Dienstag, 28. Juni 2011

Von rechten Wegen, Rechtswegen und Wegerechten

Das große und das kleine Lamento              Ölkreide auf Büttenpapier
   

Jetzt brennt sie wieder unbarmherzig aus klarem Himmel. O sole mio! Und da wird einem mitunter im gleißenden Licht klar, dass auch hier oben im Borgo nicht alles eitel Sonnenschein ist. Auf dem Weg zu den Mülltonnen an der oberen Piazza hängt an einer Tür eine Mitteilung  der Gemeinde: Es sei gelungen, das Straßen-Konsortium zur Einigung über die Instandhaltung der oberen Ortszufahrt zu bewegen. Alle Konsorten hätten pünktlich eingezahlt, aber die Baukosten würden vermutlich eine weitere Vorauszahlung erforderlich machen...

Vor Jahresfrist herrschte wegen des Sträßchens, das über mannigfalitgen Privatbesitz führt, noch eine Art Krieg unter den Alteingesessenen. Der wurde laut Ohrenzeugen derart in verbalen Abgründen aller in der italienischen Sprache vorkommender Injurien ausgetragen. dass, wer die Protagonisten und ihre Engstirnigkeit kennt, einen dauerhaften Burgfrieden bezweifelt. Der Streit gipfelte vorerst darin, dass einer, der zur Feuerwehr gute Beziehungen hatte, das letzte Stück der Straße einfach wegen einer abgestürzten Olivenbaum-Wurzel, die den Asphalt aufgerissen hatte, sperren ließ. Alle hielten sich natürlich furchtsam an die Sperrung. Nur ihr Verursacher nicht, der - begeleitet von einem teuflischen Gelächter - mit seinem japanischen Fourwheeldrive weiter über die angeblich marode Straße preschte.

Ich habe im  nach Neujahr total leeren Borgo auch schon mein Lehrgeld bezahlt, weil ich meinen Wagen für ein paar Nächte nach dem Ausladen oben stehen gelassen hatte. Eine Alufelge samt Reifen nusste dran glauben, und meine Türschlösser waren mit Kitt verklebt. Gut, dass die Fernbedienung für den Öffnugsmechanismus funktionierte. Andere büßten mit rund um zerkratzten Karosserien.Anzeige gegen unbekannt zu erstatten, hat wenig Sinn, weil jeder ja weiß, wer dahinter steckt. Wer will schon einen 90jährigen bösen Burggeist verfolgen, der sich notfalls auf  Demenz beruft.

Wer sich auf die Burgstruktur einlässt, lernt entweder schnell Geduld oder verliert auf verschlungenen Rechtswegen vielleicht mehr Geld als das Streitobjekt am Ende wert ist. Ein Beispiel ist meine Außentreppe zum eigentlichen Haupteingang, auf der ein in dieser Enge übliches "diritto di passaggio" , ein Wegerecht unserer Nachbarin liegt. Die Treppe führt nämlich gleichermaßen zur verfallenen, aus der Angel gekippten Tür im ersten Stock ihres Schuppens. Alle Versuche, sie zur Reparatur und Verschönerung zu bewegen, schlugen neun Jahre lang fehl. Dann im Zuge des allgemeinen Baubooms von Ferienwohnungen, fiel es Donna Eulalia ein, aus ihrer "remissa" eine Ferienwohnung machen zu wollen. Sie ließ das Dach neu decken, setzte ein großes Fenster ein und gestaltete den Innenraum maisonettenartig. - Bis ihr einfiel, dass sie ja für die oben gelegene Küche und den Pellett-Ofen an kalten Tage einen Kaminabzug braucht, der mindestens so hoch sein muss wie der unsere, zwei Stock höher gelegene.

Wohl gemerkt: Ich habe ihr nicht untersagt, den Kamin an unserer Südwand hochzuziehen, sondern meine Zustimmung davon abhängig gemacht, ihr Bauvorhaben mittels einer Blaupause genehmigen zu lassen und dabei dann zu entscheiden, was mit der dann ja nutzlosen oberen Tür geschehen solle... (?!)

Der historische "Wandel durch Annäherung" hat ja in unserem einst geteilten Land auch mehr als ein Jahrzehnt gedauert. Wir und Eulalia nähern uns an. Wir gehen von Jahr zu Jahr immer freundlicher miteinander um, weil wir ja Zeit haben. Aber andere sind rastlos und daher oft auch  schnell rechthaberisch. Ein verweigertes oder strittig behindertes Wegerecht kann aber dann plötzlich wie ein Bumerang auf einen zurück rasen. Wie am westlichen Abhang des Ortes, der sich gerade beängstigend - und aufwendig renovierte Baussubstanz bedrohend - senkt. Unter den betroffenen Häusern liegen Gärten, die seit Jahrhunderten zu Häusern im Inneren des Borgos gehören und zu denen Wegerechte gewährt werden müssen, die manchen Neubesitzern stets ein Dorn im Auge waren.

Das war aber das verhältnismäßig kleine Lamento, was sich da bei der notgedrungenen Gewährung erhob. Nun droht das große Lamento: Denn um die Mauern und Häuser mit Stahlträgern und Vormauern abstützen zu können, müssen die Bautrupps der Hausbesitzer mit den schweren Maschinen in die alten, liebevoll angelegten Gärten, die dabei erst einmal zerstört werden...

Da könnte sich nun jedes früher im Streit ums Wegerecht falsch gewählte Wort  rächen. Denn Zeit, das ganze vor Gericht auszufechten, bleibt nicht. Es zeigen sich erste Risse in den Wänden, und die alte "Burgmauer" hat sich ja schon einen halben Meter gesenkt.

Samstag, 25. Juni 2011

Hertha erklärt das EU-Rettungspaket

Burgbriefe-Leserin Hertha hat endlich herausgefunden wie die EU funktioniert. Sie ist gebürtige Österreicherin, lebt aber schlauerweise in der Schweiz.


Das EU-Rettungspaket

Es ist ein trüber Tag in einer kleinen irischen Stadt. Es regnet und alle Straßen sind wie leergefegt. 

Die Zeiten sind schlecht, jeder hat Schulden und alle leben auf Pump. An diesem Tag fährt ein reicher deutscher Tourist durch die irische Stadt und hält bei einem kleinen Hotel. Er sagt dem Eigentümer, dass er sich gerne die Zimmer anschauen möchte, um vielleicht eines für eine Übernachtung zu mieten und legt als Kaution einen 100 Euro Schein auf den Tisch. Der Eigentümer gibt ihm einige Schlüssel.

1. Als der Besucher die Treppe hinauf gegangen ist, nimmt der Hotelier den Geldschein, rennt zu seinem Nachbarn dem Metzger und bezahlt seine Schulden.
2. Der Metzger nimmt die 100 Euro, läuft die Strasse hinunter und bezahlt den Bauern.
3. Der Bauer nimmt die 100 Euro und bezahlt seine Rechnung beim Genossenschaftslager.
4. Der Mann dort nimmt den 100 Euro Schein, rennt zur Kneipe und bezahlt seine Getränkerechnung.
5. Der Wirt schiebt den Schein zu einer an der Theke sitzenden Prostituierten, die auch harte Zeiten hinter sich hat und dem Wirt einige Gefälligkeiten auf Kredit gegeben hatte.
6. Die Hure rennt zum Hotel und bezahlt ihre ausstehende Zimmerrechnung mit den 100 Euro.
7. Der Hotelier legt den Schein wieder zurück auf den Tisch. In diesem Moment kommt der Deutsche die Treppe herunter, nimmt seinen Geldschein, meint, dass ihm keines der Zimmer gefällt und verläßt die Stadt.

Niemand produzierte etwas.
Niemand verdiente etwas.
Alle Beteiligten sind ihre Schulden los und schauen mit großem Optimismus in die Zukunft. 

So, jetzt wisst ihr Bescheid. So einfach funktioniert das EU Rettungspaket.

Mittwoch, 22. Juni 2011

Liebe

Flying Golden Hearts               Acryl auf Malkarton


































                                                            
Ja, es gab einmal ein Restaurant hier oben. Wer seiner Geschichte investigativ nachgeht, wird von einer Ereignisfülle erschlagen, die leicht an Boccaccios Decamerone heranreicht. Da geht es um Liebe, Leidenschaft und Eifersucht. Die meisten der  Protagonisten sind mittlerweile schon Burggeister, aber der Respekt gebietet natürlich, dass jegliche Kolportage mit dem Siegel "Legende" versehen wird. Heute hausen in dem Gebäude mit Talblick an der letzten Haarnadelkurve vor dem Borgo Motocross-Fahrer, die den ehemaligen Gastraum als Schrauber-Werkstatt verwenden. Sie düsen Vollgas aus der Tür und sind mit einem Schleudern im anspruchsvollsten Gelände, das sie zum Training finden können...

Kaum zu glauben. dass da mal die geniale Köchin Antonia die Kochlöffel geschwungen und das Regiment über Tiegel und Pfannen geführt hat. Bis vor zwei, drei Jahren konnte keine Sagra im Hauptort ohne ihre Regie durchgeführt werden. Die Feste auf dem Sportplatz zwischen Kirche und Rathaus haben nicht zuletzt durch sie eine Reputation erfahren, dass heute kaum noch Platz auf den Bänken ist, und die Hungrigen Schlange stehen,um  Schnecken-Ragout oder Tonati mit Piselli aufgehäuft zu bekommen.

Hatte Antonia kein Glück mit ihren Männern oder war sie einfach zu leichtgläubig? Jedenfalls hatte sie vor dem Restaurant hier oben schon ein Hotel am Meer in bester Lage. Als ihr Sohn endlich in die Gastronomie einstieg, war sie wieder voller Hoffnung, aber man kann Karten spielend, eben kein Restaurant führen, selbst wenn es  "In ewiger Dankbarkeit Mamma!" heißt...

Aber Antonia festigte in mir die Gewissheit, dass die Liebe im Alter (a la Marques' "....in Zeiten der Cholera") durchaus Perspektive haben kann - selbst wenn die Restzeit  in ihrem Fall - überschaubar blieb. Erno, der letzte Mann an ihrer Seite, den ich die Ehre hatte, nicht nur kennen zu lernen, sondern dem ich auch einmal ersten Hilfe leistete, als seine Parkinson-Erkrankung voranschritt, bekundete ihr gegenüber soviel romatische Liebe, dass eine Fußballmannschaft voller glutvoll amouröser Ragazzi an ihn nicht herangereicht hätte.

Erno räumte nachhaltig mit einer meiner Fehleinschätzungen auf: Nämlich, dass es in einem Dorf, wie dem unseren - noch dazu im katholischen Italien - in Sachen Liebe höchst sittsam und moralisch zugehe. Er tat das mit seiner angeborenen Grandezza unter äußerst dezenten Hinweisen. Carina - eine Nachbarin, die mir bis dato nur duch eine einzigartige Sammlung bunter und enger Jogging-Anzüge aufgefallen war, in die sie sich zu jeder passenden oder unpassenden Zeit hinein zwängte, hätte zum Beispiel Lady Chatterley echt erblassen lassen:

Verheiratet mit einem örtlichen Bauunternehmer, folgte sie dem zweimal klingelnden Postboten hinunter ins Tal, wo sie jenen zu Tode liebte. Zurück auf der Burg und längst fürsorgliche Oma hatte sie in der Folge auch weitere Liebhaber, die erstaunlich schnell entweder pleite waren oder sonst wie zu schwächeln begannen...

Dem Dorf-Schreiner Severino, der hier infolge der nordeuropäischen Invasion in diversen Häusern reichlich mit den Ausbauten zu tun hatte, wird sogar nachgesagt, er habe bei einer Deutschen extra ein Türchen zum Garten eingebaut, um dezent verschwinden zu können, wenn deren Gatte nahte. Aber, wer glaubt denn schon so etwas?

Selbst der wasserscheue Dario (siehe Maremonti) schwärmte davon, wie er bei einer kühlen Blonden aus dem Norden mit erhitztem Gemüt seine Jungmannschaft verloren habe. Da Dario heute ein Mittfünfziger ist, wundert es nicht, dass sich die aktuelle Perspektive ganz anders darstellt.

Ich weiß, dass ich mich jetzt wiederhole. Aber passt "tempus fugit - amor manet"  nicht prächtig in diesen Borgo?

Dienstag, 21. Juni 2011

Faulheit

Wenn.......die........  Niederschrift........eines.....Satzes....so .......viel......länger....dauert.....als.....seine.... Formulierung......., dann ...... weiß .......ich schon....was...los ....ist. ....................Da....hat irgendetwas.....mein....Faulheitsgen..... aktiviert. Natürlich...schreibe...ich das.... immer äußeren Einflüssen zu, ....anstatt meine pathologische Antriebsschwäche dafür verantwortlich zu machen. Gut, dass wir hier oben unsere Winde haben (siehe auch Post vom 11.5.). Auf die.... schiebe ich meinen Zustand..... am liebsten.

Also ich reiß mich jetzt mal zusammen: Der Libeccio treibt aus Südwesten die Luftfeuchtigkeit auf den Bergkamm oberhalb von Sanremo zu. Dort staut er sie zu Wolken, die wie schwerer, grauer Brei von diesem Kamm in unseren Talkessel überkochen. Wo ihn der Maestrale packt und ihn südöstlich aufs Meer hinaus treibt. Aber ehe noch die Wolken die Strände beschatten könnten, greifen der Scirocco oder der Levante ein, um die ganze Sauce zurück zu uns in die Berge zu drängen, wo dann der Grecale das ganze Spiel von vorne beginnen lässt. Ich nenne das Phänomen den "Sanremo-Achter", ein Begriff, der ganz sicher irgendwann einmal in die meteorologische Geschichte dieses Landstriches eingehen wird und mich als verkannten Faulpelz rehabilitiert...

Man könnte diesem schwülen und recht feuchten Dampfbad ganz einfach entgehen, indem man an die Strände hinunter führe, wo eine kühlende Brise weht und die Sonne nicht graustrümpfig gefiltert wird. Aber wir haben Ferien, und die Bambini - durch Whalewatching und Discovery-Chanels - greenpeacemäßig sensibilisiert reagieren auf mich hysterisch. Seit es sich 13 Seemeilen in Richtung Korsika die größte Pottwal-Population der nördlichen Mittelmeers gut gehen läßt, glauben die Kids, sie könnten am lebenden Objekt praktische Erfahrungen in puncto Umweltschutz sammeln. Kaum jedenfalls bin ich ausufernd im Sand gestrandet (tz tz tz  - merkwürdige Formulierung,aber ich bin einfach zu faul, sie zu ändern...) umringt mich die Rasselbande immer, klatscht mir Handtücher auf den Leib und versucht, mich in die Wellen zurück zu zerren...

Hangover          Aquarell auf Büttenpapier
Da bleibe ich doch lieber oben auf der Burg. In so einem alten Haus gibt es ja ständig etwas zu tun, und ich habe ja im April und Mai so vielversprechend angefangen. Die Terrassen-Mauern und den Portico neu gestrichen, die Flügeltüren abgeschliffen und neu lackiert sowie das Atelier ausgefegt und die Farben und Pinsel zurecht gelegt. Allerdings die restlichen Wohnzimmer-Fenster warten noch auf den Neuanstrich, zwei antike Sessel müssen repariert und das Schlafzimmer neu geweißelt werden. Wenn da nun - ausgerechnet zum Sommeranfang - nur nicht dieser "Sanremo-Achter" wäre. Der lähmt. Und wie der lähmt! Manchmal schafft es meine Frau noch nicht einmal mehr, zum Glas zu greifen.

 Die meiner Malerei immer noch überwiegend zweifelnd gegenüber stehende Kritikerschar             mutmaßt  ja, dass die Häufigkeit, mit der Schnecken als Motive in meinem Oeuvre vorkommen, Rückschlüsse auf meine Gemütsverfassung zuließe. Ich kann Entwarnung geben. Das hat rein pragmatische Gründe. Obst und...Gemüse......verfaulen ...... bei ....... der ....... Langsaaaaaaamkeiiiiit, ........ mit...... der..... ich ....male. Die ....Schnekkkkken ....... laufen ........ eben ........nicht........weg.......
The Nightpatrol or The Golden Snail Gang Rides Aigain                             Oil on Canvas
   


Freitag, 17. Juni 2011

Urängste 1

Meine noblen Nachbarn mit dem teuren Weinverstand mögen kurz weglesen, denn was wir gestern bei der Hitze gemacht haben, würde bei denen nur Geringschätzigkeit auslösen: Wir haben einen  weißen Cuvee-Wein aus Orvieto regelrecht weggeschlabbert, weil der - eine Offerta aus dem Supermarkt - wieder so ausgezeichnet war, wie in den vergangenen Jahren. Wenn ich hingegen an den mehrfach ausgezeichneten und teuren Lagen-Vermentino vom Winzer zu Füßen des Burgberges denke, aus dessen Lieferung wir vom vergangen Jahrgang jede sechste Flasche wegen Korkelns weggießen mussten, komme ich ins Grübeln. Es scheint bei Weinkennern eine Urangst zu existieren, sich dabei erwischen zu lassen, Gefallen an Tropfen unspektakulärer Provenienz zu bekunden...

Aber ich will ja heute keinen Wein-Excurs veranstalten, sondern erstmals die tief in uns allen sitzenden Ängste thematisieren, und darauf hat mich eben der Name dieser Cuvee gebracht: Sie heißt "Vipera Bianca" und wird von einem gut reputierten Weinproduzenten aus Orvieto in Umbrien verschnitten, der auch den "Est!Est!Est!" im Angebot hat.

Eine der häufigsten Fragen, die uns auf der Burg gestellt werden, ist nämlich die nach den Weinberg-Vipern (Vipera aspis). Die Einheimischen machen sich einen Spaß daraus, diverse Horrorgeschichten zum Besten zu geben: Mal haben sie schon welche auf der Terrasse gehabt, weil sie angeblich in der Lage sind, die Abflussrohre der Regenrinnen hinauf zu kriechen. Mal hat der Hund eine aufgespürt und sei um ein Haar gebissen worden (was für den meist tödlich endet). Ich habe den Verdacht, dass die wenigsten je eines der scheuen Wesen  in Natura gesehen haben, sonst würden sie nicht jedwede Schlange, die ihnen begegnet, brutal niederknüppeln. So müssen hier immer wieder harmlose Nattern wegen dieser Urängste ihr Leben lassen. Typisch war ein Ereignis auf der Piazza: Unser sonst so smarte Nachbar Luigi war im letzten Herbst ganz aufgeregt zu meiner Frau gekommen, sie möge doch beim Blumengießen aufpassen, in dem einen Topf an der Fontana hause eine Viper. Den Knüppel hatte er schon in der Hand... Und meine Frau, dieses sanfte, angeblich gewaltfreie Wesen wollte das Killerkommando ergänzen.

Tatsächlich kringelte sich dort eine kleine Schlange, deren einziger Schutz es ist, gefährlich auszusehen. Die Vögel würden sie sonst als eine Art Regenwurm verspeisen. Diese hatte einen blutroten Kopf und schob ihn aggressiv hin und her.Aber ihr Kopf war oval.Eine Viper hat einen dreieckigen Kopf und sieht gestreckt aus wie ein Silberpfeil.

Ich bat jedenfalls um Aufschub des Hinrichtungstermins und schaute schnell zur Artenbestimmung in den Computer. Es stellte sich heraus, dass es sich um ein ganz junges Prachtexemplar der unter Naturschutz stehenden und völlig harmlosen Zornnatter handelte. Sie durfte weiterleben und war auch bald verschwunden, denn nur die kleinen Exemplare halten sich zum Selbstschutz in altem Gemäuer auf.

Auch ich habe  eine Viper noch nie lebend gesehen  (meine Bekannten beim Croce Rosso Italiano konnten sich auch nicht während der letzten Jahre an ein Opfer hier in der Gegend erinnern. Dennoch halten sie immer genügend Serum im Talort parat), doch totgetreten und bewusst  überfahren sah ich sie zuhauf, als ich einmal in der Basilicata auf den Spuren von Carlo Levis Roman Jesus kam nur bis Eboli eine Reportage machte. Möglicherweise hat ja der Autor zur Legendenbildung über die von Eiheimischen dort so genannten Cortopassi beigetragen ( - "Kurzschritte", weil man nach ihrem Biss angeblich gleich ins Taumeln gerät), und seine Kolportage des Mundart-Kinderspruchs natürlich: Cortopassi, Cortopassi dove si trove qui ti lasci!

Jedenfalls muss keiner - weder im Frühjahr noch im Herbst - morgens mit kurzen Hosen und Sandalen in die Campagna gehen. Es sei denn, er will die von den kühleren Nächten noch starren, sich auf den Wegen wärmenden Wesen unnötig herausfordern. Fest auftreten hilft immer, denn tatsächlich haben Schlangen meist real mehr Angst vor den Menschen als umgekehrt...

Dienstag, 14. Juni 2011

Folletto Buono bekommt seinen Kommentar nicht gepostet

Das italienische Heinzelmännchen als solches ist auch nicht mehr so clever wie einst. Es kann  sich zwar mit Dachsen unterhalten, aber den Kommentar loswerden? Niente, nada, nix!
Also auf diesem Wege das ganze aus der Dachsperspektive: Aber wenn die Beine beim Pokern verloren gehen, wohin reichen dann die Haare? Und nicht jedes Schnarchgeräusch kommt aus einem Schnarchsack. Manchmal ist's auch nur eine alte Säääge...

 
....auch ich habe bemerkt, daß Anita mich gesehen hat......na ja....das
Fenster im oberen Stockwerk ist ja nun wirklich weit genug weg um
sorglos und ungehindert noch ein paar Schnüffelminuten an diversen
Hausecken zu verweilen...
War da jemand vor mir da ? Aus artverwandter Familie vieleicht ?
Hm.....ist jetzt nicht so leicht feststellbar.....irgendetwas stört
meine Sinneswahrnehmung.....?????
Was ist das nur für ein Geräusch ???
Kommt auch von oben......eindeutig.....aber mehr aus der Richtung des
sternengepflasterten Platzes....hört sich an, als ob da jemand friert

Nein....quatsch....oder doch ???
Ja, er muß eindeutig frieren dieser Zweibeiner unter dem Dach.....er
sägt Holz für den Ofen, ich höre es ganz deutlich.......Anita scheint es
auch zu hören......sie dreht kurz den Kopf in die Richtung, allerdings
ohne die Augen von mir zu lassen.....also das wird mir jetzt doch
zuviel.....zuviel "Zweibeiner" um mich herum....und dann auch noch aus
einer Perspektive, die eigentlich einer Eule zusteht.......aber die alte
Brillenschlange lässt sich ja auch nicht mehr blicken.....pah....da
such´ich mir doch lieber für heute Nacht ein ruhiges Plätzchen ohne von
oben begutachtet oder beschallt zu werden.....in diesem Sinne kann ich
Deinen abschließenden Worten nur zustimmen, lieber Obelix.....wir sehen
uns im Herbst wieder.
Und ich verrate Dir auch zum Abschied noch ein Geheimnis......es gibt
nämlich eine Leidenschaft, die Deine Nachbarin Anita heimlich pflegt des
Nachts.....und ich habe sie gesehen dabei.......sie Spielt !!!!!!!! 
Jaaahhh.....sie spielt !!!!!! 
Nachts heimlich Poker......mit Deinem treuen Idefix....Ja das ist schon
eine Sucht bei ihr.....aber leider hat sie das letztemal verloren und
seine Beine gewonnen! 
Das hast Du bestimmt noch nicht gewußt, gelle ?    

Ich wünsche euch eine gute Nacht, und verschwinde jetzt selber schnell
dahin wo ich schon lange sein wollte.....und das ist nicht das Klo !!!!!
DIE Uhrzeit stimmt nämlich.......

Plötzlich Leben

Anita, das humorige und trinkfeste Kompakt-Urweib aus der Nachbarschaft, will ihn um halbvier in der Früh gesehen haben, wie er durch die Gasse abwärts in Richtung Campagna abgedachst ist. Und Anita hat ihre Sinne immer beisammen. Ich habe im Morgengrauen die Krallengeräusche auf dem Pflaster unserer anhänglichen Wander-Hündin aus dem Capo Luogo zugeschrieben. Die läuft mit jedem mit und will sich überall einnisten. Deshalb bin ich auch liegen geblieben.
Schade, denn ich hätte zu gerne geschaut, ob unser Dorfdachs mit gepacktem Koffer das Weite gesucht hat. Den einzigen Dachs, den ich live auf Talgang gesehen habe, ist leider der mit X am Ende. Und der schlägt diese Richtung offenbar immer dann ein, wenn ich gerade mal wieder glaube, Geld anlegen zu müssen. Das Raubtier habe ich in natura leider bislang nur totgefahren auf Landstraßen gesehen. Dennoch sind mir die schwarzweiß gestreiften Spitzschnauzer sehr ans Herz gewachsen, seit ich als Kind Hans Falladas "Fridolin, der freche Dachs" gelesen habe...

Noch immer nehmen diese listigen Röhrenwesen in meiner Phantasie die ihnen angedichteten, menschlichen Eigenschaften an. So weiß ich zum Beispiel, dass Dachse trotz ihrer Schläue nicht bis drei zählen können. Nach Fallada zählen sie: eins, zwei, viele. Was den Verdacht nahe legt, dass sie mehr als zwei schon nervig finden.Also stelle ich mir folgendes vor:
Unser Dorfdachs hat in seinem Bau auf den Abreißkalender geschaut, den die Gemeinde jedes Jahr gratis ausgibt, und festgestellt, dass die Pfingstferien in Nordeuropa in diesem Jahr mit dem Beginn der Schulferien in Italien zusammenfallen, und das Weite gesucht, weil er sonst rein zähltechnisch an seine Grenzen stieße.

Mit der Stammbesatzung auf der Burg kommt er klar: Es sind neben den hundertjährigen Geschwistern, die ja einzeln auftreten, acht Paare, acht Single-Frauen und drei Single-Männer. Doch das ändert sich nach Pfingsten immer schlagartig. Nicht nur wegen der vielen Ferienwohnungen, sondern auch wegen der Kinder und Enkel schwillt die Einwohnerzahl hier oben dann auf ein Vielfaches an. Plötzlich herrscht hier ein Leben, das einem einen Eindruck verschafft, wie es vor Jahrhunderten gewesen sein könnte. Kinder toben über die Piazza, die Rollkoffer schebbern anstelle der Ochsenkarren durch die engen Gassen, und Leute, die sich ein halbes Jahr nicht gesehen haben, tauschen über die Dächer zurückliegende Ereignisse und anliegende Vorhaben aus.
Die Stammbesetzung kann bei zwei Metern Abstand zum Gegenüber in der Gasse, nicht mehr einfach durchs Haus brüllen, wenn was ist, und nächtliche Dauerschnarcher schließen die Fenster so lange es die Temperaturen noch zulassen...

Wir finden es klasse nach der mitunter geisterhaften Stille der vergangenen Monate, aber Fridolins italienischem Verwandten wäre das wohl viel zu viel unzählbarer Trubel.

- Sehen wir uns halt im Herbst wieder, du alte Streifennase!

Sonntag, 12. Juni 2011

Als die Polypen noch geprügelt wurden

Maremonti 2

Es gibt kulinarische Kindheitserlebnisse, die könnten leicht dazu führen, dass bestimmte Speisen ein Leben lang nicht mehr angerührt werden. Ein Bauer zum Beispiel, von einem Hof in der Nachbarschaft meiner Eltern, legte Wert darauf, dass seine Kinder von kleinauf beim Schlachten dabei waren, damit sie begriffen, woher das Fleisch auf dem Teller und die Wurst auf dem Brot kamen. Eine sinnvolle pädagogische Maßnahme  - wie ich heute finde. Dennoch habe ich auch als Erwachsener stets Reißaus genommen oder irgend eine wichtige andere Sache vorgeschoben, wenn er mich zur Hausschlachtung einlud. Die Wahl hatten seine zwei Buben und die Jüngste nicht.Der Älteste wurde überzeugter Vegetarier. Der zweite wurde Veterinär. Und die Schwester führt heute den Hof und die Tradition der Hauschlachtung im Beisein ihrer Kinder fort.

Wäre ich also als Kind  wirklich so zart besaitet gewesen wie als Erwachsener, müsste ich eigentlich heute um den in Ligurien so populären lauwarmen Polpo-Kartoffel-Salat einen riesigen Bogen machen. Genau das Gegenteil ist trotz meiner Urlaubserlebnisse als Knabe der Fall. Das Eintauchen in meine tiefenpsychologischen Untiefen erspare ich mir daher lieber...
In einer kleinen Steinstrandbucht am Cap Roux - ich muss wohl fünf gewesen sein - lagerte unweit unserer Familie Neptun höchst persönlich. Jedenfalls behauptete dies mein Vater, der jede Gelegenheit wahrnahm, uns an tauglichen Objekten und Subjekten die Welt mit einem Bildungsschlenker zu erklären. Tatsächlich gaben ihm später mythologische Abbildungen  in Schulbüchern im Nachhinein irgendwie recht.
Der herzensgute Automechaniker aus der Provence hatte eine lockige Zottelmähne; den Algen, durch die wir mitunter waten mussten nicht unähnlich. Unter seiner behaarten Brust prallte ein kugelrunder, mächtiger Bauch hervor, und wenn seine kurzen Beine an den Füßen in den Schwimmflossen steckten, dann wirkte er eher wie ein Amphibium. Aber was das Bild Neptuns wirklich vollendete, war eine lange Dreizackharpune mit der er stundenlang in Tiefen verschwand, die mir als  damaliger Nichtschwimmer verschlossen blieben.
Immer kam er mit Beute zurück. Und es waren vorwiegend kleine und größere Polypen, die er anlandete. Einmal hatte er sogar eine Languste aufgespießt (ja, die gab es damals noch in Reichweite von Badestränden). Er war mein Held, selbst wenn er die kleinen Polpi direkt auf den Steinen des Strandes roh (und noch lebend?) verspeiste.
Den großen Kraken biß er gezielt zwischen Kulleraugen und den kleinen Balg, um sie außer Gefecht zu setzen und dann prügelte er sie über die Klippen oder klöppelte ihnen mit einem Holzprügel die einsetzende Starre aus den Tentakeln. Nur so, erklärte er meinem Vater, wäre garantiert, dass das Polypen-Fleisch bei egal welcher Zubereitung nicht zäh wie Kautschuk werden würde.
Alle kleinen Fischer - egal ob an Siziliens Faraglionen oder der Amalfitana - die ich im Laufe meines Lebens kennen lernen sollte, bestätigten mir die Prozedur bei frischen Polpi als die beste.
Gut, dass wir heute meist auf Tiefkühlware zurückgreifen können, bei der der "Entspannungseffekt" meist durchs Schockgefrieren erzielt wird. Mit Essig im Kochwasser geht man auch auf Nummer sicher. Manche schwören auf Braisen im Schnellkochtopf, aber mir werden da die Tentakel zu wabbelig. Und wenn sich die Saugnäpfe beim Umrühren des Salates lösen, sieht das auch nicht doll aus. Sehr aufwendig ist das Tauchverfahren, bei dem der Polpo aus kaltem Wasser mit Olivenöl mehrmals in sprudelndes Kochwasser getaucht und wieder abgeschreckt wird, ehe er für 45 Minuten nur bei kleiner Flamme gesotten wird.

Es ist eines der einfachsten und wohlschmeckendsten Gerichte der italienischen Küche und doch kann - je nach Gusto - einiges schiefgehen. Oft habe ich den Salat mit mehligen Kartoffeln bekommen, und ich mag nur die Tentakel vom Kopf weg in gleichmäßige Scheibchen geschnitten. Die dünnen Fühler-Enden und den Balg hebe ich dann für eine Spaghetti-Sauce auf.

L'insalata tiepida di polpo e patate
Lauwarmer Salat aus Polypen und Kartoffeln

Zutaten für vier Personen:
1 Polyp (Krake) von etwa anderthalb Kilo
800 g gewürfelte Salat-Kartoffeln (speckig)
Reichlich fein gehackte Petersilie
Zwei mittelgroße Zehen im Mörser mit grobem Meersalz und einem Teelöffel braunen Melassezucker sowie 10 g grünem Pfeffer zerriebener Knoblauch, der mit 8 Esslöffeln Olivenöl aufgegossen wird
Saft einer Limette
Reichlich gutes Olivenöl

Zubereitung:
Polpo mit Agrodolce-Essig  (Selleriestangen und Möhren nach Gusto) kurz in sprudelndem Wasser ankochen, dann 45 bis 60 Minunten nur sieden lassen. Danach weder abschrecken, noch schockartig aus dem Wasser nehmen, sondern ziehen lassen!
Kartoffelwürfel bißfest kochen und abgießen.
Polpo-Tentakel abtrennen und in möglichst gleiche Scheiben schneiden. Die noch in heißem Zustand mit dem Mörser-Inhalt übergießen, kurz ziehen lassen und dann die Kartoffelwürfel sowie die Petersilie sanft unterheben. Mit Limettensaft, weiterem Olivenöl und Meersalz abschmecken.

Buon Appetito

Donnerstag, 9. Juni 2011

In Sachen Obelix

Comic-Figuren haben es gut. Sie altern nicht. Aber sie lernen auch nicht dazu: Donald dödelt mit seinen ewig kleinen Neffen nach wie vor durch Entenhausen, und Obelix ist trotz seiner exzessiven Wildschwein-Diät stets unverändert in seinem Erscheinungsbild. Dabei muss er ja noch nicht mal trainieren, um gesund  zu bleiben und seine Kraft zu erhalten, weil er ja bekanntlich als Kind in den gallischen Zaubertrank gefallen ist...
Spitznamen sind ähnlich nachhaltig. Sie bleiben einem - wenn man Pech hat - ein Leben lang. und es ist dann wohl ein Zeichen, dass man es irgendwie verpasst hat, erwachsen zu werden, wenn man sie auch im Alter nicht los wird.
Auf einer meiner ersten Ski-Reportagen in den 1970ern bin ich der französischen Ski-Legende Emile Allais unglücklicher Weise in gestreiften Rennhosen und einem eng  anliegenden, fleischfarbenen Abfahrtsblouson begegnet. Angesichts meines damals noch roten Bartes und des rötlichen Schimmers im schulterlangen Blondhaar meinte der vielfache Weltmeister der 1930er, es sei ihm eine Freude zu sehen, dass Obelix nun auch skifahren könne. Ohne, dass ich darüber nachgedacht hätte, antwortete ich sinngemäß, dass ich doch gar nicht dick, sondern nur außergewöhnlich muskulös sei. In meinem damals noch recht manierlichen Französisch muss ich wohl fast den Satz formuliert haben, den Obelix immer sagt, wenn ihn einer als dick bezeichnet. Das brüllende Lachen unter den Kollegen war jedenfalls so nachhaltig, dass ich diesen Spitznamen nicht mehr los wurde.
Selbst Mutter und Schwiegermutter konnten es sich Jahre später nicht verkneifen, mir zum Geburtstag ein silbernes Wildschwein für meine Glücksbringerkette zu schenken - damit ich auf meinen Reisen immer eine Wegzehr dabei hätte...
Was das alles mit der Burg zu tun hat? Vergangenes Wochenende hat mir eine Leserin hier diesen Obelix mit Geschenk-Hinkelstein vorbei gebracht, der nun seinen Ehrenplatz an meinem Computer gefunden hat. Beim Burgbriefeschreiben messen wir uns jetzt Aug in Aug, und ich kann an seinem Grinsen unschwer erkennen, dass er sich fragt, was der alte, graue Sack da mit ihm, dem ewig jugendlichen Kraftpaket aus Gallien zu tun haben soll.

Sonntag, 5. Juni 2011

Vom Geist der Dinge

 Natürlich glaube ich weder an Geister oder Gespenster und an PSI schon gar nicht. Aber wenn ich ehrlich bin, nehme ich auch Ereignissen gegenüber, die ansonsten logisch nicht zu erklären wären eine ähnlich agnostische Haltung ein wie bei der Frage nach der Existenz von Göttern und den sie verehrenden Religionen...
Ich bin aber überzeugt, dass Dingen gewisse Einflüsse anhängen, die in unserer Vorstellungswelt Reaktionen auslösen. Wenn ich - um ein Beispiel zu geben - in unserem Wohnzimmer auf dem Sofa liege und die Balken über mir anschaue, die das längst nach modernen Gesichtspunkten renovierte Dach einst trugen, dann wandern meine Gedanken von Jahrhunderten in Jahrtausende.

Sollten die Professoren bei der jüngsten Kolumbus-Forschung recht behalten, dann ist der Entdecker um 1451 in der Gasse parallel zur unseren als Sohn eines Paares geboren worden, das Cousin und Cousine war. Unser Borgo gehörte damals zu Genua. Deshalb gilt er als Genuese, und seine genaue Herkunft wurde wohl  verschleiert, weil die Rechtmäßigkeit einer Ehe derart  naher Verwandter schon damals - als allerdings Päpste noch Schwestern heirateten - doch eher grenzwertig war.

Wir wissen wenig über unser Haus, dehalb kann da schon die Phantasie mit einem durchgehen. Es steht gegenüber der Burg im Zentrum, war also vermutlich schon da, als der kleine, spätereWeltumsegler noch in den Windeln lag...  Die mächtigen, unbearbeiteten Balken an unserer Zimmerdecke stammen von einheimischen Steineichen, die also einige hundert Jahre auf dem Buckel gehabt haben mussten, um so dick zu werden. Es könnte doch sein, dass sie Setzlinge waren, als die Sarazenen unten an der Küste im siebten Jahrhundert ihre Wehrtürme errichteten, von denen immer noch einige stehen und mir bei meinen Bootsfahrten als Landmarken dienen. - Ja,  und dann laufen gedanklich  kleine Abenteuerfilme ab, die bei Spaziergängen durch das Dorf ständig neue Nahrung erhalten. Da werde ich zum ewigen Kind. Eine von Nachbarn liebevoll restaurierte kleine Tür mit Eisengitter-Luke wird dann zum Burgverließ und lässt vermuten, wie klein die Bewohner damals noch waren... Klar gibt es auch bei uns Besucher, die sich fragen, was wir in diesem wackeligen, von Erdbebenankern zusammengehaltenen Steinhaufen zu suchen haben. Aber die meisten lassen sich auf dieses Spiel mit der Vergangenheit ein und staunen über ein Haus, das nicht quadratisch, sondern bei eingehender Betrachtung mandelförmig ist, und in dem man vergeblich nach einer geraden Mauer sucht.

Und wenn die  alten Geschichten gar nicht helfen, um Gäste in Stimmung zu bringen, dann packe ich halt die Gerüchte aus der jüngsten Vergangenheit aus. Als die Kindeskinder unserer Nachbarn in den Sechzigern und Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts noch halsbrecherisch auf den Dächern rumtobten, die Piazza ihr Bolzplatz und die Eingangstür unseres heutigen Hauses ihr Tor war, gehörte es einer Frau, die legendär "La Francesa" genannt wurde. Sie hatte als Köchin angeblich in den Diensten des monegassischen Fürstenhauses gestanden. Ihren Lebensabend verbrachte sie hier Karten spielend und Nationale Ketten rauchend. Und wenn sie wegen eines schlechten Blattes oder sonstwie üble Laune hatte, dann drohte sie schon mal, mit der Lupara aus dem Fenster den Kindern den Ball wegzuballern...

Als wir beim Ausbau der Cantina stapelweise (dem Fürsten entwendete?) Teller mit Goldrand fanden, sahen wir für uns die Vergangenheit der "Francesa" bestätigt. Uns kümmern die Geschichtchen - nicht die Geschichte. Schließlich sind wir ja keine Historiker. Und ob den Dingen gemäß dem Freiherrn Karl von Reichenbach tatsächlich ein "Od" zu einer sinnlichen Einflussnahme verhilft, ist dann auch schon egal.

Samstag, 4. Juni 2011

Phänomen Piazza


Soll man jetzt traurig sein, dass es in unserem Borgo kein Restaurant mehr gibt? Seit irgendein Reiseschriftsteller offenbar mit seiner Begeisterung nicht an sich halten konnte, mehren sich Tagesbesucher, die enttäuscht an unsere Tür kommen und fragen, wieso es denn hier in diesem zauberhaften Ort nichts zu Essen gäbe. Mitunter kommt in der Frau an meiner Seite, die mit ihrer Herzensgüte ganz sicher in der weltweiten Hitparade der Samariter ganz weit oben plaziert ist, der Wunsch auf, den armen vom Aufstieg und Sightseeing dürstenden und hungrigen Menschen Labsal zu reichen. Noch kann ich sie mit der Perspektive, wo das dann enden könne, noch einigermaßen bremsen. Aber ich fürchte, nicht mehr lang.

Die besorgte Großfamilie meiner besseren Hälfte - ein unerschöpflicher Hort kollektiver Betroffenheit - sorgt sich jedesmal, wenn wir München verlassen, ob der Mangel an sozialen Kontakten ihrer Schwester/Tante/Schwägerin nicht auf Dauer zusetzen würde... Boshaft wie ich bin, vermute ich natürlich, dass die liebe Verwandtschaft damit eher den Mangel an Kontakt zu ihr selbst meint. - Ich kann Euch beruhigen: wir haben hier nicht die geringste Chance, depressiven Anfällen  von Alterseinsamkeit zu erliegen, denn davor bewahrt uns das Phänomen Piazza.

Wir stellen - wenn sich die Sonne senkt, die Schatten in der Burg länger werden  und uns danach ist - unser Tischlein-deck-dich vor unsere Steinbank, machen ein Fläschchen Wein auf und säbeln mit dem Breitschwert Scheiben von Salami, Speck und Fontal-Käse herunter, und schon kommen die sozialen Kontakte von allein. Ist es das Ploppen vom Korken, das durch die stillen Gassen schallt oder der kräftige Duft des Bergkäses, der in die Nasen der anderen wabert?

Zuerst finden sich die adoptiosbereiten Katzen ein und sorgen mit ihren diversen Posituren für die Lebendekoration zwischen all den Blumen. Und dann sind es die Feinhörigen: "Wollte nur mal kurz nachsehen, wie es Euch geht?" Meist wird diese Frage mit einer Flasche in der Hand oder einem Tablett Leckereien gestellt, was den Rückschluss zulässt, dass die Nachbarschaft von Haus aus davon ausgeht, dass es uns natürlich grundsätzlich gut geht. Klar gibt es welche, die auf diese Weise ihre alten Grissini loswerden wollen oder danach trachten, vergessene Flaschen mit längst ölig gewordenen Kreszenzen gegen unseren frischen Frizzantino einzutauschen. Aber wir sind da nicht nachtragend, weil uns ja auch diese Freunde vor der Einsamkeit bewahren. Oft geht es dann in wechselnden Besetzungen bis weit hinein in die Nacht, und die Piazza ist dann malerisch erleuchtet und hallt wider von einem babylonischen Sprachgemisch.

Denn nach anfänglicher Skepsis kommen auch immer mehr Alteingesesse - sogar Signora Electra - mal auf ein Gläschen und bringen je nach Saison frisches Obst (Kirschen, Erdbeeren, Aprikosen, Pfirsiche und Feigen) oder Rohkost (Fave, Selleriestangen etc.) mit. Die soziale Wiederbelebung der Piazza hat sich bis hinunter in den Hauptort herumgesprochen, und so hat die Kulturbeauftragte der Gemeinde die Piazza in den Sommermonaten auch schon nachhaltig zum Ort von Veranstaltungen erkoren. 

Jetzt beginnt sie bald wieder - die Saison, in der die Piazza zum Event-Center wird: dann gibt es Jazz-Abende, openair Cinema in Piazza und köstliches politisches Theater, bei dem die Darsteller die drei Ausgangstore als Bühneneingänge für ihre oft pantomimisch verstärkten und dadurch für alle verständlichen Auftritte mitten unter den Leuten nutzen. Zur serata magica mit italienischen Disco-Schnulzen aus allen Jahrzehnten des Sanremo-Schlagerfestivals kommt sogar unsere pensionierte Gymnasial-Lehrerin in Hotpants aus ihren Ländereien hier hoch geklettert und rockt dann länger ab als die jüngeren Dorfschönheiten. Natürlich tischen bei solchen Anlässen die Nachbarinnen Berge ihrer besten Rezepte auf, und die chronisch finanzklamme Gemeinde spendiert sogar die Getränke...