreibe, haben wir festgestellt, wie gut wir es nach immerhin 45 Jahren Zusammensein miteinander getroffen haben. Aber träumen tue ich immer noch den gleiche Mist wie vor 30 Jahren. Und manchmal wache ich gerädert von diesem halbrealistischen, nächtlichen Wahnsinn auf und bin dann dankbar, dass es nur ein Traum war.

Manche Leute, die meine Bilder betrachten und ehrlich  kein Blatt vor den Mund nehmen, fragen mich oft, welche Drogen ich bei diesem oder jenem Bild genommen hätte. Wieso ich mal gegenständlich malte und dann wieder so irres Zeug...

Da kann ich nur sagen: Um am Leben zu bleiben!


P. S. Wer die Frage vom Titel des zweiten Bildes richtig mit einem Kommentar beantworten kann, gewinnt eine Woche Aufenthalt auf der Burg...

Mittwoch, 13. Juli 2011

Schwarze Sauce gegen schwarze Gedanken

Al Nero Di Seppia                        Acryl-Aquarell auf Ölblock




Boba Fett. der aus den Starwars berüchtigte, intergalaktische Kopfgeldjäger aus dem Clan der Fett-Replikanten hatte gestern eine Sneakpreview für das obige Aquarell. Er meinte, dass der Kopffüßler aus der Sepiagruppe doch recht böse schaue. Natürlich weiß so ein Rumtreiber zwischen den Gestirnen eher wenig vom Wesen solcher Unterwasserspezies.
Obwohl die ja seit Jahrmillionen schon das Rückstoßprinzip anwendet, das letztlich Eingang in die Welraumfahrt fand.
Gut gelaunte Sepien fächeln sich mit ihrem seitlichen Flossenkranz normalerweise gemütlich spazieren. Nur beim Auftauchen von Freßfeinden - also in Stress- und Notsituationen - werfen sie den Raketenantrieb an und verschwinden rückwärts davonschießend, den Feind in einer sogenannten Tintenwolke zurücklassend. - Da wird man dann doch wohl mal böse schauen dürfen?...

Bobas Freß-Kumpan, Dr. Elmo, hätte so etwas natürlich gewusst, aber er lauert ja auf diesen Blog, um Rezepte abzugreifen und nicht um zoologische Excurse mitzumachen.  Auch er muss nun erst noch auf den Hummer weiter unten warten, weil der Sugo Nero um den es heute geht, eben mehr ist als eine manchen unheimlich eklig vorkommende Sauce, mit der man sich auf  immer und ewig Hemden und Blusen versauen kann. - Wenn man sich nicht nach Mafiaart eine Riesenserviette umbindet. Aber davon später.

Die Gelehrten des Altertums rund ums Mittelmeer hatten die Sepia-Tinte schon längst als Schreib- und Malfarbe entdeckt, als die Klosterbrüder im Norden beim Aufzeichnen ihrer Chroniken noch reihenweise aus ihren Bänken kippten, weil sie ihre in Eisengallus getauchten Federkiele ableckten, um sie gesschmeidig zu machen. Die ursprünglich aus Arabien stammende Tinktur dieser noch heute für wichtige Dokumente gebräuchlichen Tinte - war lange Zeit unerkannt - nämlich ziemlich giftig und wirkte sich bei längerem Mißbrauch aufs zentrale Nervensystem aus.

Dem Sekret aus den Drüsen der Sepien wird hingegen das genaue Gegenteil zugeschrieben. Für die homöopathische Behandlung von seelischen Erkrankungen soll das Melanin in dem schwarzen Farbstoff chemisch aufgedröselt wahre Wunder wirken. Man könnte sogar sagen, je schwärzer der Sugo Nero desto besser für die Seele...

Rund um den italienischen Stiefel werden Risotto oder hausgemachte Tagliatelle Al Nero Di Seppia angeboten. Jede Region hat ihre eigenen Rezepte, mit der sie natürlich auch entsprechende Mythen verarbeitet. In Zeiten vorgeputzer Sepia-Bälger und separat verpackter Tinte aus dem Kühlregal wird das Nachkochen natürlich eher profan. Wann gäbe es denn in deutschen Fischgeschäften mal fangfrische Seppioline die noch in ihrer Tinte liegen? Von den großen Brummern ganz zu schweigen...

Übrigens habe ich bei einem australischen Fischer japanischer Abstammung  an der Ostküste nahe Cairns mal  ein Exemplar der Sepia im Boot gesehen, dessen Augen groß wie Untertassen  waren. Auf die Frage, ob das Riesending denn noch essbar sei, schaute  er mich nur verständnislos an, denn ein guter Prozentsatz der kunstvoll mit dem Spezialmesser geschnitzten Tintenfisch-Stücke in der Chinesischen und Japanischen Küche stammen von solchen Monstern. Sugo Nero habe ich in Asien jedenfalls noch nie angeboten bekommen - obwohl ich mir eine Verfeinerung mit frischem Ingwer und "Süßer Sojasauße", ergänzt durch einen Hauch frischen, grünen Korrianders nur zu gut vorstellen könnte... Aber das ist ja nicht unser heutiges Thema!

Hier in der ligurischen Wahlheimat wird Al Nero Di Seppia dem Wesen der hiesigen Kochkunst gemäß nahezu natürlich belassen. Was lecker ist, wenn der Koch ein Ei mehr an die selbst gemachte Pasta gibt.
Den ganz großen Hype machen die Bewohner der Lagune von Venedig aus ihren schwarzen Sepiagerichten, die gerne auch mal mit Mais-Polenta serviert werden. Unvergessen bleibt mein Kleinkrieg mit dem Wirt von  "All'Antiqua Mola" am Canareggio. Obwohl es eine Sünde ist (un pecato!), bestelle ich gerne einen Hauch Parmesan zum Sugo Nero. Zehn Jahre lang bin ich immer wieder in dieses Restaurant gegangen und habe nie meinen Streukäse bekommen. Aber einmal hat es der Wirt dann doch auf die Spitze getrieben: Nach gefühlten hundert "porto subito!", dem Zahlen und der Abschiedsgrappa lief er mir noch fünfzig Meter auf der Mole hinterher und rief  dann mit dem Schüsselchen in der Hand: "Ecco il Parmigiano!"

Sorry! Die Story war gut, aber den Weg zu meinem Herzen gefunden hat vor über 25 Jahren mit ihrem Sugo Nero Signora Zavoca aus Acitrezza an den sizilianischen Faraglionen. Seither koche ich nur dieses Rezept, und wenn ich den ersten Bissen nehme, spult sich ein einzigartiger Film vom Ostern 1985 ab:

Normalerweise vermied ich bei Reportagen Feiertage. Aber unter dem Ätna sind die Osterprozessionen in der Settimana Santa von einzigartiger Atmosphäre. Vor lauter Fotografiererei habe ich dann auf mein eigenes Seelenheil am Ostersonntag (einhergehend mit gesättigtem Wohlbefinden) vergessen. Da stand ich nun am Hafenbecken von Acitrezza und hoffte bei Signora Zavoca unterzukommen, die mich ein paar Tage zuvor noch mütterlich fürsorglich in ihre Töpfe und Pfannen hatte gucken lassen. Aber was war aus ihrem kleinen - vielleicht sechs Tische beherbergenden - Restaurant geworden? Die ganze Kai-Zufahrt stand voll mit zusätzlichen Tischen, und die gesamte Verwandtschaft aus dem Hinterland jonglierte mit Tellern, Flaschen und Brotkörben durch sie hindurch.
"Nein, beim besten Willen nicht! Ich kann Ihnen heute keinen Einzeltisch aufstellen."
Da hörte ich hinter mir eine sonore Stimme, die Mafia-Englisch sprach:
"Gib Bud Spencer einen Kuss, und sag ihm, er soll sich zu uns setzen."
Da tippelte ein kleines, engelhaftes Mädchen auf mich zu., zupfte an meiner Hose, damit ich mich hinunter beugte und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. An der Tafel, an die ich gebeten wurde, entstand kurz heischende Unruhe, dann ward Platz geschaffen neben einem jesusmäßigen Typen, der den Arm um mich legte, als sei ich der älteste Freund in der Tafelrunde.
- Und dann kamen die Seppioline als Secondo. Diesmal zusammen mit Pasta-Fetzen - also nicht als Tagliolini, Spaghettini  oder Tagliatelle geschnitten, sondern im wahrsten Sinne "stracciata". Hier das nachgeschmeckte Rezept, und wenn Ihr lieb seid, verrate ich Euch beim nächsten Mal, wie Signora dann auch noch ihren Nachtisch Ananas Arabica für all die vielen Leute gezaubert: hat.


Al Nero Di Seppia - gezaubert von Signora Zavoca

Vorbereitung:

Dieses Rezept geht natürlich für vier Personen auch mit vorgeputzten großen Seppie und der verpackten Tinte (jeweils aus dem Kühlregal).. Es läßt sich - wie beschrieben - sowohl für Pasta als auch Risotto verwenden. Wobei der Reis bei der Risotto-Version in dem Moment hinzugegeben wird, indem auch die Tinte in den Topf kommt (die etwa 20 Minunten Garzeit für den Reis unter permanentem  Rühren und dosierter Zugabe von Fischfond und Marsalla reichen  auch für den Sugo). Bei Pasta macht man den Sugo fertig, hebt die mit Biss gekochten Teigwaren erst vor dem Servieren darunter und läßt sie dann bis zur Schlunzigkeit unterm Deckel nachgaren. Wer die "Pecato-Diskussion" vermeiden will gibt einfach gleich ein paar Grano-Padano- oder Pecorino-Rinden während des Köchelns hinzu und nimmt sie vor dem Servieren raus. Schmeckt echt geiler!!!

Zubereitung
Für vier Personen entweder vierhundert Gramm Seppioline, die noch in der Tinte sind  (echter Glücksfall, wenn man nicht am Meer lebt) oder vier mittelgroße Seppie, die man Putzen läßt und den Fachverkäufer bittet, die Drüsen separiert (je 2) aufzuheben. Sie sehen silbrig aus und haben eine kleine Schwellung: Kaum zu glauben, wie farbintensiv die wirken! Seppioline mit einem Tourniermesser den Balg aufschlitzen und leeren. Bei Vorgeputzten den Fischhändler um die Drüsen von anderen Seppie bitten. Wie gesagt, die meisten finden Sugo Nero eklig.
In einem Mörser pro Person eine Schote Peperoncino und  eine mittelgroße Zehe roten Knoblauch mit  einem Teelöffel Meersalz und braunen Melassezucker sowie ungespritzter Zitronenschale nach Gusto zerreiben.
Die Seppioline ganz oder Briefmarken groß geschnittene Sepia-Stücke von größeren Exemplaren in reichlich gutem Olivenöl zart mit dem Mörserinhalt anschwitzen. Zwei Esslöffel gutes Tomatenmark oder besser noch selbst reduzierte, passierte Tomaten hinzugeben bis eine saffianfarbige Basis entsteht. Dann erst kommt die Tinte hinzu. Keine Angst, sie verbindet sich kaum mit der Masse. Soviel Tinte hinzugeben, bis der Sugo lampenschwarz wird, denn er ist zunächst rötlichbraun - also tatsächlich sepiafarben.
Signora Zavoca hat dann den Tropfentest gemacht. Wenn unter der Schwärze des Sugos ein Hauch von Rot zu erahnen ist, wird er angerichtet und serviert - auch als Hauptgang beispielsweise  mit Polenta.




Buon appetito!

P.S. Der Vollständigkeit halber sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass ich erst ein paar Jahre später erfuhr,dass mein Gastgeber das Oberhaupt des berüchtigten Pedemonteclans war, der seine legalen Operationen im Tourismus betrieb. Was einem namhaften Ferienclub-Betreiber nicht viel nutzte, als die Leute ihm - auf ihr Wasserrecht pochend - dasselbige regelrecht abgruben. So preiswert hatte noch nie ein komplettes Feriendorf seinen Besitzer gewechselt...

Montag, 11. Juli 2011

Die traurige Legende von Dr. Swiffer

Uomo Di Mare    Öl auf Malkarton
Heute - aus aktuellem Anlass - mal eine traurige Geschichte über einen Mann mit gewissen Fähigkeiten, aber durchaus begrenzten Talenten:

Er hätte ein großer Seemann werden können, aber abgesehen von ein paar kleineren Segelbooten, die er mit wenig Fortune über einige  bayerische Seen gesteuert hat, reichte es am Ende nur zu einer kleinen "Barca da Pesca" in einem nahezu leer gefischten Meer...

Als Maler scheiterte er an seinen eigenen Ansprüchen. In den Ferien als kleiner Bub mehrfach auf dem Schoß des großen Picasso gesessen zu haben, reichte da einfach nicht. Der stete Mangel an gesäuberten Pinseln und Paletten hatte auch nicht gerade die entsprechend kreativen Einflüsse auf ein vielleicht gunstvoll fehlinterprätiertes Oeuvre...

Als Gourmet-Koch wären die Chancen noch am größten gewesen, hätte es zeitgleich nicht Witzigmann, Wodarz, Winkler, Schubeck, Gandolfo, Girardet und weitere unverzeihlich aus Vergesslichkeit nicht genannte "Gastwirte" gegeben, die dem armen Mann zwar Talent bescheinigten, aber seine Unart rügten, Kritik an seinen Koch-Kreationen, immer gleich mit der Androhung von körperlicher Gewalt zu begegnen...

Was wird dann so einer? Eben nicht - wie es früher geheißen hat: "Wer nix wird, wird Wirt!".

In den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts sind solche Leute dann eben freie Journalisten geworden. Schließlich strandete diese gescheiterte Existenz zum neuen Jahrtausend in einer mittelalterlich Bruchbude in den ligurischen Bergen und verkommt seither, indem sie ihre Tage vergammelt, anstatt sie irgendwo beim Roten Kreuz durch Blutspenden oder in Form andere Gemeinnützigkeiten aufzuwerten. Wobei die Betonung bei diesem Typen natürlich auf gemein liegen müsste. Gott sei Dank wurde er mit einer praktisch gesonnenen Ehefrau gesegnet, die seine wahren Talente fördert

Rote Segel          Oil on Canvas
So konnte man ihn heute bei über dreißig Grad im Schatten als mit Staubsauger bewaffneten und mit Staubfummel herumfuchtelnden Burggeist beobachten, wie er den bei all den geöffneten Fenstern nahezu aussichtslosen Kampf gegen die gnadenlosen Bergwinde aufnahm. Immerhin am Ende des Tunnels gab es Licht und Lob durch die zweitbeste Ehefrau von allen (die beste hatte sich ja leider weiland schon Ephramin Kishon gekrallt).
Sie schaute kurz von ihrem Sudoku auf und meinte unter Hinweis auf die im Staubkampf unversichtbare Lesehilfe: "Immerhin siehst Du aus wie Dr. Swiffer!"
Ich konnte mich über ihr Lob nicht so recht freuen, weil ich verzweifelt nach dem namensgebenden Staubwedel suchte. - Erst als ich mich endlich hingesetzt hatte, merkte ich, dass ich ihn in Ermangelung des Original-Swiffer-Gürtels, der mir eigentlich zustünde, hinten in den Hosenbund gesteckt hatte...

Nicht zum ersten Mal fühlte ich mich da als Loser. Ist das Leben tatsächlich an mir vorbei gegangen, ohne einmal wenigstens Halloooo zu sagen?

P.S. Aber keine Bange. So weit unten bin ich noch nicht, dass ich mich bei meiner weit über einer Million Blogleser auch künftig noch dranmache, jeden Kommentar zu posten, nur weil sich ein paar angebliche Nerds außer Stande sehen, das selbst zu machen...

Donnerstag, 7. Juli 2011

Eine Art Zauberberg

Sempre le mani polite       Acryl auf Pappe
Die Tage werden schon wieder deutlich kürzer und erinnern mich daran, dass über die Hälfte der Burgtage für heuer schon wieder vorbei ist. Wer Leser der "Steine aus dem Glashaus" ist, wird sich vorstellen können, wie sehr die hier selbst auferlegte Vermeidung politischer Themen mein Zornventil strapaziert. Es gäbe ja genug Themen zum Dampf ablassen: die Wählergunst heischenden Versprechen von Steuersenkungen, die Lieferung von Panzern an die Saudis, die außenpolitischen Spiegelfechtereien beim Vorsitz im UN-Sicherheitsrat und die unerträglichen Besserwissereien und Erpressungsversuche unseres selbstberufenen Wirtschaftsministers, der ja schon bei der sogenannten Gesundheitsreform grandios gescheitert war...
Aber auch zu Füßen unseres Burgberges hier in der Wahlheimat wird das weltweite Symptom der Loslösung demokratisch gewählter Politiker vom Wahlvolk immer drastischer. Vom Volksvertreter zum Volksverräter - das scheint jetzt die Regel. Anders ist es nicht zu erklären, wieso das Bunga-Bunga-Sparpaket in erster Linie zu Lasten der kleinen Leute geht. Schulen und Krankenhäuser werden geschlossen, wo es keine alternativen Standorte gibt. An der Costa dei Fiori gibt es jetzt schon zigmal mehr Jachthäfen als moderne Krankenhäuser. Der Fachärzte-Mangel ist so krass, dass es an der Küste mit all den Tauchern und Schwimmern auf fünfzig Kilometer weniger als ein halbes Dutzend HNO-Ärzte gibt...

Mitläufer           Mischtechnik auf Malkarton
Der Cavaliere, der ja nun wirklich seine ganze Verwandtschaft überreichlich versorgt hat und selbst viel zu alt ist, um noch große Teile seines Riesenvermögens auszugeben, könnte schlagartig sein mieses Image verbessern, wenn er sich - Bill Gates zum Vorbild genommen - von einem Vermögensanteil in Höhe von 25 Prozent des aktuellen italienischen Sparpaketes verabschieden würde...

Warum er das nicht tut? Er hält sich vermutlich wie die meisten Despoten im Inneren seines Wesens für unsterblich.Dies ist nach Theorie eines Doktors der Sportphilologie aus Jena, der mich  jahrelang beruflich begleitete, das eigentliche Wesen des Despotismus und die Triebfeder für scheinbar unendliche Schaffenskraft.
Er unterteilte die Charaktere der Macher in goethische und schillersche: Während der schillersche Charakter im Bewusstsein seines bald eintretenden Todes seine Schaffenskraft derart strapaziert, dass er den Löffel meist tatsächlich frühzeitig abgibt, ist der goethische dank der unterbewusst vergegenwärtigten Unsterblichkeit in der Lage, die Dinge ohne Hast voranzubringen und ein statistisch überlanges Leben voller Schaffens- und Liebeskraft zu führen...

Leider hatte ich vergessen, meinen Freund Hubert zu fragen, wo er sich selbst aufgestellt hätte. Er ist knapp über fünfzig an einem Herzinfarkt gestorben, weil er trotz seiner ausgeprägten Liebe zu harten Drinks noch an einem Ultramarathon teilnehmen musste.

Ja, wieso erzählt uns der Obelix das nun alles so breit? Das hat hier mit der Burg und mit  unserem Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann zu tun, der ja in jeder Beziehung ein goethischer Charakter war: Wer knapp vor seinem Tod mit 80 einen so köstlichen Roman wie "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" verfasst und mehr als ein Vierteljahrhundert davor ein so seherisches Denkmodel wie den "Zauberberg", der verdient diese Unsterblichkeit.

Wenn ich die letzten vierzig Jahre in der Geschichte dieses Borgos überblicke, erkenne ich da durchaus Tendenzen, dass es sich bei den "zauberbergschen Momenten" hier oben um einen durch die Zeitläufte verursachten Automatismus menschlichen Verhaltens handeln könnte. Als Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die ersten Ruinenbaumeister hier auftauchten, waren sie wohl alle davon beseelt, sich für die Gegenwart aber vor allem auch für das damals noch weit entfernte Alter ein Stück Italien und ein Rifugium zu schaffen.

Da aber das Leben durchaus kein Wunschkonzert ist, lief es parallel zu den Vorstellungen eben weiter:
Die einen ließen sich scheiden, die anderen starben vor der Zeit. Bei wieder anderen änderten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die dieses dualistische Denken einst zuließen. Manche kamen mit neuen Partnern. Am befriedigsten war das Engagement hier oben wohl für die, deren Erben sich von Kindesbeinen diesem Zauber ergeben haben.

Manche "Überlebende" sind nun 40 Jahre älter und denken darüber nach, doch lieber "daheim" sterben zu wollen und verkaufen jetzt ihren Traum unter Schmerzen und Tränen. Was war das wertvollste an diesem Besitz? Doch nicht der Wiederverkaufswert! Die blödeste Plattitüde ist ja die vom letzten Hemd, welches keine Taschen habe. Der Besitz zu Lebzeiten - so bescheiden er sein mag - hat doch durchaus seine zauberhaften Aspekte.

Nein, der alte Konfuzius hat es richtig erkannt:

Schöne Tage - nicht weinen, dass sie vergangen, sondern lächeln, dass sie gewesen...

Sonntag, 3. Juli 2011

Eine Messe für den Knoblauch

Wenn es einen Ort gibt, der von der jüngsten "Reanaissance des Vampir-Unwesens" mit Sicherheit verschont wurde, dann ist das der kleine Ort Vessalico im ligurischen Arroscia-Tal. Alljährlich findet nämlich dort seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts am 2. Juli die mittlerweile weltberühmte "Fiera dell'Aglio", eine historische Knoblauchmesse statt. Alles Wissenswerte kann ich mir eigentlich ersparen, denn im Web gibt es profunde Beiträge über das Knoblauch-Konsortium und die geschichtlichen Hintergründe. Deshalb nur ein paar Trip-Tipps:

Gestern zum Beispiel war es bei bedecktem Wetter wesentlich angenehmer als bei klarem Himmel im vergangenen Jahr. Im Arroscia-Tal staut sich die Hitze gern, und unter den Dächern der Stände ist es dann wie  in einer Sauna nach dem Aufguss. Wer die Ankunft um die Mittagszeit nach einem nur kleinen Frühstück ansetzt, findet leichter einen Parkplatz auf der Zufahrtsstraße zum Ort. Vorsicht mit großen Autos. Es gibt kaum Wendemöglichkeiten...

Dann erstmal für die Übersicht durch die Gassen schlendern und zeitig das Restaurant von "Nonna Maria" am östlichen Ortsrande in der Via Manfredi 66 aufsuchen. Eine telefonische Reservierung (0183 31057) ist an Messetagen besonders für die Tische im schönen Garten angeraten - sowie das dringend empfohlene Einteilen von Magenkapazitäten! Denn für 35 Euro pro Nase gibt es eine schier unendliche Spezialitäten-Folge.

Gestern: Stockfisch-Nocken, Melone mit Schinken, gefüllte Zucchini-Blüten, Kürbisauflauf, kleine Pfannkuchen (Crespelle) mit Steinpilzen, gefüllter Kalbsbug, Carpaccio mit Rollorosso, hausgemachte Tagliatelle mit Pesto, Ravioli mit Tomaten, geschmortes Kaninchen, Wildschwein im Saft sowie fingerdicke, fritierte Aale; danach neben den üblichen Dolce Tiramisu und Panna Cotta marinierte Pfirsiche mit hausgemachtem Pfirsich-Sorbet; Hauswein, Mineralwasser, Kaffee und Schnaps (beim Zahlen) alles inklusive... Das zieht sich bis etwa vier Uhr nachmittags, und das ist gut so!

Denn so gestärkt ist der ausgedehnte Markt- und Einkaufsbummel gleichermaßen der richtige Verdauungsspaziergang zu rechten Zeit, weil die Berge nun Schatten werfen. Denn neben all dem Knoblauch gibt es den sorgsam in Marmorkisten gereiften, regionalen Speck und diverse Wurst- und Räucherspezialtäten von Wildschweinen, die man ansonsten nie in größeren Stücken auf den Teller bekommt... (siehe Maremonti)


                 
Die Messe findet am rechten Arroscia-Ufer rund um den Parco Verde statt. Gesundheitsapostel schwören auf die Arzneieigenschaften des Aglio Rosso. Unumstritten ist, dass Knoblauch unendlich schön, mitunter aber auch recht einsam macht...Übrigens, der zu Zöpfen gebundene Knoblauch hält sich bei trockener Lagerung in gleichbleibender Temperatur sehr gut bis zur nächsten Fiera - vorausgesetzt die "Bevorratung" wurde richtig bemessen.