Montag, 30. Mai 2011

Maremonti-Rezepte 1

Hummage XI                  Aquarell auf Büttenpapier
                                             


Mit meiner in Neapel geborenen Nachbarin, einer Ligurerin der Liebe halber, gerate ich jedesmal ins Streiten, wenn ich als tedesco behaupte, ich hätte an die tausend Pasta-Rezepte im Kopf. Sie denkt klassisch und ist in den traditionellen Rezepten gefangen. Ich habe gelernt, dass Pasta in Seelentiefs der Lebens- und Wohlfühlretter par exellance ist, wenn man kreativ bleibt und aus dem etwas zaubert, was man gerade zur Verfügung hat.Pasta geht immer! Selbst nur mit Butter und ohne Käse ist sie ein Ankommer...

Neben den Kräutern  die hier auf meiner Nottreppe wachsen, habe ich deshalb (auch in München) immer einen ausreichenden Vorrat an Pinienkernen, gedörrten Tomaten, Steinpilzen und Paprika im Schrank, und das gilt auch für jedes Pasta-und Öl-Angebot, das ich im Supermarkt abstauben kann. Im Frischeregal schlummern hier in Italien mittlerweile excellente Frischprodukte, die auch la Napolitana, die grundsätzlich ihre Pasta selbst macht, kaum übertrifft. Das darf sie natürlich nicht lesen!

Unweit der Frischeregal-Pasta findet sich meist auch ein Tiefkühl-Frutti-di-mare (selbst wenn's aus Thailand ist). Selbstredende ist natürlich alles noch einen Tick besser, wenn Zutaten frisch sind, obwohl diese Dörr-Tiefkühl-Version auch ihre eigene Geschmacksnote hat, die nicht schlechter sein muss.

Hier jetzt für vier Personen:

Pasta maremonti - nella versione per i poveri
Pasta Maremonti für Arme

Zutaten:
1 Handvoll Pinienkerne
50g getrocknete Steinpilze
50g gedörrte Tomaten (nicht eingelegt)
50g gedörrte Paprika (nicht eingelegt)
250g Tiefkühl-Frutti-di-mare
500g Spaghettini (Penne regate, Tagliolini oder nach Gusto)
Kräuter (wenn nicht frisch vom Balkon dann Herbes de Provence)
Pro Person eine mittelgroße Zehe Knoblauch und eine Schote Peperoncino im Mörser grob mit je einem Teelöffel Salz und braunem Zucker zerrieben.

Zubereitung:
Steinpilze mit einem halben Liter heißem Wasser aufgießen und mindestens zwei bis drei Stunden einweichen.
In einen Topf mit mindestens zwei Liter kochendem Salzwasser Pasta und in feinste Streifen geschnittene Trockentomaten und - Paprika (Vorsicht! Die sind salzhaltig!) gleichzeitig etwa zwei Minuten kürzer garen lassen, als auf der Packung angegeben. Bisstest: Die Pasta muss noch einen Kern haben. Bei Frischware nur kurz aufbraisen lassen.Darf auf keinen Fall schon weich sein!
Steinpilze mit Siebkelle herausnehmen, abtropfen lassen und etwas zerkleinern. Das Pilzwasser nicht weggießen, sondern durch feines Sieb nach dem Abgießen des Pastawassers zur Pasta geben und  so lange ziehen lassen, wie die restlichen Arbeitsgänge dauern.
Pinienkerne, Peperoncini und Knoblauch bei großer Flamme so lange in gutem Olivenöl rösten bis sie eine goldgelbe Farbe annehmen. Dann die Frutti di Mare ruhig auch gefroren hinzu geben, aber die Flamme auf klein runterschalten. Die Meeresfrüchte müssen auf jeden Fall ihre Farbe behalten.
Nach etwa fünf Minuten die Pasta abgießen und dann in den Topf mit den Meeresfrüchten geben. Die Steinpilze hinzufügen. Das Ganze mit reichlich frischen Kräutern verschönern und dem besten Olivenöl des Hauses ablöschen (sehr gut Mosto d'Oro- das ist das hellgrüne, trübe Extra Vergine). Das Öl darf auf keinen Fall mehr sieden - nur noch heiß werden.
Alles mit  einem Holzlöffel gründlich untermischen und etwa fünf Minuten  im noch heißen Topf stehen lassen.
Dann kann serviert werden.
Buon appetito!

P.S. Wenn Euch das gefällt, hin und wieder einmal ein Rezept von der Burg zu bekommen, schreibt mir einen Kommentar. Dann weiß ich, dass es sich auch lohnt Jpgs von den Speisen und ihren Zutaten im Blog zu posten.Mein "Hummer" erscheint immer dann, wenn's was zu schnabulieren gibt...

Freitag, 27. Mai 2011

Weitere Feuerflieger




Die Burgbriefe-Leser Tina und Andi haben diese Fotos live in Isolalunga bei Dolcedo aufgenommen: Im Jahr 2003 brach dort dieser für die Region typische Brand aus.Wobei das beliebte Prino-Tal sich früher oft dem Vorwurf stellen musste, dass Brände dort zum Zwecke der Bauland-Gewinnung entfacht wurden...

Donnerstag, 26. Mai 2011

Feuerflieger
































Seit Ostern hat es nicht mehr geregnet. In früheren Jahren hätten sich die Bewohner der Burg bereits jetzt Sorgen machen müssen, ob die Ernte nicht verdorrt und ob sie in den Häusern ohne Einschränkung der Wasserversorgung überhaupt über den Sommer kommen. Die Quellen im Ortsbereich waren ja ebenfalls vom Niederschlag hier abhängig.
Solange sie sprudelten. kamen Leute aus der ganzen Campagna mit ihren Kanistern zum Dorfbrunnen an der Piazza, weil sie die besondere Qualität dieses Wassers schätzten.
Aber die Wiederauferstehung des Dorfes und immer mehr Ferienwohnungen verlangten natürlich nach mehr Sicherheit im Wasserhaushalt. Das Wasser schmeckt immer noch besser als andernorts, obwohl es jetzt im Wesentlichen sedimentreich aus dem Gebirge um den  Colle di Nava kommt, wo es eben häufiger regnet und im Moment auch immer noch Schnee liegt.

Die Allgegenwart der alljährlichen Trockenperiode hat jedoch nichts an dem sträflichen Leichtsinn der Landarbeiter geändert, Unkraut, Beschnitt und Bruchholz wegen der komplizierten Logistik auf den Terrassen gleich an Ort und Stelle zu verbrennen...
Ein plötzlich aufkommender Wind, und schon stehen die Steineichen und das ölige Olivenholz lichterloh in Flammen. Obwohl die Forst-Ranger mit ihren Gelände-Fahrzeugen und Quads nun wieder in Doppelschichten unterwegs sind, können sie eben nicht überall sein. Im vorigen Jahr brannten die Oliven unterhalb des Ortes; alter Baumbestand in der Größenordnung von mehreren Fußballfeldern. Vor zwei Jahren fingen die beiden Bergrücken über dem Borgo Feuer, was nachts für eine bizarr erschreckende Stimmung sorgte: eine Mischung aus hypnotischer Faszination und Angst vor der totalen Vernnichtung.
Vom nördlichen Ortsrand war das Feuer nur noch ein paar hundert Meter entfernt und im Osten waberten die  Lohen 20 Meter hoch über dem Kamm. Ein falscher Wind, ein Funkenflug in unsere Richtung, und es hätte schlimmere Folgen haben können, als das bloße Verkohlen der Macchia, die im übrigen längst wieder immergrün nachgewuchert ist.
Sobald es hell genug war, brausten sie dann heran, die Helden des dürren Alltags: Die Feuer-Flieger. (Die Fotos oben habe ich aus unserem Wohnzimmer geschossen.) Die zweimotorigen Canadair CL15 Wasserflugzeuge nehmen in ihrer Luke das Meerwasser zwischen den beiden Molen von Oneglia und Porto Maurizio (Luftlinie ca. 6 Kilometer) auf. Das ist Landen, Wasseraufnehmen und Starten in einer Durchfahrt. Dann brausen sie heran und lassen die Tonnen schwere Ladung im Tiefflug punktgenau dort ab, wo das Feuer sich weiter ausbreiten könnte. Eine fliegerische Meisterleistung, die so leicht aussieht und doch vergessen lässt, dass die Piloten für den bodenlosen Leichtsinn anderer hier ihr Leben riskieren..
Und die Heli-Piloten nicht minder, obwohl die für die Brandherdbekämpfung nur kurze Wegstrecken zurück fliegen müssen. Denn überall an den Berghängen sind große, runde,immer gefüllte Notspeicher installiert, und auch Eigentümer von Swimmingpools müssen es sich im Notfall gefallen lassen, dass die Hubschrauber im Fluge ihre gigantischen Wassersäcke oder Tankrüssel bei ihnen auffüllen...

Es ist mir daher heute eine große Freude, diesen Post allen Feuerfliegern des nördlichen Mittelmeers widmen zu können. Mögen ihre Einsätze in diesem Sommer weniger zahlreich und gefährlich sein als in den vergangenen Jahren...

Sonntag, 22. Mai 2011

Kleiner Versuch über die Zeit


Seit wir hier wohnen, war die Renovierung der Hauptkirche ein Dauerthema. Ihr Dach war schon am Einstürzen und leckte, der Campanile drohte, den starken Winden nicht mehr standhalten zu können.
Unter anderen sorgte diese zeitlos schöne, wie von Dürer gemalte, deutsche Violinistin vom oberen Eingang des Borgos mit ihrem berühmten Quartett durch ihre Benefiz-Kirchenkonzerte dafür, dass Santo Stefano nun wieder als Schmuckstück aus den immergrünen Oliven strahlt. Vor vierzehn Tagen war das Jahrzehnt  der Renovierung abgeschlossen.Die Zeit scheint rückblickend im Fluge vergangen. Der Bischof war da, und auch der Innenminister: Großer Bahnhof für eine großartige Kirche! War das ein Gebimmel! Zum Teil konnte man sogar  mal campanologisch relevante Melodien heraushören...

Aber das war dem Geläut offenbar dann doch zu anstrengend, denn außer der hellen Halbstunden-Glocke versagten die restlichen Klöppel nach dem Festakt für beinahe zwei Wochen. Es ist offenbar in unserem Alter schon schwer genug, mit der Umstellung auf die Sommerzeit klar zu kommen, aber wenn einem im Unterbewusstsein die Stunde nicht mehr schlägt, kommt es an den immer länger werdenden Tagen hier oben zu nachhaltigen Irritationen: Die Sonne steht noch hoch am Himmel, und du denkst gerade, dass es mal Zeit wird aus der Mittagssonne zu gehen, da zeigt dir ein Blick auf die Uhr, dass es schon kurz vor fünf ist...

Eins zwei drei im Sauseschritt eilt die Zeit, und du eilst mit. So etwas kommt einem dann in den Sinn, und die Sprüche unserer Eltern, die behaupteten je kleiner die Radien und je ruhiger die Tagesabläufe desto mehr rase einem die Zeit davon. Wir haben hier sehr viel ältere Nachbarn deren Leben von einer beneidenswerten Aktivität beherrscht wird, während wir quasi der Zeit beim Verrinnen zuschauen und kein schlechtes Gewissen haben. Als unsere Eltern damals die Drehzahl herunter schraubten und endgültig aufs Land zogen, glaubten wir noch, sie belehren zu müssen.Meine Frau bezog sogar den drastischen Standpunkt: "Ihr verkommt bald hier draußen!"

Inzwischen sind wir durch gesundheitliche Einschränkungen ganz kleinlaut und tun ihnen posthum Abbitte. Die Frau, die seit mehr als 45 Jahren ihr Leben mit mir teilt, hatte früher die Fähigkeit mitten im Familientrubel derart in ein Buch abzutauchen, dass man sie regelrecht anschreien musste, um sie in die Realität zurück zu holen. Wir lasen immer etwa gleich schnell. So im Schnitt ein Buch pro Woche. Hatten wir beide es ausgelesen, dann wurde es nach bibliographischen Vorgaben ins Regal geordnet. Die nicht ausgelesenen Exemplare kamen quasi als mahnende Erinnerung in ein besonderes Fach, in dem jetzt kein Platz mehr ist. Jetzt ist meine Frau nämlich schon etwa vierzig, fünfzig Bücher im Hintertreffen, und ich habe aufgehört, sie zu ihren Eindrücken zu befragen. Manchmal tue ich es dann doch, weil ich sie mit einem Buch unterm Arm auf der Terrasse sehe und dann bekomme ich immer die gleiche seltsame Antwort:
"Ich will ja lesen, aber ich habe keine Zeit dazu, weil ich gucken muss. All diese Schönheit! Und wenn ich dann doch zwei, drei Seiten gelesen habe, dann muss ich wieder gucken. Und dann wird es auch schon wieder dunkel, und ich gucke immer noch!"

Naja, ich mache mich gelegentlich schon ein wenig lustig über sie. Das hält unsere Beziehung am Laufen.
Seit Freitag aber  gehen die Kirchturm-Glocken wieder, und gestern war quasi der erste Sommertag mit über 30 Grad im Schatten der Piazza. Ich hatte mich auf meinen Lieblingsplatz unter den Torbogen gesetzt, und einer der Kater, die uns für ihren Hofstaat halten, gewährte mir die Ehre seiner schnurrenden Audienz. Er schnurrte weiter, ich kraulte ihn. Dann legte er sich in Positur maunzte gelegentlich wichtigtuerisch. Ich antwortete. Und als ich die Kirchenglocke wieder bewusst vernahm, waren zwei Stunden rum. - Aber ich muss jetzt aufhören. Ich habe einfach nicht die Zeit, hier noch lang rum zu schreiben...

Mittwoch, 18. Mai 2011

Fischer

Netzflicker                    Oil on Canvas
                                 



Wer sich den Film "Bourne Identity" mit Matt Damon anschaut, erhält in den ersten zehn Minuten eine gute Vorstellung davon, wie der alte Hafen von Oneglia vor einem Jahrzehnt ausgesehen hat. Das Boot L'Atlantide, dass den bewusstlos im Meer treibenden Bourne gerettet hat, liegt heute nach Fangfahrten immer noch am Pier. Allerdings ohne Respekt an die Seite gedrückt von den Mega-Yachten, die nun das Bild am Kai beherrschen, obwohl dort, wo einst "Imperia Mare" war, mittlerweile einer der größten Luxus-Häfen des nördlichen Mittelmeers entstanden ist. Viel Honorar scheint es damals für den Eigner auch nicht gegeben zu haben, denn der Trawler sieht immer noch aus wie der letzte Seelenverkäufer.

Dass ihm die Sechzigmeter-Yachten die Schau stehlen, ist volle Absicht der Kommune, denn längst ist die bunte Hafenzeile eine "Zona Divertimento", eine Vergnügungsmeile geworden, auf der sich ein Restaurant ans nächste reiht, ein Teilstück des Radwander-Fernweges von Diano nach Ventimiglia markiert ist und allenthalben kulturelle - und kommerzielle Veranstaltungen stattfinden. Verschwunden sind die Gleise für die Güterzüge, die einst das Öl nach ganz Europa schafften, verschwunden ist die Weltmarke Olio Sasso, und von den gespenstischen Riesenkränen sind am Westpier nur noch ein paar als Industrie-Denkmäler übrig geblieben. An seine einstige Bedeutung als Olivenöl-Hafen erinnern ein paar mal  im Jahr noch kleine Frachter, die Olivengranulat aus Nordafrika löschen, dessen Pressung nach EU-Norm das "Extra Vergine" strecken darf.

Tempus fugit - amor manet! Die Zeit vergeht, die Liebe bleibt. Ich liebe auch den Hafen mit seinem heutigen Flair. Wie sollte ich es auch wagen, nach etwas über einem Jahrzehnt den alten Zeiten nachzuweinen. Von dem kleinen Industrienest meiner Kindheit und der leicht verwahrlost wirkenden Kreisstadt Ende der 1990er hat sich Imperia mit seine beiden Ortsteilen Oneglia und Porto Maurizio zu einer für ihre Bewohner äußerst attraktiven Stadt mit diversen Lebensqualitäten gemausert.

Im Neudeutsch nennt man das ja gerne fälschlicher Weise einen Paradigmenwechsel. Fisch und Olivenöl spielen jedenfalls hier heutzutage nur noch eine Rolle auf den Esstischen. Als Wirtschaftsfaktor fallen sie kaum noch ins Gewicht. Zwei Beispiele:

Unser ortsansässiger Öl-Müller,  der Frantoio, kann uns sein unverschnittenes Extra Vergine nicht mehr unter 12 Euro pro Liter anbieten, wenn er wenigstens die Gestehungskosten hereinbekommen will. (Differenz zum Supermarkt bis zu 4 Euro plus pro Liter).Die 270 Jahre alten Nachbarsgeschwister Bolterrini, die gerüchtehalber zwei ganze Berge voller Oliventerrassen besitzen und nur noch eine Handvoll davon schaffen, sind nicht mehr in der Lage wie einst, die Erntezeit mit Krediten vorzufinanzieren. Eulalia, die eloquenteste der verbliebenen Drei erzählte mir  unter Tränen wie der Beamte der Landwirtschaftsbank sie bei seiner Verweigerung des Kredites damit tröstete, sie solle doch ihre Bauernrente genießen. Sie hätte doch alles... Würde die EU nicht Beschnittprämien ausloben und kräftig subventionieren, gäbe es eine europäische Kulturlandschaft weniger. Ein Facharbeiter, der hier ja meist per Hand ernten und beschneiden muss, schlägt mit rund 300 Euro pro Tag zu Buche...

Mitten zwischen den Kurven zu unserer Burg hinauf gab es eine kleine Bootswerft, die die für Ligurien typische "Barca da Pesca" mit dem hochgezogenen Vordersteven in Serie produzierte. In einem Anflug von Fischerromantik wollte ich genau so eine haben. Damals, im Jahr 2000, hätte ich eineinhalb Jahre auf sie warten müssen. Aber ich hatte Glück, weil deren Bootsmeister gerade einen handgemachten Prototyp in Kunststoff-Holz-Verbund zum Testen fertig gestellt hatte. Diesen weitestgehend handgemachten Prototypen verkaufte er mir zum halben Preis. Aber was viel entscheidender war, er verhalf mir in der Folge zu einer Vielzahl sozialer Kontakte, weil er erkannte, dass es mir vor allem - wenn ich das so nennen darf - um philosophisch-ideelle Ansprüche an den Besitz dieses Schiffes ging. Er wollte Bargeld. Deshalb trafen wir uns in meiner Bank, in der aber auch einer seiner Kumpel hinter dem Schalter Dienst tat. Der wiederum war der Kassenwart eines Circolo Nautico, der gerade seinen Gemeinde-Hafen erweitert hatte und mich einlud, als "amico di Sergio" doch Mitglied bei ihnen zu werden. Und so fanden mein Schiff und ich unter der Kirche von San Lorenzo al Mare einen Heimathafen. Kaum hatte ich fest gemacht und stromerte durch die Altstadt begrüßte micht schon jeder. Ah, Du bist der, der Sergios Boot gekauft hat. Jeder Barista, jeder Gastronom oder Gelati-Produzent war eben auch ein Socio im Circolo Nautico. So ist das bis heute.Unvergesslich die ersten gemeinsamen Fangfahrten im Morgengrauen und diese Kameradschaft ohne jegliches Fremdeln dem noch heute einzigen Ausländer gegenüber...

Aber was hat das ganze mit tempus fugit zu tun? Sergio starb die darauf folgenden Weihnachten an Bauchspeicheldrüsen-Krebs. Die Werft musste im vergangenen Jahr Konkurs anmelden, obwohl sie eine Weile Flybridges für Großyachten in Ergänzung ihres Programmes auf Maß anfertigte. Dafür erhielt aber  ein Konsortium den Zuschlag, in einer Bucht unweit unseres Fischerhafens einen weiteren Yachthafen zu errichten. Es war die Bucht, in deren geschützter Lage die Brut für unseren vormals noch recht fischreichen Küstenabschnitt heranwuchs. Im gleichen Maße wie die Zahl der Yachten wuchs, schrumpften die Fischbestände. Der Preis für den Liter Diesel-Treibstoff hat sich seither vervierfacht. Viele meiner "Socii" ernähren ihre Familien zu einem nicht unwesentlichen Teil mit ihrem Petri Heil.

In den Fischauslagen der hiesigen Märkte überwiegt bereits das Angebot aus dem indischen Ozean und dem Nordatlantik. Ein Kilo im Mittelmeer gefangene Goldbrasse verhält sich im Preis zu einer im Mittelmeer gezüchteten Dorade in einer Diskrepanz, die auch der sensibelste Gaumen nur noch ideologisch rechtfertigen kann. Wer ist schon bereit 24.90 Euro pro Kilo auszugeben, wenn der Zuchtfisch weit unter der Hälfte über den Tresen geht...?

Und dann das noch: Einer meiner Freunde ist Steuerberater und hat Restaurantbesitzer als Klienten, die schon mal selbst hinaus aufs Meer fahren, um die Speisekarte zu bereichern. Oder sie kaufen die Fänge von privaten Freunden. Die Diskrepanz zwischen verkauften Fischmahlzeiten und fehlendem, einschlägigen Wareneinkauf hat jetzt verstärkt die Fahnder der Guardia di Finanza aktiviert.


Oneglia am alten Hafen                      Oil on Canvas
                               

Sonntag, 15. Mai 2011

Maremonti








Maremonti - das ist eine Lebensformel ohnegleichen, aber auch eine Gleichung mit vielen Unbekannten, bei der sich einer leicht verrechnen kann. Maremonti, dieses einzigartige Leben zwischen Hochgebirge und Meer lässt sich in vielen Regionen Italiens führen, aber eben nicht mit diesem einmaligen Kontrast zwischen dem mediterranen Flair und bergbäuerlicher Einfachheit.

Wohlgemerkt, ich spreche vom Empfinden der Touristen oder jenen, die die Region aus gerade diesem Grund zur Wahlheimat erkoren haben. Bei den Einheimischen, den echten Ligurern, kommt das oft viel zwiespältiger rüber.

Zwei Beispiele: Der Hafenmeister unseres Circolo Nautico, ein echter uomo di mare konnte es nach seiner Pensionierung gar nicht erwarten, sich ein kleines Appartement in einer nahe gelegenen Skistation zu kaufen, um zweigleisig zu fahren, während Dario,der im Dunstkreis der Burg aufwuchs und als Fahnder zwangsweise auch mal ans Meer musste, erst aufgelebt ist, seit er nicht mehr hinunter fährt. Er hasst das Meer oder das Element Wasser. So genau ist das nicht herauszufinden. Legenden sind jedenfalls die Schilderungen von Freunden, die den dunkelbraunen, muskulösen Macho-Typen jedesmal erblassen sahen, wenn er nur bis zu den Waden ins Meer ging. Dario kann nicht schwimmen, und als sein Sohn in der Schule zum Schwimmunterricht musste, war ihm das (aus ideologischen Gründen?) gar nicht recht.

Von den insgesamt mehrere Jahrhunderte alten, einheimischen Nachbarn hier oben auf der Burg, haben viele während ihres langen Lebens das Meer nur aus dieser Talblick-Perspektive gesehen. Während die ausländischen Zuwanderer mit ihren Meerblick-Terrassen jedesmal ins Schwärmen geraten und es als Belohnung empfinden, wenn sie bei klarem Wetter Korsika quasi direkt unter sich sehen, zucken gli agricoltori nur mit den Achseln ohne aufzublicken. 

Warum? - Das Meer war halt immer schon da und hat weder Einfluss auf die Olivenernte noch auf das Jagdglück, verrichtet keine Arbeit im Gemüsegarten oder hilft nicht, die komplizierten Trockenmauern per Hand aufzuschichten. Mitunter fühlt man sich bei ihnen an den alten Spruch der Sarden erinnert: Quelli che provengono dal mare vogliono noi derubare. Die vom Meer kommen, wollen uns ausrauben...


In unserem Lebensmittelgeschäft gibt es keinen Fisch. Dieses Warenangebot überlässt man den Supermärkten zehn Fahrminuten tiefer im Tal. Hier oben gibt es in den Agriturismo-Kneipen zwar die beliebten, traditionellen ligurischen Gelage mit 12 oder mehr Gängen. Aber keiner davon besteht aus Fisch oder Meeresfrüchten, obwohl sich ja die moderne Kühltechnik auch hier durchgesetzt haben sollte. Macht nichts, denkt man: dafür gibt es eben die tollen Wildspezialitäten... 


Seit über einem Jahrzehnt lebe ich jetzt hier, aber ein unbeschadetes Stück Wildbret hatte ich noch nie auf dem Teller. Hase gibt es nur als Ragout, und Wildschwein als zerhackte Knochen in Sauce auf  Polenta. - Selbst dann nicht, als mein Bekannter Dario mit seiner Lupara völlig unwaidmännisch von seinem Balkon aus eine Bache abgeballert hat, die sich an seinen Weintrauben gütlich getan hatte. 


Jedenfalls fällt die Diskrepanz zwischen dem Jagdeifer und dessen verzehrbaren Resultat irgendwie auf. Kaum ist die Saison eröffnet, hallen die Eichen- und Olivenwälder ringsherum im Morgengrauen und in der Dämmerung vom dumpfen Wummern der Büchsen wider. Meist in Doppelschlägen, was die Munitionshersteller sicher freut, und unsere immer zahlreicher werdenden Wildschweine nicht weiter stört. Mitunter glaubt man sie vom benachbarten Bergrücken schweinisch kichern zu hören, denn die schlauen Paarzeher haben sich dann schon längst in ihre seit neuestem eingerichtete Schutzzone zurück gezogen, während sie außerhalb der stagione di caccia frech bis an den Dorfrand kommen. Was bei Spaziergängen in der Campagna mitunter für Begegnungen der nicht ganz ungefährlichen Art sorgt...


Im Gegensatz zu den ligurischen Bergbewohnern sind die Küstenbewohner viel stärker daran interessiert, den Dualismus des Maremonti zur Lebensart zu machen. Das hat natürlich historische Gründe, die Interessierte anderswo nachlesen sollten. Nur so viel: In den letzen Jahrhunderten wurde Ligurien so oft zwischen europäischen Machthabern hin und her gereicht, dass es überhaupt erstaunlich ist, dass sich eine italienische Identität herausbilden konnte. Während am Küstenstrich ständig andere Fahnen gehisst wurden, war das den Leuten in den Bergen weitestgehend wurst. Ähnlich wie die Piraten des Mittelalters waren die Behörden-Vertreter auch meist zu faul und ängstlich, sich in die Wehrdörfer hinaufzuwagen. Vielleicht erklärt das das Ungleichgewicht bei der jeweiligen Begehrlichkeit. 


Kaum jedenfalls sitzen sie unten im Sattel ihres Rennrades, streben sie auch schon landeinwärts die einsamen Pässe hinauf. An den großen kirchlichen Feiertagen stürmen Motorrad-Trecks die Bergrestaurants, und ganz Schlaue, denen es am Strand zu heiß wird, belagern dann die klaren Süßwassergumpen der Gebirgsbäche. die Laghetti


So erfüllt vom Abenteuer neigen sie dann daheim dazu, das Erlebte auch kulinarisch in Maremonti-Rezepte umzusetzen. Gerichte, bei denen auf  einzigartige Weise Fisch, Meeresfrüchte, Fleisch, Wild und andere Produkte aus den Bergen miteinander kombiniert werden. Die ansonsten einfache, schnörkellose und sehr direkte ligurische Art zu kochen, steigert sich dabei dann  zu wahrlich empfehlenswerten Höhepunkten. Aber davon das nächste Mal.

Mittwoch, 11. Mai 2011

Wind

                                               Windmalerei



Auf der Burg leben, heißt mit den Winden leben. Obwohl ich mein Leben lang Wasser- und Bergsport betrieben habe, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, mir über die Namen der Winde oder gar ihre Charaktere Gedanken zu machen.Jetzt nehme ich sie wahr, als seien sie vertraute Mitbewohner des Felsgrades. Manche mag ich, weil sie mich aufleben lassen, andere lassen mich leiden und quälen mich so, dass ich sie schon spüre, wenn ich beim Aufstehen noch gar nicht hinausgeschaut habe.Das sind auch die rauen Gesellen.

Ihre Namen von Nordwest nach Nordost: Maestrale, Tramontana und Grecale. Wenn der Tramontana (durch die Seealpen) aus Norden weht und Regen oder Schnee mit sich bringt, müssen wir die Fensterläden schließen und Handtücher auslegen, weil er das Wasser unters Dach und mitunter ins Wohnzimmer presst, wo wir bei der Renovierung die alten Holzfenster der Atmosphäre halber erhalten haben. Der Maestrale ist der finsterste Geselle. Er kommt mit D-Zug-Geschwindigkeiten aus Nordwest am liebsten dann, wenn niemand zu hause ist und er großen Schaden anrichten kann. In diesem Winter hat er zwei je 20 Kilo schwere, verklebte Schieferplatten von unserem Portico auf das neue Dach des Nachbarn geschleudert und zwanzig Ziegel zerschmettert. Welch ein Glück, dass bei dem Wetter sowieso niemand durch die Gassen geht. Einer der scharfen Splitter hätte tödlich sein können.
 Dass der Grecale ein mieser Kerl ist, hatten schon die Erbauer unseres Hauses vor ein paar hundert Jahren berücksichtigt. In der einen Meter dicken, über drei Etagen reichenden Ostmauer gibt es nur ein tiefliegendes Giebelfenster und die Not-Treppe. Der Nordostwind, nördlich der Alpen eigentlich ein Garant für schönes Wetter, ist hier der Schlechtwetterwind, weil er die Feuchtigkeit der Po-Ebene über den Appenin presst und wie ein Fallbeil auf uns herabsausen lässt. Mit einer Kraft, die nicht gesicherte Blumenkübel wie Staubkörner durch die Luft wirbelt.

Von den beiden parallel zur Küste wehenden Winden Ponente (West) und  Levante (Ost) bekommen wir hier oben wegen des Trichtertales nur angenehmes Fächern mit. Auf dem Meer beim Fischen schätze ich sie beide, weil sie mir in der einen oder anderen Richtung auf Fangkurs helfen Diesel zu sparen und ihre Wellen mein Boot angenehm surfen lassen.

Mein Lieblingswind ist der Libeccio aus Südwest, um den sich zahlreiche Legenden ranken - wie um jeden, der jedermannes Freund zu sein verspricht. Dieser überwiegend schönes Wetter bringende Schmeichler öffnet einem tatsächlich derart die Brust, das man sich frei und leicht fühlt. Bei großer Hitze kühlt er und nächtens soll er angeblich die Liebe beflügeln. Der Dichter Jean Genot, der sich auf seinen Fluchtjahren zu Beginn der 1930er auch in Ligurien versteckt hatte, beschrieb aber auch seine Schattenseiten. Denn beim Abflauen macht er traurig und depressiv. Und so passierte es in seiner Erzählung, dass Liebespaare in den Steineichen-Wäldern durch die Alten abgeschreckt wurden, die sich dort gerade erhängt hatten... Und dreißig Kilometer südlich, im Norden ihrer Insel, sind die Korsen über den Libeccio gar nicht glücklich. dort türmt er ungebremst meterhohe Wellen auf, die die Seefahrt am Auslaufen hindert.

Der Ostro aus Süden und der Scirocco aus Südost, die die Hafenverwaltungen eines ums andere Mal zu hohen Reparaturkosten nötigen, weil sie die Betonmolen aus Riesenwellen mit Felsbrocken bombardieren, kommt uns hier oben eher gespenstisch. Der Ostro sorgt mit seinen Nebelschwaden  in den Übergangszeiten, dass wir uns unvermittelt fühlen wie im Hochgebirge. Da treiben die Wolken herauf und lassen in Sekundenschnelle die wenige Meter entfernten Nachbarhäuser verschwinden. An Silvester 2009 war das so. Das ganze Dorf war auf den Terrassen versammelt, um das Feuerwerk zu beobachten, und dann war es wie im Krieg. Es blitzte und donnerte, aber gesehen haben wir nichts.

Last but not least der Scirocco, der bei uns wohl am bekanntesten ist. E kann schon mal im Hochsommer für plötzliches Frösteln sorgen, weil er aus für mich nicht näher ersichtlichen Gründen die Temperaturen fallen lässt. Es könnte sein, dass er mitunter aus sehr großer Höhe daherkommt. Dann heißt es für weiße Wände Farbkübel bereit halten, denn er bringt rosa Sahara-Sand mit, der mit Regen vermischt für einen unfreiwillig resistenten "Neuanstrich" sorgt.







Hier eine hübsche thematische Ergänzung von einer meiner Lieblingsleserinnen Tina:
Eine gespenstische Gedankenübertragung ist das fast........
Auf meinem typisch deutschen Schreibtisch im Büro steht neben den üblichen Beamtenutensilien auch ein italienischer Sonnenstrahl, der mich
daran erinnert, daß es auch mehr gibt im Leben als Excel-Listen,
Chefdater, nicht endend wollende "runde Tische", "Brainstormings"(auch
eine Form von Wind)"Kick-off Meetings" und 1/2 Stunde Mittagspause:Der Langenscheidt Deutsch-Italienisch Kalender !Und heute habe ich die Seite vom 09.Mai abgerissen, da ich gestern nichtim Büro war.......(die vom 10. natürlich auch.....)Jeder Tag des Jahres hat auf der Vorderseite eine italienische Lern
Lektion in Form eines kleinen Kreuzworträtsels, Gedichtes oder der Thematik "Sitten und Gebräuche", die Rückseite ist dann mit der deutschen Übersetzung beschriftet.Und auf diese Art hole ich mir jeden Tag ein Stückchen Italien ins Büro,auch die bösen Worte kann ich so wunderbar "herunterschlucken", weil ja mindestens ein italienischer Satz dabei ist....(siehe Burgbrief über die Stille!)

Und die heutige Thematik lautete: La Bora!Richtig......auch die Bora ist ein Wind,und in diesem Kalenderblatt wird die besondere Beziehung der Menschen um Triest zu diesem Wind beschrieben, diese ist so intensiv, dass ihr sogar ein
Museum - Museo della Bora - gewidmet ist... Ich weiß nicht lieber Obelix, wie es Dir dabei geht, aber nicht umsonst haben die Winde in Italien einfach "DEN"Klang......und in Italien tragen sie nicht nur den Staub der Sahara ins Land, sondern auch den Geruch der Kräuter von den Bergen, des Meeres und der Nadelbäume hoch in den Wäldern in die Dörfer... Das macht sie so einzigartig und unterscheidet sie von den "anderen" !


Freitag, 6. Mai 2011

Sehnsucht


Mignon        

Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht? 
Kennst Du es wohl?
                                     
Dahin! Dahin!
Möcht ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehn.


Ist dieses Gedicht unseres Dichterfürsten Goethe ein Beleg dafür, dass tief im teutschen Wesen ein Sehnsuchtsgen eingepflanzt ist, auf dem ITALIEN steht? Ein Gen, das sich selbst aktiviert und uns immerzu verführt, "Italienische Reisen" anzutreten?
Gemessen an unserem Johann Wolfgang hat meine Generation es ja wirklich leicht gehabt, dem Drang nach Süden zu folgen. Und dennoch, was haben wir an den Grenzen, am Brenner, am San Bernardino oder am Gotthard geflucht über Staus, über Ketten von Wohnwagen und die Sonne, die uns erbarmungslos aufs Autodach geknallt hat. Was haben wir unsere Eltern nicht genervt mit der ewigen Frage: "Wann sind wir denn endlich da?"
Aber dann waren wir endlich da und wollten meist nicht mehr fort. Und unseren Kindern und ihren Kindern ist dieses Heulen am Urlaubsende genauso geblieben wie uns. Warum? Weil im Norden immer wieder die Arbeit, die Schule, der graue Alltag wartete. Verzweifelte Versuche, die italienischen Momente mit Rotweinflaschen im Bastkorb und Olivenöl sowie Parmesan und Salami daheim zu verlängern, mobilisierten hier am Stiefel ganze Industrien für Andenken-Konserven, und Ende der siebziger Jahre gab es kaum noch Dorfkneipen, die keinen italienischen Namen  und nicht von einem lauten Familien-Clan aus dem Süden geführt wurden. Der sinnliche italienische Genuss war der Exportschlager. Wer erinnert sich schon daran, dass es zu Beginn der sechziger Jahre nur eine Handvoll Pizzerien im Bundesgebiet gab?
 Heute hat das italienische Moment kulinarisch sogar einen Hang zur Extravaganz erhalten, damit man sich vom Fußvolk abhebt. Man schlürft zum Menü 25 Jahre gelagerten Acetto Balsamico, bevorzugt einen besonderen Pecorino stagionato aus Sardinien und verwendet nur Öl von einem geheimen Frantoio, der allerdings mittlerweile in jedem Fressführer steht. Weine mit dem Qualitätsmerkmal DOC reichen schon längst nicht mehr. Da muss es schon DOCG sein

Wie war das hier oben auf der Burg vor vierzig Jahren? Auch hier war der Sehnsuchtsfaktor von entscheidender Bedeutung. Aber er hatte sehr individuelle Ausprägungen. Ich weiß von zwei drei Ruinen-Baumeistern, die jeden Brücken- und Urlaubstag aufgewendet hatten, um sich ihre Vorstellungen von einem italienischen Leben zu sichern. Bei manchen wurde das derart zur Manie, dass sie selbst weiter "am Bau" arbeiteten, als alles praktisch fertig war und das einfache Ferienhaus am Ende einem kleinen Palazzo glich. Natürlich gab es auch ein paar Geschäftemacher, die ein Schnäppchen erwarben, oberflächlich renovierten und teuer an die nächste Generation verkauften.

Vor allem die Urenkel jener Einheimischen, die damals den Lockungen der Wirtschaftswunders in die Industrie-Metropolen des Nordens folgten und ihre Anwesen für ein paar Tausend Lire verscherbelten, sind heute sauer, wenn sie von den aktuellen Preisen hören. Aber sie können sich auch nicht vorstellen, was die Ausländer für Arbeitskraft und Geld in den Borgo gesteckt haben, damit er so aussieht wie heute...

Die Sehnsucht ist ein seltsames Ding, weil man durch sie eine Triebfeder erhält, die mitunter von den Realitäten des vorbeiziehenden Lebens überdreht wird. Das carpe diem ist hier oben genauso wichtig wie in der Heimat. Wer den Tag aber nur nutzt, um seine Streitkultur von zu Hause mitzubringen oder seine sozialen Dünkel auslebt, versündigt sich.

Es gibt ein gutes Mittel der Annäherung an die ewige Sehnsucht nach Mignon: Für jedes böse Wort, das man herunterschluckt, einen italienischen Satz lernen!

Montag, 2. Mai 2011

Versuch über die Stille

Drifting On                           Digitally Your's   Series
                                    


Manche machen ein derartiges Gedöns und soviel Lärm um ihre Suche nach der Stille, dass sie völlig überrascht sind, wenn sie auf einmal von ihr umfangen werden. Vielleicht liegt das ja eventuell daran, dass sie Stille mit ihrer Sehnsucht nach Ruhe gleichsetzen. Es sind ja zwei ganz unterschiedliche physikalische Felder. auf denen wir uns hier bewegen. Die Stille ist Akustik - also Lautlosigkeit. Die Ruhe ist fehlende Dynamik. - Nichts bewegt sich mehr. Wer sich gleichzeitig in beides mit aller Konsequenz hineindenkt, kann leicht zu des Wahnsinns kesser Beute werden... Was wäre denn absolute Stille in Kombination mit totaler Ruhe?

Die Oster-Ferien sind vorbei, die traditionellen Besuche der Verwandtschaft  unserer italienischen Nachbarn bei Oma und Opa (Nonna e Nonno) sind anstandshalber absolviert, und dann gab es ja auch die Firmung für die nachrückende Generation.

Die ausländischen Bewohner der Burg sind in ihre jeweilige Heimat zurück gekehrt. Diejenigen - wie wir - die den permanenten Spagat im Dasein betreiben, geraten dann in einen merkwürdigen Schwebezustand. Da weder rollige Katzen, noch vom Tourette-Syndrom geplagte Nachbarn derzeit die nächtliche Stille stören und die pfeifenden Steinkäuze sowie die Nachtigallen noch auf sich warten lassen, ist die Stille so schwer zu ertragen, dass wir im Halbschlaf das halbstündige Gebimmel der Hauptkirche unterhalb des Borgos zum Mitzählen herbeisehnen. Wir schlafen schlecht und bleiben deshalb morgens länger im Bett.

Und dann wird uns besonders schmerzvoll bewusst, dass einer fehlt, der uns im vergangenen Jahrzehnt immer wegen unseres Lotterlebens geschimpft und angetrieben hat. Der Don kommt nicht mehr jeden Morgen, um sich mit einem Kaffee an unseren Tisch zu setzen. Der Don ist vor einem Monat fern von seinem geliebten Garten an der "Burgmauer" und all den Gebäuden gestorben, die er seit den sechziger Jahren geholfen hat, in ihren Ursprungszustand zurück zu versetzen. Jetzt müssen wir uns selbst aufraffen, um die Schäden des Winters zu beseitigen.Streichen und Pflanzen, Spachteln und Sägen - das schlechte Gewissen treibt uns die ersehnte Ruhe aus.

Das, was sich heute so malerisch präsentiert, dass eine Besichtigung in diversen Reiseführern empfohlen wird, war als der Don und sein Schwager hier erstmals heraufkamen, noch eine Ansammlung von Ruinen und dem Verfall preisgegebener Häuser. Auch andere, mittlerweile verstorbene Ruinen-Baumeister haben in dem vergangenen halben Jahrhundert dazu beigetragen. Dass am Oster-Sonntag beim traditionellen Brunch an der Kapelle San Lorenzo mitten in den Olivenhainen unterhalb des Ortes diese erste mit der mittlerweile vierten Generation Salsice grillen und Colomba knuspern konnte, lässt für die Zukunft hoffen. Auch wenn die letzten der Pionier-Generation und die verbliebenen Einheimischen sich bereits dieser endgültigen Kombination aus  Stille und  Ruhe nähern...

Der Don selbst wollte von Ruhe nichts wissen. Er streifte noch jeden Morgen auf seinem Inspektionsgang durch die Gassen, brachte den neuesten Klatsch mit, schimpfte über den Pfusch der Gemeinde an der baulichen und sanitären Infrastruktur und packte noch kräftig mit an, als die schreckliche Krankheit bei ihm schon längst Oberhand gewonnen hatte.